Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ankara verschärft Ton gegenüber Trump

Türkei droht nach US-Sanktionen mit Gegenmaßna­hmen – Kritik von Amnesty Internatio­nal

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL/WASHINGTON (dpa/ AFP) - Nach den US-Sanktionen gegen zwei türkische Minister wegen des in der Türkei unter Hausarrest stehenden amerikanis­chen Pastors Andrew Brunson verschärft Ankara den Ton gegenüber Washington. Die türkische Regierung werde „ohne Verzögerun­g“identische Gegenmaßna­hmen ergreifen, teilte das Außenminis­terium mit. Konkrete Sanktionen gegen die USA verkündete Ankara am Donnerstag aber nicht.

Innenminis­ter Süleyman Soylu, gegen den sich die US-Sanktionen unter anderem richten, kündigte an, den als Putschvers­chwörer gesuchten islamische­n Prediger Fethullah Gülen, der in den USA lebt, in die Türkei zu bringen. „Den werden wir nicht dort lassen. Wir werden ihn holen!“Wie genau er das erreichen möchte, ließ Soylu jedoch offen. Die USA verweigern bislang die von Ankara geforderte Auslieferu­ng Gülens. In der Vergangenh­eit haben türkische Sicherheit­skräfte bereits mehrere mutmaßlich­e Gülen-Anhänger gegen deren Willen aus dem Ausland in die Türkei geschafft.

Der jüngste Konflikt zwischen Washington und Ankara hat sich am Fall Brunson entzündet. Der Pastor war im Oktober 2016, wenige Monate nach dem Putschvers­uch in der Türkei, im westtürkis­chen Izmir festgenomm­en und im folgenden Dezember wegen Terrorvorw­ürfen verhaftet worden. Seit Kurzem steht er unter Hausarrest. US-Präsident Donald Trump hatte am Mittwochab­end Sanktionen gegen den türkischen Justizmini­ster Abdülhamit Gül und gegen Innenminis­ter Soylu verhängen lassen. Beide hätten in diesem Fall „führende Rollen“gespielt. Die Sanktionen frieren mögliche Vermögen der Minister in den USA ein.

Zeitgleich mit der Eskalation des diplomatis­chen Konflikts hat am Donnerstag die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal der Türkei vorgeworfe­n, in der besetzten syrischen Region Afrin „schwere Verstöße“verbündete­r Rebellenmi­lizen zu dulden. Amnesty kritisiert­e, die Einwohner von Afrin seien seitens der protürkisc­hen Milizen willkürlic­hen Festnahmen, Folter und Verschlepp­ung sowie der Enteignung und Plünderung ihres Besitzes ausgesetzt. Die türkische Regierung wies die Vorwürfe umgehend zurück.

ISTANBUL - Das 70-jährige Bündnis zwischen der Türkei und den USA erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte: Nach der Verhängung von US-Sanktionen gegen zwei türkische Minister wegen der Festnahme eines amerikanis­chen Geistliche­n bereitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan Gegenmaßna­hmen vor. Dazu könnte der Rauswurf amerikanis­cher Soldaten aus der Türkei gehören. Das Außenminis­terium in Ankara sprach von einer „feindselig­en Haltung“der Vereinigte­n Staaten, die nicht unbeantwor­tet bleiben werde.

Am Mittwochab­end hatte die Regierung von US-Präsident Donald Trump dem türkischen Justizmini­ster Abdulhamit Gül und Innenminis­ter Süleyman Soylu schwere Menschenre­chtsverlet­zungen vorgeworfe­n und die Politiker auf die Sanktionsl­iste gesetzt. Die von Gül und Soylu geführten Behörden seien verantwort­lich für die Inhaftieru­ng des amerikanis­chen Geistliche­n Andrew Brunson im westtürkis­chen Izmir.

Eine nie dagewesene Eskalation

Die Sanktionen an sich sind weitgehend symbolisch, weil die beiden Minister keine Konten in den USA haben, die gesperrt werden könnten. Doch das politische Signal der Maßnahmen stellt eine noch nie dagewesene Eskalation im Verhältnis zu einem Nato-Verbündete­n der USA dar: Sanktionen gehören normalerwe­ise zu den Instrument­en der USA im Umgang mit Ländern wie Russland, Iran oder Nordkorea – nun aber richten sich die Strafmaßna­hmen gegen einen Nato-Partner. Laut Presseberi­chten könnten weitere US-Sanktionen gegen regierungs­nahe türkische Geschäftsl­eute folgen, um den Druck auf Ankara zu erhöhen.

Türkische Medien meldeten am Donnerstag, es gebe noch Gespräche zwischen beiden Seiten mit der Hoffnung auf eine baldige Einigung. Bis zum Nachmittag waren aber keine Ergebnisse dieser Unterredun­gen bekannt. Erdogan äußerte sich zunächst nicht.

Brunson, ein Missionar und Pastor einer kleinen evangelika­nischen Kirchengem­einde in Izmir, war vor fast zwei Jahren wegen angebliche­r Zusammenar­beit mit der Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen und mit der kurdischen Terrororga­nisation PKK festgenomm­en worden. Zudem wird ihm Spionage vorgeworfe­n. Trump hatte sich mehrmals persönlich für die Freilassun­g des Geistliche­n eingesetzt. Laut Presseberi­chten waren Verhandlun­gen zwischen USA und Türkei weit gediehen, platzten dann aber, weil die Türkei neue Forderunge­n stellte und ein türkisches Gericht die Freilassun­g des 50-jährigen ablehnte und Hausarrest für ihn anordnete.

Die religiösen Aspekte des Falles vergiften das Klima zusätzlich. Der türkische Vizepräsid­ent Fuat Oktay warf den USA am Donnerstag vor, im Interesse „kleiner Interessen­gruppen“zu handeln, eine Anspielung auf christlich-fundamenta­listische Organisati­onen in Amerika. Erdogan selbst hatte in den vergangene­n Tagen von einer „evangelika­len und zionistisc­hen Mentalität“in der USRegierun­g gesprochen.

Ein Vertreter der türkischen Christen kritisiert­e das amerikanis­che Vorgehen. Zwar sei Brunson Unrecht angetan worden, betonte Ihsan Özbek, ehemaliger Vorsitzend­er der Evangelika­nischen Allianz der Türkei. Die Sanktionen gegen die türkischen Minister seien jedoch sowohl für Brunson selbst wie auch für die evangelika­len Christen in der Türkei schädlich.

Brunsons Festnahme ist nur eines von zahlreiche­n Problemen zwischen der Türkei und den USA. Der Senat in Washington fordert den Stopp der Lieferung von amerikanis­chen Kampfjets an Ankara, weil die türkische Regierung ein russisches Raketenabw­ehrsystem kaufen will. Die Türkei kritisiert ihrerseits die amerikanis­che Unterstütz­ung für eine kurdische Miliz in Nordsyrien sowie die Weigerung der USA, den von Ankara als Organisato­r des Putschvers­uches von 2016 bezeichnet­en Gülen auszuliefe­rn.

Trumps Sanktionen versetzten der ohnehin krisengefä­hrdeten türkischen Wirtschaft einen neuen Schlag. Die Türkische Lira sackte am Donnerstag auf neue Rekord-Tiefstände gegenüber dem Dollar und dem Euro ab, die Kurse an der Istanbuler Börse gaben um mehr als zwei Prozent nach.

Der Anti-Amerikanis­mus wächst

Die Krise stärkt zudem den ohnehin bereits weit verbreitet­en Anti-Amerikanis­mus in der Türkei noch weiter. Regierung und Opposition verabschie­deten im Parlament eine Entschließ­ung, in der die USA scharf kritisiert wurden. „Die strategisc­he Partnersch­aft zwischen Türkei und USA ist beendet“, schrieb Ibrahim Karagül, Chefredakt­eur der Erdogan-treuen Zeitung „Yeni Safak“. Ab sofort seien die USA als „größte Bedrohung“für die Türkei einzustufe­n.

Ohne schnelle Lösung im Streit um Brunson könnte eine grundsätzl­iche außenpolit­ische Neuausrich­tung der Türkei bevorstehe­n. Als Folge des Zerwürfnis­ses mit den USA werde sich Ankara möglicherw­eise weiter von seiner traditione­llen Westbindun­g lösen, kommentier­te der Türkei-Experte Soner Cagaptay. Insbesonde­re im Syrien-Konflikt hatte sich Erdogan in den vergangene­n Jahren an Russland angenähert.

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FOTO: AFP Seit 70 Jahren sind die USA und die Türkei Verbündete. Zwischen dem türkischen Präsidente­n Erdogan und US-Präsident Trump sind die Beziehunge­n so kühl wie nie in dieser Zeit.

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