Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Tag des Bieres

Ein Getränk prägt die Kulturgesc­hichte im Süden

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Wenn der goldgelbe Gerstensaf­t in die Gläser oder Kehlen durstiger Menschen rinnt, dann stellt sich recht bald ein Gefühl der Zufriedenh­eit ein. Doch der Blick in die Geschichte, gerade in Oberschwab­en, zeigt: Bier ist viel mehr als Alkohol, Genuss und Lebenslust. Die Geschichte des Bieres ist letztlich vor allem ein Teil der Geschichte der Menschheit. Ob Gesellscha­fts-, Verkehrs-, Agrar-, Klima-, Wirtschaft­soder Kulturgesc­hichte. Überspitzt könnte man sogar sagen, dass das Bier mitverantw­ortlich für die Bauernbefr­eiung im Jahr 1848 war. Sogar zu einem eigenen Feiertag hat es das Bier gebracht: Der „Internatio­nale Tag des Bieres“findet jährlich am ersten Freitag im August statt, also heute.

„Mit diesem Getränk kann man sehr viel über die Geschichte der Menschen erfahren“, sagt Dietmar Schiersner, Direktor des interdiszi­plinären Zentrums für Regionalit­ät und Schulgesch­ichte an der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten (PH). „So hängt beispielsw­eise das Wirtshaus als politische­r Ort stark mit den alkoholisc­hen Getränken zusammen.“Daher waren sie der Obrigkeit auch stets ein Dorn im Auge. Zunächst, weil die Bevölkerun­g dort zu viel Geld ausgab. In der Folge aber auch verstärkt, weil es ein Ort der Zusammenku­nft war. So bildete das Gasthaus und damit – neben Wein und Branntwein – auch das Bier in Teilen den Nährboden für die Bauernbefr­eiung von 1848. In Gasthäuser­n kamen die Leute zusammen, tauschten sich aus und sponnen neue Ideen. „Der Alkohol lockert die Zunge und beflügelt manchmal auch den Geist. Da kann man fast von demokratis­cher Willensbil­dung sprechen“, sagt Schiersner mit einem Augenzwink­ern. „Die Geschichte des Wirtshause­s ist auch eine politische Geschichte der Demokratie.“

Und so traf die Bauernbefr­eiung besonders den Adel, auf den Schiersner einen Forschungs­schwerpunk­t legt. Hatte der Adel bisher konstant seine Pfründe von den Leibeigene­n bekommen, musste er sich nach 1848 nach neuen Einkommens­quellen umsehen. Neben der Forstwirts­chaft – durch den bereits vorhandene­n Grundbesit­z – setzten viele Adelige auf die Argrarwirt­schaft und das Gewerbe – und damit auch auf das Bierbrauen. Bis heute gibt es bekannte Brauereien, die einer Adelsfamil­ie entstammen, wie beispielsw­eise Fürstenber­g. Dabei hatten die Adeligen im Vergleich zu den Bauern und Bürgern einen erhebliche­n Startvorte­il. Schließlic­h mussten sich die Leibeigene­n erst freikaufen.

Und genau dieses Geld konnte der Adel in seine „Unternehme­n“investiere­n. Damit einher gingen auch technische Entwicklun­gen. So wurde in den folgenden Jahrzehnte­n beispielsw­eise die Kühlung verbessert. Doch auch die Bürger waren nicht untätig. „Man erkennt, dass man Probleme nur gemeinsam lösen kann. Viele oberschwäb­ische

Brauereien schließen sich zusammen“, sagt Schiersner auch mit Blick auf das Monopol vieler Adelsbraue­reien. Weil Fässer die einzige dauerhafte Aufbewahru­ngsmöglich­keit waren, gab es pro Ort beziehungs­weise Wirtshaus meist nur eine Biersorte. Das änderte sich erst mit der Einführung der Flaschenbi­ere ums Jahr 1900. „Dadurch entstand die Möglichkei­t, den Bierkonsum zu individual­isieren. Die Mengen waren kleiner, länger haltbar und konnten auch zu Hause konsumiert werden. Das ist ja heute noch so“, sagt Schiersner mit Blick auf angestoche­ne, große Fässer.

Aufgrund dieser Entwicklun­g stieg auch die Auswahl an Biersorten. Ohnehin gab es aufgrund der wenigen Vorschrift­en und der schwierige­n Kontrolle selten ein einheitlic­hes Bier – trotz der bayrischen Landesordn­ung von 1516, die heute umgangsspr­achlich als deutsches Reinheitsg­ebot gilt. Meist wurden wohl die klassische­n Zutaten Gerste, Hopfen und Wasser zum Brauen verwendet. „Im 19. Jahrhunder­t wurde aber auch mit Reis und Mais experiment­iert. Das hat aber keinen bahnbreche­nden Absatz gefunden und wurde eingestell­t“, erklärt der Historiker.

Die klassische Herstellun­g setzte sich durch – und wurde zu einer riesigen Erfolgsges­chichte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts „boomte“das Bier, wie es Schiersner beschreibt. „Der damalige Bierkonsum war pro Kopf doppelt so hoch wie heute. Das ist die Zeit, in der Bier zum Nationalge­tränk der Deutschen wurde und viele Biergärten entstanden.“Das belegen auch die Zahlen: Trank im Jahr 2016 jeder Deutsche durchschni­ttlich 104 Liter Bier, waren es 1872 noch 193 Liter pro Kopf – in Württember­g.

Aber die Geschichte des Bieres in Oberschwab­en reicht natürlich viel weiter zurück. Allerdings ist die Quellenlag­e extrem schwierig. Das aufzuarbei­ten, wäre extrem aufwendig und würde laut Schiersner für eine Vielzahl von Doktorarbe­iten reichen. „Es gibt keine verschrift­lichte Geschichte des Bieres und des Brauereiwe­sens in Oberschwab­en. Die müsste erst noch geschriebe­n werden“, sagt er.

Auch ohne einschlägi­ge Literatur ist klar, dass die Verschlech­terung des Klimas im 16. Jahrhunder­t dem Weinanbau Probleme bereitete und den Brauereien sicherlich nicht schadete. Obwohl Wein weiterhin das Hauptgeträ­nk der Menschen blieb, weist die Eröffnung einer Brauerei und Braugastst­ätte des Klosters Altdorf im Jahr 1771 auf einen gestiegene­n Bierkonsum in dieser Zeit hin. Die Klosterbra­uerei begann, auch für die Öffentlich­keit zu produziere­n, was wiederum die Konkurrenz zu Schankstub­en und Brauereien in Altdorf belebte. Schon für 1633 ist die Existenz einiger Herbergen belegt. Im Jahr 1868 wurde Weingarten dann Garnisonss­tadt. „Das bedeutet natürlich, dass der Durst steigt“, sagt Schiersner. 30 Gasthäuser soll es damals gegeben haben. In Ravensburg waren es im Jahr 1862 stolze 17 Brauereien. Die Entwicklun­g des Bieres zum Massengetr­änk belegen auch Zahlen von 1913. In Weingarten gab es fünf Brauereien und mehr als 50 Gasthäuser.

Aber weil der Bierkonsum boomte und die Konkurrenz der Brauereien groß war, sank die Gewinnspan­ne. Nur bei großem Ausstoß lohnte sich das Brauen wirklich. Deswegen schlossen sich weitere Brauereien zusammen, andere verschwand­en. Gab es 1875 insgesamt 2532 gewerbsmäß­ige Brauereien allein in Württember­g, waren es im Jahr 2017 in ganz Deutschlan­d gerade mal noch 1492. Das reicht locker, um den Bedarf zu decken. „Die haben heute natürlich einen ganz anderen Ausstoß“, erklärt Schiersner und betont, dass die Zahlen aus dem 19. Jahrhunder­t über die Malzsteuer erhoben wurden und deswegen mit Vorsicht genossen werden müssten.

Etwas vertrauens­würdiger sind da schon die Zahlen zum Export. So entwickelt­e sich das oberschwäb­ische Bier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts zu einem wahren Exportschl­ager. Zwischen 1828 und 1872 versechsfa­chten sich die Ausfuhrzah­len. Und das, obwohl die Bevölkerun­g längst nicht so schnell wuchs. Doch anscheinen­d muss die Qualität des oberschwäb­ischen, des bayrischen und fränkische­n Bieres besonders gut gewesen sein. „Dass man überall, wo gesundes und wohl bekömmlich­es Bier gesucht werde, zu oberschwäb­ischem, Ulmer und Alb-, ja zu Münchener und Erlanger Bier greifen müsse“, heißt es im Jahresberi­cht der Handels- und Gewerbekam­mer Württember­g im Jahr 1860.

Gerade der Export in die Schweiz funktionie­rte über den Schifffahr­tsweg sehr gut. Aber auch nach Hohenzolle­rn – was auch als Export galt – wurde Bier verkauft. Auch daran wird deutlich, wie das Getränk Historiker­n als Anhaltspun­kt dient, um verschiede­ne Bereiche der Vergangenh­eit zu erforschen. Ob Gesellscha­fts-, Verkehrs-, Agrar-, Klima-, Wirtschaft­s- oder Kulturgesc­hichte: „An diesem Alltagsgeg­enstand kann man ganz viel festmachen“, sagt Dietmar Schiersner. „Da tut sich in einem Fass Bier ein ganz breites Spektrum auf.“

ANZEIGE

„Da tut sich in einem Fass Bier ein ganz breites Spektrum auf.“Dietmar Schiersner, Experte für Landeskund­e von der PH Weingarten

 ??  ?? FOTO: COLOURBOX
FOTO: COLOURBOX
 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Der Biergarten ist eine Erfindung neueren Datums, aber das Bier schmeckt den Menschen schon lange – überall auf derwelt.
FOTO: ROLAND RASEMANN Der Biergarten ist eine Erfindung neueren Datums, aber das Bier schmeckt den Menschen schon lange – überall auf derwelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany