Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Frankreich­s neue Heldin

Regierung in Paris beschließt härtere Strafen für sexistisch­e Belästigun­gen

- Von Christine Longin

PARIS - Der Kampf gegen sexuelle Belästigun­g auf der Straße hat seit dem Wochenende einen Namen: Marie Laguerre. Die 22-jährige Frau stellte ein Video ins Netz, auf dem sie am helllichte­n Tag von einem Mann mit anzügliche­n Gesten und Geräuschen verfolgt wird.

Als sie ihm vor einem Straßencaf­é „Halt’s Maul“zuruft, wirft er den Aschenbech­er nach ihr. „Ich ertrage diese Art von Verhalten nicht. Ich wollte nicht den Mund halten und wir dürfen nicht den Mund halten“, fordert die Studentin auf ihrer Facebook-Seite. Für ihre Widerworte bekommt sie einen heftigen Schlag verpasst, bevor ein Barbesuche­r den Angreifer mit einem Stuhl bedroht und so verjagt. Marie geht zunächst unter Schock nach Hause und kehrt dann in die Bar zurück, um die Bilder der Üb er wachungs kamera zu holen und Anzeige zu erstatten.

Seither ist die Architektu­r studentin zu einer Heldin im Kampf der Frauen gegen Belästigun­g geworden. „Marie symbolisie­rt gegen ihren Willen das, was viele Frauen erleben und wovor sie Angst haben“, sagt die Psychiater­in Muriel Salmona der Zeitung „Le Parisien“. Gleichstel­lungs-staatssekr­etärin Marlène Schiappa empören die Bilder der jungen Frau. Überrascht ist die 35-Jährige aber nicht. „Wir waren alle schon einmal betroffen“, bemerkt sie. 81 Prozent der Frauen gaben in einer Ifop-Umfrage im April an, schon einmal auf der Straße belästigt worden zu sein.

Ein jüngst inder Nationalve­rsammlung verabschie­detes Gesetz, das Schiappa im Frühjahr einbrachte, stellt nun grobe Anmache auf öffentlich­en Plätzen unter Strafe. Geldbußen zwischen 90 und 750 Euro werden für Pfiffe, unflätige Sprüche oder Nachstelle­n fällig. Im Herbst, wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird sich auch zeigen, wie es in der Praxis umgesetzt werden kann. Denn nur selten dürften die Männer, die Frauen hinterherp­feifen, auch wirklich geschnappt werden.

Auch Maries Angreifer ist weiter auf freiem Fuß. „Wir können nicht hinter jede Frau einen Polizisten stellen“, räumt Schiappa ein. „Genauso wenig wie hinter jedes StoppSchil­d.“Doch sie hofft, dass sich die Mentalität­en langsam ändern. Vor allem, wenn mehr Zeugen bereit sind, gegen die Angreifer auszusagen. Dazu ruft die engagierte Politikeri­n auf – „auch im Fall der Fußball-WM“.

#MeToo brachte die Veränderun­g

Zahlreiche Frauen hatten sich nach dem WM-Titel der Nationalma­nnschaft gemeldet, weil sie bei den Feiern begrapscht worden waren. „Gestern hat mich direkt nach dem Sieg Frankreich­s ein Fan auf der Straße angegriffe­n. Er hat mich gewaltsam geküsst, obwohl ich ihn zurückgest­oßen habe, er hat meine Brüste berührt und mir zwischen die Beine gegriffen, während ich mich weinend wehrte“, schrieb eine Frau nach der Siegesfeie­r im Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Die #MeToo-Bewegung hatte solche Bekenntnis­se auch in Frankreich möglich gemacht. Dort, wo Belästigun­g jahrhunder­telang als Kavaliersd­elikt angesehen wurde, begannen die Frauen nach dem WeinsteinS­kandal aufzubegeh­ren. Zehntausen­de meldeten sich zu Wort, um sexuelle Übergriffe zu schildern. Doch nicht alle Französinn­en waren über diese neue Offenheit glücklich. So veröffentl­ichte die Schauspiel­erin Catherine Deneuve zusammen mit rund 100 anderen Frauen im Januar einen Gastbeitra­g in der Zeitung „Le Monde“. „Hartnäckig­e oder ungeschick­te Flirterei ist kein Delikt“, heißt es darin.

„Eine Frau kann darauf achten, dass ihr Gehalt so hoch ist wie das eines Mannes, sich aber nicht durch einen Mann traumatisi­ert fühlen, der sich in der Metro an ihr reibt“, schreiben die Unterzeich­nerinnen in dem Text, der einen Aufschrei der Empörung auslöste.

Dass die Haltung der Diva nicht mehr mehrheitsf­ähig ist, zeigt die Reaktion auf das Video von Marie. Rund zwei Millionen Mal wurden die Bilder mit den Gewaltszen­en bereits angesehen. „Die Männer, die sich alles auf der Straße erlauben, sind nicht mehr hinnehmbar“, schreibt die Studentin auf ihrer Facebook-Seite. „Es ist Zeit, dass diese Art Verhalten aufhört.“

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FOTO: AFP Marie Laguerre wird in Frankreich für ihren Kampf gegen sexuelle Belästigun­g gefeiert.

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