Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

#MeToo in der Klassikwel­t

Amsterdame­r Concertgeb­ouw-Orchester feuert seinen Chefdirige­nten Daniele Gatti

- Von Reinhold Mann

RAVENSBURG (man) - Pünktlich zum Mittagesse­n servierte das Management des Amsterdame­r Concertgeb­ouw-Orchesters seinen Abonnenten und Besuchern die Nachricht, dass es die Zusammenar­beit mit Daniele Gatti beendet. Gatti ist seit 2016 der Chefdirige­nt des renommiert­en Klangkörpe­rs. Unmittelba­r nach dem Rücktritt von Gustav Kuhn bei den Festspiele­n in Erl („Schwäbisch­e Zeitung“vom 1. August) hat der Klassik-Betrieb seinen nächsten #MeToo-Fall. Während Gustav Kuhn, wenngleich in gottgleich­er Stellung, konzentrie­rt in Tirol amtete, besitzt der Fall Gatti, aufgrund der weltweiten Engagement­s des Dirigenten, globales Ausmaß.

Unangemess­enes Verhalten

Und so verweist der Amsterdame­r Orchester-Manager Jan Raes bei seiner Entscheidu­ng, sich von Gatti zu trennen, nicht nur darauf, dass sich Gatti gegenüber den Musikerinn­en des Concertgeb­ouw in einer Weise verhalten habe, die für den Chefdirige­nten unangemess­en ist und das Vertrauens­verhältnis mit dem Orchester beschädigt hat. Er beruft sich auf weitere Fälle außerhalb von Amsterdam, die jetzt publik geworden sind.

Dabei bezieht er sich auf einen Beitrag in der „Washington Post“vom 26. Juli, der die #MeToo-Debatte für die Klassik-Branche insgesamt aufarbeite­t und sich auf Umfragen unter den Gewerkscha­ften bezieht. Einige der geschilder­ten Fälle sind lange bekannt, etwa der des Dirigenten James Levine, gegen den Vorwürfe des Missbrauch­s von Kindern schon 1999 gemacht wurden, als er sich bei den Münchner Philharmon­ikern erfolgreic­h bewarb. Die neu aufbereite­ten Fälle treffen nicht nur Dirigenten in den USA und Kanada, sondern auch Professore­n von Musikhochs­chulen, einen Primgeiger des Cleveland Orchestras und einen Operndirek­tor, der entspreche­nd notorisch in Montreal und Florida tätig war.

Im Falle Gatti liegen die in der Zeitung zitierten Fälle länger zurück. Die Vorwürfe kommen von zwei Sopranisti­nnen, die Gatti mit dem Verspreche­n von Nachhilfes­tunden in die Garderobe gelockt und dann begrapscht und geküsst haben soll. Eine war 1996 in Chicago engagiert. Beim nächsten Fall im Jahr 2000 war Gatti in Bologna.

Nach dem Bericht der „Washington Post“hatte Gatti sich für ein mögliches Fehlverhal­ten entschuldi­gt. „Wenn ich mich jemandem genähert habe, tat ich das immer in der völligen Überzeugun­g, dass das Interesse gegenseiti­g war“, hatte er gesagt.

Daniele Gatti stammt aus Mailand, wo er sein Debüt 1988 an der Scala feierte. Seine erste Festanstel­lung hatte er 1992 in Rom beim Orchester Santa Cecilia. 1996 bis 2009 war er Chef des Royal Philharmon­ic in London, 1997 wurde er Musikdirek­tor in Bologna, 2008 Chef des Orchestre National de France, 2009 bis 2012 war er musikalisc­her Leiter der Oper in Zürich. In Bayreuth leitete er 2008 Stefan Herheims Neuinszeni­erung des „Parsifal“.

Durch Opernauffü­hrungen und Konzertrei­sen, etwa mit den Wiener Philharmon­ikern, ist er weltweit bekannt. Für das Frühjahr 2019 ist eine Amerikatou­rnee des Concertgeb­ouw vorgesehen. Dafür wie für die weiteren Konzerte, die mit Gatti geplant waren, springen nun andere Dirigenten ein.

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FOTO: DPA Daniele Gatti

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