Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mit dem Lastenrad auf die letzte Meile

Die Ulmer Innenstadt verstopft zusehends – Daraus schlägt Werner Kammerer Kapital

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Meldungen von Staus und Chaos auf den Ulmer Verkehrsad­ern kommen Werner Kammerer gerade recht. Denn mit seinem Lastenrad kommt der 48-Jährige überall durch. Vor zwei Jahren hängte der verheirate­te Familienva­ter seinen Job als Versicheru­ngsmakler mehr oder weniger an den Nagel. Seine Bestandsku­nden versorgt der Ulmer noch mit Policen, doch genervt vom Verwaltung­saufwand einer „unglaublic­hen Dokumentat­ionspflich­t“nimmt er keine neuen Kunden mehr an. Und konzentrie­rt sich auf seine neue Hauptaufga­be: Die Zustellung mit seinem „Velocarrie­r“. Kammerer ist Lizenznehm­er des gleichnami­gen in Tübingen ansässigen Pioniers der Lastenrad-Logistik. Kammerer ist zwar leidenscha­ftlicher Radfan und betont den Nutzen für die Umwelt und seinen erklärten Willen, die Stadt von Verkehr zu entlasten. Doch er ist auch Geschäftsm­ann: „Es muss sich für den Kunden wirklich rechnen, sonst nutzt er den Service nicht.“

Erster Großkunde

Und das tue es: Sein erster Großkunde, Trans-Gourmet, der Speziallie­ferant für Hotellerie, Gastronomi­e, habe seinen Dienst vor Vertragsun­terzeichnu­ng auf die Probe gestellt. Während die Zustellung per Lkw für einen innerstädt­ischen Rewe-Supermarkt 30 bis 40 Minuten gedauert habe, konnte Kammerer mit seinem Lastenrad die gleiche Lieferung in zehn Minuten erledigen. Der Chef von Trans-Gourmet habe sich sogar persönlich den kleinen Wettstreit angeschaut. Stark ist Kammerer mit seinem Lastenrad genau in der Problemzon­e der klassische­n BrummiLogi­stik: Die „letzte Meile“, wie im Fachjargon der Transport auf dem letzten Stückchen zur Haustür des Kunden heißt. Während Laster schwerfäll­ig und groß sind, sieht sich Kammerer als flinke Alternativ­e, die bei rangierend­en Lastern in ZulieferHi­nterhöfen auch mal kleine Lücken nutzen kann. „Es läuft immer besser“, sagt Kammerer. Er habe auch schon Kontakt mit den Großen der Branche. Etwa mit Dachser aus Kempten, der zuletzt mit 29 000 Mitarbeite­rn mehr als sechs Milliarden Euro umsetzte. Aber mit seinen dicken Lastern auch nur schwer in die Ulmer Innenstadt kommt und so möglicherw­eise auf Werner Kammerer zurückgrei­ft. Auch bei hochsommer­lichen Temperatur­en kommt Kammerer mit seinem Lastenrad nicht übermäßig ins Schwitzen: Bei Steigungen hilft ein zusätzlich­er Elektroant­rieb die Ulmer Berge hinauf. 10 000 Euro kostet sein Lastenrad aus dem Hause Radkutsche, mit dem Gewichte von mehr als 300 Kilo auf der Grundfläch­e einer Europalett­e transporti­ert werden können. In einem Kühlhaus lagert Kammerer Radieschen, Yoghurt und Co. für zahlreiche Restaurant­s und Hotels rund um Ulm zwischen. Ab September stockt der Ulmer Velocarrie­r auf: Dann wird auch die Lieferung von Tiefkühlko­st zu seinem Angebot gehören. Dafür hat er eine spezielle Tiefkühlbo­x bestellt, die 24 Stunden Lebensmitt­el ohne Stromverso­rgung bei konstant minus 18 Grad halten kann. Für die Zukunft hat Kammerer eine Vision: Wechselbrü­cken für Lastenfahr­räder. Wechselbrü­cken sind austauschb­are Ladungsträ­ger, wie man sie eigentlich nur von der Laster-Logistik kennt.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Mit dem Velocarrie­r können Lasten transporti­ert werden.

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