Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Flut des Unperfekten
2061 Porträtfotos hat Andy Reiner geschossen – Sein Kunstwerk zeigt er am Sonntag
GALMUTSHÖFEN - Das Unperfekte beginnt schon beim Namen: „Tausend Gesichter“wollte Andy Reiner fotografieren. Am Ende wurden es mehr als doppelt so viele. Porträts von alltäglichen Menschen, die in der Summe zu einem Kunstwerk werden. Die Ausstellung findet am Sonntag, 5. August, in Galmutshöfen statt. Ein Fotoprojekt, das auf Facebook zum Renner wurde, findet seinen Abschluss auf einem kleinen Bauernhof.
„Eigentlich ist es Wahnsinn, was ich da geplant habe“, sagt Reiner selbst. Wie viele Leute kommen werden, vermag er nicht zu sagen. Dass aber mindestens 2061 Menschen auf Fotos zu sehen sind, ist gewiss. „Wenn nur halb so viele da sind, wäre das schon toll.“Reiner hat eine Straße halbseitig sperren lassen, eine Band engagiert und Foodtrucks bestellt. „Es soll ein Fest werden“, sagt er. Der Abschluss einer sechsmonatigen Arbeit. Reiner hat mannshohe Blechtafeln im Garten aufgestellt, auf denen die Fotos im Polaroid-Format aufgehängt werden. Er will die Besucher mit sich selbst konfrontieren, aber auch die Reizüberflutung sichtbar machen. „Die Leute sind gezwungen, auszusieben“, erklärt er. Und er möchte, dass sich Menschen begegnen, die das sonst nur selten tun. In seiner gigantischen Porträtsammlung finden sich alle wieder, von Babys bis zu Senioren, vom Landwirt bis zum Banker.
„Die Flut an Bildern ist der Wahnsinn“, sagt er. „Das erschlägt einen.“Aber genau das wolle er erreichen.
Gekommen sei ihm die Idee im vergangenen Jahr. Nach einem Fotoprojekt über die Hinterbliebenen von Verstorbenen suchte Reiner nach einem Kontrast: „Ich brauchte was Spaßigeres.“Über Facebook schrieb er die Aktion „Tausend Gesichter“aus und nach zwei Wochen gingen die Anfragen durch die Decke.
Die Leute standen bald Schlange in Galmutshöfen. Ein Porträt zum Preis von einem Euro, das war der Deal. „Manche sind erschrocken, als sie gesehen haben, wie ich lebe“, erzählt er. Statt in einem Fotostudio fanden sich die Gäste auf einem Dachboden in Reiners Bauernhaus wieder. Die einzige Beleuchtung war eine alte Stehlampe – passend zu der Philosophie des Fotografen: „Ich wollte kein Hochglanz, keine BeautyFotografie.“Stattdessen unperfekte, aber ehrliche Bilder, ohne Schnickschnack.
Gesichter mit Falten
Das passte nicht jedem. Manche richteten sich die Haare, fingen an zu posen vor der Kamera. Ein Fotomodel habe nachträglich darum gebeten, Pickel und Falten zu retuschieren. „Ich bin doch kein Hautarzt“, sagt Reiner. Wer aber Bedenken hatte, denen machte er Mut. „Ich bin nicht so fotogen“, hätten manche gesagt. Reiner antwortete: „Stell dich nicht an und komm einfach vorbei.“Das Resultat spiegle nun die gesamte Gesellschaft wider.
Drei Fotos habe er aus der Sammlung entfernt, die Zeit für Diskussionen sei ihm zu schade gewesen. Dafür saßen nach den Shootings viele Gäste noch länger bei ihm, tranken Bier und unterhielten sich. „Manche wollten gar nicht mehr gehen.“
In kurzer Zeit habe er mehr fotografiert als in all den Jahren zuvor, selbst Fotografen in anderen Städten Deutschlands wurden auf die Aktion aufmerksam. Ein reines MarketingProjekt sei „Tausend Gesichter“aber sicherlich nicht, betont Reiner. Zeit und Aufwand wolle er gar nicht rechnen. Vielleicht noch ein bisschen „Ruhm und Ehre“.
Und wenn am Sonntag hunderte Gäste in das kleine Galmutshöfen strömen, um 2061 simple SchwarzWeiß-Porträts zu bestaunen, dann wird das tatsächlich an Wahnsinn grenzen. Aber wo der Wahnsinn ist, ist das Genie ja bekanntlich nicht weit.