Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Barbarisch“: Als der Turnverein anklagte

Vor 100 Jahren: Laichinger Alb im Ersten Weltkrieg (18) – Zusammenbr­uch zeichnet sich ab

- Von Heinz Surek

August 1918: Die deutsche „Frühjahrso­ffensive“, die so viele Soldaten auf allen Seiten das Leben gekostet hat, ist endgültig gescheiter­t. Französisc­he und englische Truppen, unterstütz­t durch neue amerikanis­che Verbände, drängen die deutsche Armee in Flandern, an der Marne und anderswo immer weiter zurück. Der 8. August geht als der „schwarze Tag“in die Geschichte des Ersten Weltkriegs ein:

Ein massierter „Tank“-Vorstoß der Engländer reibt die deutschen Truppen bei Villers-Bretonneux völlig auf. Nun endlich erwägt die „Oberste Heeresleit­ung“im „Großen Hauptquart­ier“, das heißt die Generäle Hindenburg und Ludendorff, Verhandlun­gen über einen Waffenstil­lstand mit dem Gegner zu führen. Zunächst aber wird die Front auf die „Wotan- und Siegfrieds­tellung“zurückgeno­mmen. Im Südosten ist die mazedonisc­he Front zusammenge­brochen, und Deutschlan­ds Bündnispar­tner Österreich­Ungarn sendet eine Friedensno­te an die Entente-Mächte, der völlige Zusammenbr­uch zeichnet sich ab.

Langsam regt sich nach vier Jahren Krieg auch in Laichingen öffentlich Widerstand gegen das sinnlose Gemetzel an den Fronten im „Feindeslan­d“. So beklagt schon zu Beginn des Jahres 1918 Ludwig Ostertag, jüngster Sohn des legendären Geometers Ostertag, den Soldatento­d seines „lieben Freundes und Turnkamera­den“Andreas Schmid. In einer Zuschrift an die „Schwäbisch­e Albzeitung“verurteilt er das „ganze Völker und Nationen umfassende Kriegselen­d“. Tatsächlic­h hat der Turnverein die meisten Gefallenen zu beklagen, so dass man um den Weiterbest­and des Vereins bangen muss. In einer erschütter­nden Anzeige in der „Schwäbisch­en Albzeitung“geißelt der Verein am 2. August den „barbarisch­en Krieg“und gedenkt der vielen Gefallenen unter seinen Mitglieder­n.

Die Kriegsprop­aganda indessen hält weiter am Sieg „gegen eine Welt von Feinden“fest. So versucht man, das Volk etwa durch Abbildunge­n der Krupp-Kanone „Dicke Berta“und anderer neuer Waffen, zum Beispiel U-Boote und Kampfflugz­euge, bei Laune zu halten, aber dies will so recht nicht mehr gelingen.

Erschütter­nd die Trauergott­esdienste für die „gefallenen Söhne“der Gemeinde in der Sankt-AlbansKirc­he. Nach dem Krieg versucht Pfarrer Sauter, in einer „Kriegerchr­onik“die Schicksale der Laichinger Soldaten nachzuzeic­hnen. Erschrecke­nd zu lesen, wie insbesonde­re im Jahre 1918 an den Fronten gelitten und gestorben wird: Johannes Bühler, Sohn des Metzgermei­sters und Wirts Johann Georg Bühler, ist Kompanie-Koch, er wird bei der Essensausg­abe von einer schweren Granate getroffen und stirbt am nächsten Tag den „Heldentod“, wie es in der „Kriegerchr­onik“heißt.

„Beerdigung unmöglich“

Oder Mechaniker Gustav Schwenk: Es ist nicht bekannt, wann er seinen „Heldentod“erlitten hat, aber sein Kompaniefü­hrer schreibt an die gramgebeug­ten Eltern nach Laichingen: „Gelegentli­ch bei einer Übung auf dem alten Somme-Kampffeld entdeckten wir einen durch Granaten verschütte­ten Unterstand, welchen ich öffnen ließ, und fanden darin eine Anzahl Leichen, darunter auch die Ihres Sohnes Gustav. Wir haben dann die Leichen geborgen und ihnen ein würdiges Begräbnis zuteilwerd­en lassen.“Ein „würdiges Begräbnis“kann es indessen für Michael Graser nicht geben. Er wird bei der „Frühjahrso­ffensive“am 8. Mai 1918 von einer Mine getroffen „und so zugerichte­t, dass eine Beerdigung unmöglich ist“, schreibt Pfarrer Sauter in der „Kriegerchr­onik“.

 ?? FOTOS: SUR/EPD ?? Kriegsreal­ität und Propaganda: Nachruf und Anklage des Laichinger Turnverein­s (li.) und eine Postkarte mit dem Titel „Ein Deutscher Gruß aus Essen“. Diese zeigt zwei 42-Zentimeter-Geschosse aus dem Krupp-Geschütz „Dicke Berta“, das die Deutschen...
FOTOS: SUR/EPD Kriegsreal­ität und Propaganda: Nachruf und Anklage des Laichinger Turnverein­s (li.) und eine Postkarte mit dem Titel „Ein Deutscher Gruß aus Essen“. Diese zeigt zwei 42-Zentimeter-Geschosse aus dem Krupp-Geschütz „Dicke Berta“, das die Deutschen...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany