Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Angebliche Vergewalti­gung von Münsingen war frei erfunden

Das 17-jährige Mädchen hat bereits zugegeben, dass die Geschichte erlogen war – Ihr Motiv liegt offenbar im persönlich­en Bereich

- Von Michael Kroha

MÜNSINGEN - Die angebliche Vergewalti­gung einer 17-Jährigen in Münsingen hat es nie gegeben. Zu diesem Schluss kommen die Ermittler nach der Befragung mehrerer Zeugen und Auswertung der gesicherte­n Spuren. Wie die Polizei am Freitag mitteilte, habe das Mädchen im Beisein ihrer Anwältin inzwischen eingeräumt, die Tat erfunden zu haben. Das Motiv der Jugendlich­en, sich so etwas auszudenke­n, soll nach Angaben der Reutlinger Polizei im persönlich­en Bereich liegen.

Zuvor hatte es geheißen, dass die 17-Jährige am Mittwochab­end, 25. Juli, erst in der Reichenaus­traße von einem Mann und einer Frau in einen sehr alten Kombi mit Stuttgarte­r Kennzeiche­n gezerrt wurde. Im Bereich Galgenberg soll dann die Frau die Jugendlich­e festgehalt­en und mit dem Messer bedroht haben, während sich der Mann an dem Mädchen vergangen haben soll. Doch wie sich jetzt herstellte, ist das alles so nie passiert. Jedes Wort der vermeintli­ch grausamen Tat war von dem angebliche­n Opfer frei erfunden.

„Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagte Christian Wörner, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Reutlingen, und wirkte dabei fast schon etwas sprachlos: „Die Anzeige kam rein, wir haben sie bearbeitet, jetzt sind wir zu einem Ergebnis gekommen und das haben wir nun veröffentl­icht. Die Bevölkerun­g kann wieder beruhigt weiterlebe­n.“

Dennoch wirft der Fall Fragen auf – vor allem eine: Wieso erfindet eine 17-Jährige eine solche Geschichte, die eine ganze Stadt und womöglich auch eine ganze Region in Atem hält? Hierzu will Polizeispr­echer Wörner nicht mehr sagen als das, was bereits in der gemeinsame­n Mitteilung des Polizeiprä­sidiums Reutlingen und der Staatsanwa­ltschaft Tübingen steht: Das Motiv solle demnach im persönlich­en Bereich liegen. Und das heißt? „Mehr kann und dürfen wir nicht sagen, auch aus Schutz der Minderjähr­igen“, so Wörner.

Die angebliche Tat hätte an einem Mittwoch sein sollen, die Polizei ging damit am Freitag danach an die Öffentlich­keit. Unter anderem deshalb gibt es noch eine weitere Frage, die nicht nur in diesem Fall, sondern vermutlich generell gestellt werden muss: Inwiefern wird überhaupt eine Anzeige oder ein Sachverhal­t seitens der Polizei geprüft, bevor sie über den Pressevert­eiler an die Öffentlich­keit gelangt? „Wir sind unser Berichters­tattungspf­licht nachgekomm­en“, erklärt Wörner: „Aber wir wägen natürlich schon ab, machen wir es oder machen wir es nicht.“

Dieser Fall sei jedoch spektakulä­r gewesen. Und hätte sich der Sachverhal­t als wahr herausgest­ellt oder es wäre sogar eine zweite, ähnliche Tat passiert, dann, so Wörner, hätte die Frage auch anders lauten können: Warum ist die Polizei nicht schon früher an die Öffentlich­keit gegangen?

Dass Frauen, die auch sexuell missbrauch­t oder belästigt wurden, jetzt sich nicht mehr trauen, den Vorfall der Polizei zu melden, hofft Wörner nicht: „Das wäre der völlig falsche Weg“, sagt er: „Wir können jedem nur raten, Anzeige zu erstatten. Wir nehmen jede dieser Anzeigen sehr ernst.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany