Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wenn die Innenstadt zur Manege wird
Die zweite Auflage von „Kultur auf der Straße“bietet starke Auftritte und tolle Künstler – nach zähem Start
NEU-ULM - Ya-Ya und Gal Baz haben ihre mobile Bar in der Ludwigstraße aufgebaut. In der prallen Sonne. Den beiden Israelis läuft der Schweiß über die Gesichter. Heiß ist es, und Schwüle liegt über Neu-Ulm bei der zweiten Auflage von „Kultur auf der Straße“. Ya-Ya und Gal Baz – alias Duo Looky – mixen den Zuschauern beim Neu-Ulmer Festival der Straßenkultur im Rahmen ihrer „Happy Hour Show“allerdings keine kühlen Drinks, sondern sie präsentieren Comedy und Akrobatik zu einer Geschichte, die vom Traum eines Barmannes und einer Serviererin vom Ruhm in der großen weiten Welt erzählt. Würden Cocktails tatsächlich unter solch erschwerten Bedingungen entstehen – mit Rock’n’Roll-Elementen und Balance-Acts beim Mixen – sie wären wahrscheinlich unbezahlbar.
Was das Wetter angeht, ist „Kultur auf der Straße“verwöhnt – auch bei der erfolgreichen Premiere 2017 herrschte schönstes Sommerwetter. Aber bei Ausgabe Nummer zwei ist manches anders: Der Schwerpunkt des Programms liegt noch mehr auf Artistik und Straßentheater, weil sich weniger Musiker angemeldet haben. Und das Programm verteilt sich über mehr Fläche: Neben Ludwigsstraße, Rathausplatz, Johannesplatz, Petrusplatz und Heiner-Metzger-Platz wird nun auch ein Teil der Friedenstraße bespielt. Dazwischen warten ziemlich viele Essensstände auf die Besucher, die vom klassischen Streetfood bis zu außergewöhnlichen Geschmacksexperimenten wie HanfCrepes mit exotischem Aufstrich aus Ananas, Kokos, Limette und Rum.
Allerdings dauert es, bis die Veranstaltung in Gang kommt: Gut drei, vier Stunden dauert es, bis sich das weitläufige Festivalgelände füllt. Es mag vielleicht daran liegen, dass am Nachmittag die Ulmer SSV-Fußballer DFB-Pokal-Titelverteidiger Eintracht Frankfurt im ausverkauften Donaustadion empfangen (und aus dem Wettbewerb werfen). Vielleicht freuen sich die Besucher aber auch über die längere Laufzeit am Abend. Tatsächlich wird ihre Zahl nach Angaben der Stadt am Ende sogar etwas höher sein als bei der ersten Ausgabe. Die Schätzung: 7000 bis 8000.
Ein Wiedersehen gibt es mit drei der vier Gewinnern der ersten Auflage – mit dem argentinischen Artisten-Duo Cia Intrépidos, mit den Ulmer Breakdancern von Underground Movement und der Blasmusik-Truppe Käsekrainer, die Organisatorin Mareike Kuch alle eingeladen hat. Nur der Spanier Maurangas fehlt wegen einer Autopanne.
So wie Ya-Ya und Gal Baz sind auch die Pflaster-Spektakel des spanischen Trios La La La, eines Paares, dessen Kinder schon einen Part in der Show haben, stets von Menschengruppen umringt, ähnlich wie der Zauberkünstler Charlie Martin oder Showman Guga Morales. Luftballon-Kunst spielt bei etlichen der Artisten eine wichtige Rolle: Charlie Martin lässt erwachsene Männer mit seinen Luftballon-Waffen wie mittelalterliche Ritter kämpfen, der chilenische Zauberer Mago Conejo formt Luftballon-Gestalten, und der Spanier Guga Morales fertigt einem kleinen Jungen ein Luftballon-Schwert – um dann zu „Peace in the world, no fighting!“aufzurufen. Die Waffe des jungen Zuschauers bekommt an die Spitze ein Luftballon-Puffer-Bällchen, das der Kleine – ganz unpazifistisch – danach am liebsten wieder los werden würde. Inzwischen holt sich Morales als romantischer Torero mit Rose zwischen den Lippen eine Zuschauerin aus der Menge, die ihm assistieren darf, während er mit Gläsern auf Messers Schneide jongliert.
Doch abseits von StraßenClownerin und komödiantischer Artistik entdecken die Besucher ganz andere Formen der Straßenkultur. So wie das italienisch-argentinische Duo Masawa, dessen um einen roten Apfel und die (durchaus erotische) Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau kreisende Show näher an modernem Ballett als an einer Zirkusnummer ist – so dicht, dass man sich kaum zu klatschen traut. Vor allem nicht am Anfang, bei dem das Duo mit verbundenen Augen agiert. Offene Münder sieht man bei den muskelbepackten Living Flags aus Regensburg, die an der Vertikalstange die Schwerkraft außer Kraft zu setzen scheinen, stilvoll begleitet von Frank Sinatra. Eine besondere Szene erlebt die aus Berlin angereiste Gruppe Trouble Notes: Als sie auf dem Petrusplatz spielt, endet gerade eine Hochzeit in der Kirche – und die Band spielt, auf Wunsch aus der Festgesellschaft, zum Brauttanz auf. Ein romantischer, fast kitschiger Moment, den man sich nicht schöner ausdenken könnte.
Später können die Trouble Notes sogar noch selbst feiern: Sie gewinnen den mit 800 Euro dotierten ersten Preis in der Kategorie Musik, gefolgt von dem jungen Liedermacher Maximilian Jäger. Bei den Artisten hat sich die Jury für das Duo Masawa und Zauberer Charlie Martin entschieden. Der Publikumspreis (500 Euro) bleibt in der Region: bei den Breakdancern von Underground Movement.