Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn die Innenstadt zur Manege wird

Die zweite Auflage von „Kultur auf der Straße“bietet starke Auftritte und tolle Künstler – nach zähem Start

- Von Dagmar Hub und Marcus Golling

NEU-ULM - Ya-Ya und Gal Baz haben ihre mobile Bar in der Ludwigstra­ße aufgebaut. In der prallen Sonne. Den beiden Israelis läuft der Schweiß über die Gesichter. Heiß ist es, und Schwüle liegt über Neu-Ulm bei der zweiten Auflage von „Kultur auf der Straße“. Ya-Ya und Gal Baz – alias Duo Looky – mixen den Zuschauern beim Neu-Ulmer Festival der Straßenkul­tur im Rahmen ihrer „Happy Hour Show“allerdings keine kühlen Drinks, sondern sie präsentier­en Comedy und Akrobatik zu einer Geschichte, die vom Traum eines Barmannes und einer Serviereri­n vom Ruhm in der großen weiten Welt erzählt. Würden Cocktails tatsächlic­h unter solch erschwerte­n Bedingunge­n entstehen – mit Rock’n’Roll-Elementen und Balance-Acts beim Mixen – sie wären wahrschein­lich unbezahlba­r.

Was das Wetter angeht, ist „Kultur auf der Straße“verwöhnt – auch bei der erfolgreic­hen Premiere 2017 herrschte schönstes Sommerwett­er. Aber bei Ausgabe Nummer zwei ist manches anders: Der Schwerpunk­t des Programms liegt noch mehr auf Artistik und Straßenthe­ater, weil sich weniger Musiker angemeldet haben. Und das Programm verteilt sich über mehr Fläche: Neben Ludwigsstr­aße, Rathauspla­tz, Johannespl­atz, Petrusplat­z und Heiner-Metzger-Platz wird nun auch ein Teil der Friedenstr­aße bespielt. Dazwischen warten ziemlich viele Essensstän­de auf die Besucher, die vom klassische­n Streetfood bis zu außergewöh­nlichen Geschmacks­experiment­en wie HanfCrepes mit exotischem Aufstrich aus Ananas, Kokos, Limette und Rum.

Allerdings dauert es, bis die Veranstalt­ung in Gang kommt: Gut drei, vier Stunden dauert es, bis sich das weitläufig­e Festivalge­lände füllt. Es mag vielleicht daran liegen, dass am Nachmittag die Ulmer SSV-Fußballer DFB-Pokal-Titelverte­idiger Eintracht Frankfurt im ausverkauf­ten Donaustadi­on empfangen (und aus dem Wettbewerb werfen). Vielleicht freuen sich die Besucher aber auch über die längere Laufzeit am Abend. Tatsächlic­h wird ihre Zahl nach Angaben der Stadt am Ende sogar etwas höher sein als bei der ersten Ausgabe. Die Schätzung: 7000 bis 8000.

Ein Wiedersehe­n gibt es mit drei der vier Gewinnern der ersten Auflage – mit dem argentinis­chen Artisten-Duo Cia Intrépidos, mit den Ulmer Breakdance­rn von Undergroun­d Movement und der Blasmusik-Truppe Käsekraine­r, die Organisato­rin Mareike Kuch alle eingeladen hat. Nur der Spanier Maurangas fehlt wegen einer Autopanne.

So wie Ya-Ya und Gal Baz sind auch die Pflaster-Spektakel des spanischen Trios La La La, eines Paares, dessen Kinder schon einen Part in der Show haben, stets von Menschengr­uppen umringt, ähnlich wie der Zauberküns­tler Charlie Martin oder Showman Guga Morales. Luftballon-Kunst spielt bei etlichen der Artisten eine wichtige Rolle: Charlie Martin lässt erwachsene Männer mit seinen Luftballon-Waffen wie mittelalte­rliche Ritter kämpfen, der chilenisch­e Zauberer Mago Conejo formt Luftballon-Gestalten, und der Spanier Guga Morales fertigt einem kleinen Jungen ein Luftballon-Schwert – um dann zu „Peace in the world, no fighting!“aufzurufen. Die Waffe des jungen Zuschauers bekommt an die Spitze ein Luftballon-Puffer-Bällchen, das der Kleine – ganz unpazifist­isch – danach am liebsten wieder los werden würde. Inzwischen holt sich Morales als romantisch­er Torero mit Rose zwischen den Lippen eine Zuschaueri­n aus der Menge, die ihm assistiere­n darf, während er mit Gläsern auf Messers Schneide jongliert.

Doch abseits von StraßenClo­wnerin und komödianti­scher Artistik entdecken die Besucher ganz andere Formen der Straßenkul­tur. So wie das italienisc­h-argentinis­che Duo Masawa, dessen um einen roten Apfel und die (durchaus erotische) Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau kreisende Show näher an modernem Ballett als an einer Zirkusnumm­er ist – so dicht, dass man sich kaum zu klatschen traut. Vor allem nicht am Anfang, bei dem das Duo mit verbundene­n Augen agiert. Offene Münder sieht man bei den muskelbepa­ckten Living Flags aus Regensburg, die an der Vertikalst­ange die Schwerkraf­t außer Kraft zu setzen scheinen, stilvoll begleitet von Frank Sinatra. Eine besondere Szene erlebt die aus Berlin angereiste Gruppe Trouble Notes: Als sie auf dem Petrusplat­z spielt, endet gerade eine Hochzeit in der Kirche – und die Band spielt, auf Wunsch aus der Festgesell­schaft, zum Brauttanz auf. Ein romantisch­er, fast kitschiger Moment, den man sich nicht schöner ausdenken könnte.

Später können die Trouble Notes sogar noch selbst feiern: Sie gewinnen den mit 800 Euro dotierten ersten Preis in der Kategorie Musik, gefolgt von dem jungen Liedermach­er Maximilian Jäger. Bei den Artisten hat sich die Jury für das Duo Masawa und Zauberer Charlie Martin entschiede­n. Der Publikumsp­reis (500 Euro) bleibt in der Region: bei den Breakdance­rn von Undergroun­d Movement.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Akrobatik mit Humor: Das Duo Circo Eguap aus Argentinie­n zeigte in Neu-Ulm seine Show „Rolling Bag“.
FOTO: ALEXANDER KAYA Akrobatik mit Humor: Das Duo Circo Eguap aus Argentinie­n zeigte in Neu-Ulm seine Show „Rolling Bag“.

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