Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Auf Salz gebaut
Das Weiße Gold hat Lüneburg reich gemacht – der Wohlstand ist heute noch sichtbar
LÜNEBURG (dpa) - Eine Salzreise in die Hansestadt Lüneburg steckt voller Geschichte und Gegenwart, Lehrreichem und Illustrem, traditioneller Würze und köstlicher Neuschöpfungen. Eine Salzmassage rundet das Urlaubserlebnis ab.
Die Eintrittskarte ist ein kleines Tütchen Salz, gut verschweißt. Genug für ein Frühstücksei. „Industriedenkmal, Deutsches Salzmuseum“steht darauf. Willkommen in der Salzstadt Lüneburg.
Mehr als 1000 Jahre lang hat das Salz das Leben der Hansestadt bestimmt, ihren Bürgern Reichtum gebracht. Das Salzwerk stellte den Betrieb 1980 wegen mangelnder Rentabilität ein. Seit 1989 erinnert das Deutsche Salzmuseum auf dem Salinengelände an seine Geschichte. Begrüßt werden Besucher in der Ausstellung von einem monströsen, illuminierten Steinsalzklotz. Tonnenschwer, schulterhoch, 230 Millionen Jahre alt. Eine Schautafel erklärt, wofür Salz in Deutschland heute noch genutzt wird: als Speisesalz (drei Prozent), als Gewerbesalz (fünf Prozent), als Auftausalz (zwölf Prozent) und in der Industrie (80 Prozent).
Tief in der Erde
Ein Stückchen weiter führt eine Rampe hinab in einen nachgebauten Stollen. Eng und schummrig ist es, keine ideale Arbeitsumgebung. Doch die Lüneburger Solequellen kamen nicht bis an die Erdoberfläche. Sie mussten unterirdisch durch Bergwerksstollen nutzbar gemacht werden. Seit dem 13. Jahrhundert wurden die Quellen in einen Solebrunnen geleitet und daraus an die Erdoberfläche gefördert. Der Salzstock beginnt etwa 40 Meter unter der Erde, mindestens 4000 Meter reicht er in die Tiefe. Lüneburg ist auf Salz gebaut.
Der Sage nach waren es pflanzenfressende Tiere, die den Menschen früher vielerorts den Weg zu salzhaltigen Quellen wiesen. In Lüneburg soll es ein Wildschwein gewesen sein. „Wir Lüneburger haben halt Schwein gehabt“, sagt Verena Fiedler, Stadtführerin und Lüneburgerin. „Unser Bodenschatz, das Salz, hat Lüneburg in der Hanse nach vorn katapultiert. Nürnberg war im Mittelalter die reichste Stadt. Dann kam schon Lüneburg.“Nicht fehlen auf der Salzreise dürfen deshalb die Wildschweinknochen, die in einem kleinen Schrein aus Holz und Glas unter der Decke des Rathauses baumeln. „Jäger erlegten im Wald eine Wildsau, deren eigentlich schwarzbraune Borsten eine weiße Kruste hatten: Salzkristalle“, fasst Fiedler die Sage zusammen. „Pfiffig dachten sie, die muss sich in einer Salzquelle gesuhlt haben. Man grub dem Wasser nach – und entdeckte die Quelle.“Ob die Reliquien, die dort in der alten Kanzlei hängen, tatsächlich von der Originalwildsau stammen? Das wolle man in Lüneburg gar nicht untersuchen lassen. „Wir wollen uns doch nicht der Illusion berauben“, sagt Fiedler und ihre blauen Augen funkeln amüsiert hinter der rotumrahmten Brille.
Bare Münze
Dann schlendert die gelernte Fotografin durch das Rathaus, dessen Grundstein 1230 gelegt wurde. Sie gestikuliert nach links, rechts, oben und unten – „das älteste Fenster der Welt in einem Profanbau“, „die Gerichtslaube, in der das Stadtparlament tagte“, „Wappentafel der Salzhändler“, „der Silberschatz“, „Pokale, die man hätte einschmelzen können, um sie in Kriegszeiten zu Münzen zu machen“. Wohlstand, so weit das Auge reicht. „Wir sind wer, das wird hier deutlich gezeigt“, sagt Fiedler.
Praline aus Salz
Salz war im Mittelalter wesentlich, weil es die einzige Chance zum Haltbarmachen von Lebensmitteln bot. Während Lüneburgs Kaufleute, die Salzherren, die Geschicke der Stadt im Rathaus bestimmten, sorgten die Salzarbeiter für Nachschub. „Die hatten Zwölf-Stunden-Tage, wurden im Schnitt nur 35 Jahre alt, hatten fünf Tage im Jahr frei“, skizziert Fiedler eine Schattenseite der Salzdynastie.
Das Weiße Gold ist noch heute omnipräsent in der Stadt mit ihren 76 000 Einwohnern. Es gibt zum Beispiel die „Pralüne“, eine schokoladige Salzpralinenkreation mit Saukopf, gefertigt von der Lüneburger Schokoladenmanufaktur. Ein Restaurant serviert Fisch in Lüneburger Salzkruste. Wenige Häuser weiter steht das Salzkontor, wo damals die Preise ausgehandelt wurden. Im Fenster der örtlichen Juweliere lassen sich Ringe und Armreifen mit Schweinemotiven begutachten. In der Lüneburger Bonbonmanufaktur werden Salz-Lakritz-Pastillen, Salzlakritze, Lüneburger Salz-Stinte verkauft. Alles handgemacht.
Der wunderbare, klebrig-würzigsüßliche Geschmack auf der Zunge hält bis zum alten Salzspeicher am Hafen. Fiedler zeigt auf ein schmales, etwa 20 Meter langes, dunkles Holzboot. „Ein Ewer, ein Salzschiff. Darauf wurde das Salz als Schüttgut transportiert. Bis zu 20 Tonnen“, erklärt sie. „Auf dem Rückweg brachte man Getreide und anderes mit.“
Vom 14. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts transportierten die Ewer das Lüneburger Salz über die Ilmenau Richtung Lübeck und Hamburg. Dort wurde es zwischengelagert, auf Koggen verladen und weiter verschifft. „Der Schiffsweg war sicherer als der mit dem Fuhrwerk“, weiß die Lüneburgerin. „Salz war Gold wert.“
Man kann dieses Gold an entsprechender Stelle sogar einatmen. Das 1907 im Kurpark errichtete und 1927 erweiterte Gradierwerk war von Anfang an eine Einrichtung zur Behandlung von Atemwegsproblemen. Gespeist von der Solequelle der Stadt tröpfelt salzhaltiges Wasser über Schwarzdorn-Reisig. Soletropfen werden versprüht, die Atemluft in der Umgebung mit Salz angereichert.
Was nun noch fehlt, ist ein bisschen Entspannung nach den vielen Eindrücken. Die finden Touristen in der Salztherme Lüneburg. „Früher war Lüneburg eine Salzstadt, nun ist sie seit ein paar Jahren auch Touristenstadt“, meint Henrik Rilke. Er ist Masseur sowie medizinischer Bademeister und pumpt wohlriechendes Massageöl aus einer schlichten Flasche. „Man braucht mehr Öl als sonst, weil Salz Öl aufnimmt“, sagt er. Dann beginnt die Salzmassage. Wider Erwarten brennt das Salz kein bisschen. Stattdessen regt es angenehm die Durchblutung an. Am Ende eines langen Tages fühlt man sich – sauwohl.