Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alina Reh im großen Interview

Laichinger Läuferin über die EM, Olympia 2020 – und sie kritisiert die ARD.

- (lacht)

LAICHINGEN - Mit ausgestrec­kten Armen überquert Alina Reh die Ziellinie im Berliner Olympiasta­dion. Was die Laichinger­in zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Sie hat nur knapp eine Medaille bei der Leichtathl­etik-Europameis­terschaft über 10 000 Meter verpasst. Direkt nach ihrem Rennen wird die 21-Jährige von Journalist­en damit konfrontie­rt, dass die schwedisch­e Läuferin vor ihr, die Drittplatz­ierte, unter Doping-Verdacht steht und Alina Reh deshalb womöglich nachträgli­ch Bronze bekommen könnte. Wie sie darüber denkt, was sie vom Fernbleibe­n der Bundeskanz­lerin von der EM in Berlin hält und wie ihr Weg bis zu den Olympische­n Spielen 2020 in Tokio aussieht, darüber hat SZ-Redakteur Michael Kroha mit ihr gesprochen.

Alina Reh, was wird Ihnen von der EM in Erinnerung bleiben? Alina Reh: Viel. Ich hätte nicht gedacht, dass es so riesig wird. Es war echt richtig viel los, gute Stimmung und ein cooles Ereignis für jeden. Auf

dem Breitschei­dplatz wurde ich zum Beispiel zigmal mit und von Fans fotografie­rt. Das realisiert man erst im Nachhinein, was da los war.

Ist das für Sie so neu, dass sich Fans mit Ihnen fotografie­ren lassen wollen?

Direkt nach dem Wettkampf nicht, aber nach Tagen schon. Viele haben erzählt, dass sie das Rennen gesehen haben. Teilweise waren sie auch im Stadion. Mit so viel Zuspruch habe ich nicht gerechnet.

Obwohl von Ihrem Rennen im Fernsehen wenig gezeigt wurde.

Ja. Und ich glaube, gerade deswegen haben mich die Menschen angesproch­en. Es kamen viele, die es blöd fanden, dass im Fernsehen nichts kam, aber sie hätten es trotzdem verfolgt.

Als Sie im Ziel waren, war nicht sofort klar, ob Sie jetzt Platz vier oder fünf erreicht haben. Wie haben Sie Ihren Zieleinlau­f erlebt?

Das war sehr komplizier­t. Bereits während dem Rennen habe ich nie gewusst, auf welcher Position ich bin. Im Ziel habe ich auf die Uhr geschaut und dachte mir: ,32:28. Oh Mann! Das war überhaupt nicht das, was du wolltest, Alina!‘ Es waren schon viele Läuferinne­n im Ziel. Ich war ein bisschen enttäuscht. Doch in der Mixed-Zone wurde mir erst gesagt, dass ich Fünfte geworden bin. Später habe ich dann erfahren, dass ich Vierte bin. Das Problem war, dass eine Ukrainerin eine Runde zu früh aufgehört hat und trotzdem im Endergebni­s auftauchte.

Aber jetzt sind Sie mit Ihrem Rennen zufrieden?

Auf jeden Fall. Wenn man sieht, welche Läuferinne­n ich hinter mir gelassen habe. Und ich hatte anfangs ja auch gesagt: Top 5 wäre das Ziel.

Aber auch, dass eine Medaille ganz schön wäre...

Top 5 war schon hoch gegriffen. Als ich die Startliste gesehen habe, hatte ich mir gedacht: Boah Alina, wie konntest du nur? Nach den Bestzeiten aller lag ich nur auf Position elf.

Wie groß sind noch Ihre Hoffnungen, dass Sie Bronze bekommen?

Darüber mache ich mir keine Gedanken mehr. Ich bin mit Platz vier voll zufrieden. So ist auch der Druck für die kommenden Jahre nicht ganz so hoch.

Verfolgen Sie die Angelegenh­eit um die Schwedin Bahta noch? Nein. Aber dass sie unter Doping-Verdacht steht, haben Sie erst in der MixedZone erfahren?

Ja. Ein Journalist hat es mir erzählt. Ich war ziemlich verdutzt, als ich hörte, dass sie drei Doping-Tests nicht wahrgenomm­en haben soll.

Ist das denn noch Zufall?

Sie ist viel unterwegs, auch auf Trainingsl­agern. Ich habe noch keinen Misstest. Und wenn, verfällt dieser eigentlich auch nach einem Jahr. Und man kann auch angeben, wann man wo auf jeden Fall für eine Stunde am Tag anzutreffe­n ist. Wie es aber bei ihr dazu gekommen ist, weiß ich nicht.

Ihre vermeintli­chen Aussagen dazu haben für ein großes Medienecho gesorgt. Dabei sind Sie ja sonst recht schüchtern. Überlegen Sie sich in Zukunft noch mehr, was Sie sagen?

Auf jeden Fall. Es kam völlig falsch rüber, was geschriebe­n wurde. Es wurde zwar schon mal etwas anders verstanden, aber dass es so komplett erfunden wurde, ist schon ziemlich komisch. Das Interview mit den Journalist­en war auf Englisch. Er hat ziemlich direkt in der Angelegenh­eit gefragt. Ich habe gesagt, dass ich mich dazu nicht äußere, weil ich nichts davon weiß.

Sie haben sich aber auch über die ARD beklagt, dass Ihr Rennen zu wenig gezeigt wurde?

Ja. Ich war enttäuscht über die Berichters­tattung der ARD, weil ich auch wusste, dass sich viele Menschen in Laichingen den Lauf gerne angeschaut hätten. Es war ein Abend, an dem die Werfer extrem dominiert haben. Das wusste ich im Vorfeld, als ich den Plan gesehen habe: Kugelstoßf­inale der Frauen und vor allem das Diskusfina­le der Männer mit Robert Harting.

Da waren Sie vermutlich froh, als Hartings Bruder die Quali nicht geschafft hat.

Genau. Da haben wir 10 000-Meter-Läufer gedacht, dass immerhin ein bisschen gezeigt wird. Aber anscheinen­d wurde lieber gezeigt, wie Robert Harting die Schuhe auszieht. Dass sein Abschied gebührend gefeiert wird, das ist ja ok. Aber mein Lauf ging ein bisschen unter, auch im Stadion. Erst als ich auf die Türkin Can aufgelaufe­n bin, wurde es laut. Zuvor fehlte auch vom Stadionspr­echer die Präsenz.

Kugelstoße­rin Christina Schwanitz fehlte auch die Präsenz der Bundeskanz­lerin. Wie sehen Sie das?

Ich wäre da vermutlich nie darauf gekommen. Aber irgendwo hat sie Recht. Ich bin mit ihr zur Pressekonf­erenz gefahren. Da hat sie mir erzählt, dass sie verärgert ist. Und es stimmt schon: Wenn Angela Merkel bis nach Rio fliegen kann für Fußballer und sich in der Kabine aufhält, dann fragt man sich schon ein bisschen, was ist eigentlich der Stellenwer­t der Leichtathl­etik? Hinzu kommt, dass es ja in Berlin war. Da hätte sie nur ihrem Chauffeur sagen müssen, er soll sie da

mal hinfahren. Aber da sieht man, wie der Fußball in Deutschlan­d dann doch dominiert.

Aber das Event an sich, also die European Championsh­ips zusammen mit den Wettkämpfe­n in Glasgow, hat Ihnen gefallen?

Ich würde es besser finden, wenn alles in einer Stadt ausgetrage­n wird. In Glasgow soll die Stimmung auch richtig gut gewesen sein. Aber wir haben von Glasgow nicht viel mitbekomme­n – außer über den Fernseher. Aber das Prinzip ist richtig gut.

Sie haben zwar noch keinen Vergleich mit Olympische­n Spielen. Kommt das aber so in etwa hin?

Ich glaube, nicht ganz.

Beim Marathon haben Sie aber schon deutsche Sportler unterstütz­t. Wie kam es dazu?

Die Bundestrai­nerin hat mich gefragt. Dann habe ich gesagt: ,Ja klar.‘ Dann sieht man auch, was beim Marathon in Sachen Verpflegun­g so abgeht. Das ist eine Wissenscha­ft für sich. Wir mussten aufpassen, dass wir die richtigen Flaschen haben und dass das Eis richtig gekühlt ist. Jeder Läufer hat seine eigenen Wünsche. Alles ist sehr getaktet, da sind 10 000 Meter einfacher zu laufen.

Bleiben Sie denn bei 10 000 Meter?

Das war zwar erst mein zweiter 10 000er auf der Bahn und 25 Runden sind schon auch für den Kopf krass. Bei neun Runden denkst du dir: ,Endlich wird es weniger.‘ Aber es hat Spaß gemacht. Die 10 000 Meter sind schon mein Ding.

Und wie geht es dann jetzt weiter?

Nächstes Jahr wird ein bisschen ein schwierige­s Jahr. Die WM in Katar ist erst im Oktober und danach kommt ja gleich Olympia. Das wäre alles etwas eng aufeinande­r. Die U23-EM ist auch noch.

Es wird also schon jetzt alles auf Olympia in Tokio ausgericht­et? Kann es sein, dass Katar deshalb ausfällt?

Bei Katar muss man tatsächlic­h schauen, ob man es macht. Aber auf jeden Fall werden jetzt bereits die Weichen auf Tokio gestellt.

Mit welchem Ziel? Hauptsache Finale?

Das ist ja das Gute am 10 000-MeterLauf: Da gibt es nur das Finale. Ich weiß nicht, wie ich in der Welt stehe, aber bis dahin möchte ich eine deutliche 31er, wenn nicht sogar eine tiefe 31er-Zeit laufen.

Das machen die Hüfte und der Ermüdungsb­ruch mit?

Man kann ja viel im Wald trainieren. Aber ja, ich muss natürlich mal verletzung­sfrei durchkomme­n. Dann ist noch viel mehr möglich als bisher. Wenn man sieht, dass ich acht Wochen komplett gar nicht gelaufen bin und bei einer EM ein solches Ergebnis erreiche, dann steckt da eigentlich mehr Potenzial in mir.

Welche Rennen kommen noch?

Am 2. September geht’s zur 10 000Meter-Meistersch­aft in Bremen, beim Einstein-Marathon in Ulm laufe ich die 10 000 Meter, in Köln den Halbmarath­on und abschließe­nd nochmal 10 000 Meter in Berlin. Alles auf der Straße. Und dann ist Pause.

Was heißt Pause?

Das muss ich noch verhandeln (lacht).

Ich muss es auf jeden Fall hinkriegen, dass ich mal eine Woche gar nicht laufe. Das wäre schon mal richtig gut, wenn ich das vom Kopf her hinbekomme.

Wie oft arbeiten Sie noch im Laden Ihrer Eltern?

Eigentlich gar nicht (lacht). Es ist schwierig, das zu verbinden, weil es auch eine körperlich­e Tätigkeit ist. Meine Mama und ich versuchen gerade ein Konzept zu erstellen, das es mir erlaubt, mich bis Tokio 2020 mehr oder fast nur auf den Sport zu konzentrie­ren und das Arbeiten beiseite lege. Damit Verletzung­en vermieden werden können. Das kommt zwar nicht nur von der Arbeit, aber die Summe macht es aus. Es sind noch zwei Jahre bis zu den Olympische­n Spielen. Wenn ich verletzung­sfrei bleibe, denke ich, dass ich dabei bin. Es ist ein Traum. Und wenn man die Möglichkei­t hat, dass dieser Traum wahr wird, dann – warum nicht?!

 ??  ?? FOTO: BEAUTIFUL SPORTS/OLIVER KREMER
FOTO: BEAUTIFUL SPORTS/OLIVER KREMER
 ?? FOTO: RAHN ?? Anfang August: Alina Reh jubelt beim Zieleinlau­f nach den 10 000 Metern bei der EM in Berlin.
FOTO: RAHN Anfang August: Alina Reh jubelt beim Zieleinlau­f nach den 10 000 Metern bei der EM in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany