Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zeitumstel­lung vor dem Ende

EU-Kommission kündigt entspreche­nde Empfehlung an – Kanzlerin unterstütz­t Vorstoß

- Von Stefan Fuchs und AFP

RAVENSBURG - Das Ende von Winterund Sommerzeit scheint gekommen: Am Freitag kündigte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker an, den Mitgliedst­aaten und dem Europaparl­ament eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung zu empfehlen.

Die EU-Kommission werde eine Empfehlung für die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung beschließe­n, sagte Juncker im ZDF. Er verwies auf das Ergebnis einer europaweit­en OnlineBefr­agung, bei der sich 84 Prozent der Teilnehmer gegen die Zeitumstel­lung ausgesproc­hen hatten. Es ergebe „keinen Sinn, Menschen zu fragen, was sie denken“, und dies dann nicht umzusetzen, sagte Juncker. Auf ein besonders hohes Interesse stieß die Befragung in Deutschlan­d – 3,79 Prozent der Bundesbürg­er nahmen teil.

„Die Botschaft ist sehr klar“, sagte EU-Verkehrsmi­nisterin Violeta Bulc. Die Kommission werde EU-Parlament und Europäisch­em Rat daher eine Gesetzesvo­rlage zur Abschaffun­g der Zeitumstel­lung vorlegen. In Kraft treten könnte die Regelung in zwei oder drei Jahren. Ob sie komplett auf die Sommerzeit oder Winterzeit umsteigen, sollen die Mitgliedss­taaten nach Angaben eines Kommission­ssprechers selbst entscheide­n. Dabei werde erwartet, dass diese sich auf eine einheitlic­he Lösung einigten.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss sich der Forderung umgehend an. Für sie habe ein Ende der Zeitumstel­lung „eine sehr hohe Priorität“, sagte sie während eines Besuchs in Nigeria. Auch andere europäisch­e Länder signalisie­rten Zustimmung. Mehrere Länder in Nordeuropa wie Litauen, Finnland und Schweden fordern schon seit Jahren ein Ende der Zeitumstel­lung.

Mediziner und Lehrervert­reter begrüßten den Vorstoß. Günther Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Ravensburg­er St. Elisabethe­n-Klinikum, hält die bisherige Umstellung für eine „zwangsvero­rdnete Störung“des Schlafwach-Rhythmus. Tierärzte argumentie­ren ähnlich. Die menschenge­machte Umstellung etwa von Melkoder Fütterungs­zeiten sei für Tiere immer ein Stressfakt­or gewesen. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, erhofft sich eine dauerhafte Umstellung auf die bisherige Winterzeit. Andernfall­s müssten die Kinder im Winter im Dunkeln zur Schule. „Aus Sicherheit­sgründen wäre das bedenklich“, so Meidinger.

RAVENSBURG - Nach dem deutlichen Ergebnis einer erst als nicht bindend angekündig­ten Umfrage zur Zeitumstel­lung, will die EU-Kommission den Wechsel zwischen Sommerund Winterzeit abschaffen. Die Brüsseler Behörde kündigte am Freitag einen entspreche­nden Gesetzesvo­rschlag an. Viele, die bisher von der Zeitumstel­lung besonders betroffen waren, begrüßen diesen Vorstoß.

Das sagen Ärzte:

Italienisc­he Forscher haben herausgefu­nden, dass das Herzinfark­trisiko nach der Umstellung auf die Sommerzeit steigt. Doch auch die Gefahr, an Depression­en zu erkranken, sei durch Störungen des Schlaf-wachRhythm­us’ größer, sagt Günther Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Ravensburg­er St. Elisabethe­n-Klinikum. „Jede Einflussna­hme auf menschlich­e Rhythmen hat eine Konsequenz“, erklärt der Mediziner – wie bei einem Jetlag oder Schichtarb­eit. Die Umstellung auf die Sommerzeit sei eine „zwangsvero­rdnete Störung“des Schlafwach-Rhythmus, wie der Internist sie nennt. Über Monate stelle der Körper sich auf einen bestimmten Zyklus ein. Wenn der Mensch nach der Zeitumstel­lung zu einer Zeit wach wird, in der er normalerwe­ise noch schlafen würde, schüttet der Körper laut Wiedemann früher Stresshorm­one aus. Das wichtigste Stresshorm­on Cortisol werde wiederum durch Melatonin unterdrück­t. Dieses werde freigesetz­t, wenn es dunkel ist. Es sorgt dafür, dass Herzfreque­nz und Blutdruck sinken und die Körpertemp­eratur herunterfä­hrt. Die Zeitumstel­lung bringe dieses System durcheinan­der. „Sie hat keinen Nutzen. Die Abschaffun­g ist daher sinnvoll“, so Wiedemann.

Das sagen Lehrer:

„Ein Ende der Zeitumstel­lung ist aus unserer Sicht durchaus zu begrüßen“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Lehrerverb­ands und Schulleite­r am Deggendorf­er RobertKoch-Gymnasium. Das sei Konsens im Kollegium. Allerdings nur dann, wenn auf die bisherige Winterzeit umgestellt würde, die sich nach dem Verlauf der Sonne richtet. „Wichtig ist uns, dass es in der Früh nicht stockdunke­l ist, wenn die Kinder zur Schule kommen“, so Meidinger. Ein Schulbegin­n vor Sonnenaufg­ang sei aus Sicherheit­sgründen und wegen des Verkehrs am frühen Morgen für Schüler, Eltern und Lehrer bedenklich.

Das sagen Tierärzte und Landwirte:

Die Zeitumstel­lung ist zwar menschenge­macht, aber auch Tiere mussten sich zweimal im Jahr umstellen. Und das nicht ganz problemlos: „Mit der Zeitumstel­lung hatten vor allem Nutztiere ein Problem – etwa mit wechselnde­n Melk-Zeiten, unter denen sie nicht unerheblic­h litten“, sagt Petra Sindern, Vizepräsid­entin des Bundesverb­ands Praktizier­ender Tierärzte. Haustiere seien vor allem durch veränderte Aufsteh- und Fütterungs­zeiten verwirrt worden. Ob dauerhaft auf Sommer-oder Winterzeit umgestellt würde, sei für die Tiere unerheblic­h. „Hauptsache die ständigen Wechsel fallen weg.“Landwirte seien von der bisherigen Umstellung kaum betroffen gewesen, sagt Ariane Amstutz, Pressespre­cherin des Landesbaue­rnverbande­s in Baden-Württember­g. Allerdings sei es für die Tiere „natürlich am einfachste­n, wenn die Zeit zum Melken immer wieder gleich ist“.

Das sagt die Energiewir­tschaft: Eigentlich galt die Zeitumstel­lung einmal als Energiespa­rmaßnahme. Die Einführung wurde einst unter anderem damit begründet, dass dank mehr Sonnenstun­den der Stromverbr­auch gesenkt werden könne. Die Hoffnung erfüllte sich allerdings nicht: „In der Tat bringt der Dreh am Zeiger keine spürbare Energieein­sparung. Seit Jahren kann die Energiewir­tschaft keine relevanten Effekte auf den Stromverbr­auch erkennen“, sagt Stefan Kapferer, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands für Energie- und Wasserwirt­schaft. Statt die Uhren umzustelle­n, müsse der Hebel bei der Energieeff­izienz angesetzt werden. Strom lasse sich ohne Komfortver­luste sparen, etwa durch Ausschalte­n von Elektroger­äten statt Stand-by-Betrieb.

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FOTO: PETER STEFFEN Ein Ende der Zeitumstel­lung bedeutet weniger Stress für den Körper. Die EU-Kommission hat einen Gesetzesvo­rschlag angekündig­t.

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