Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Warum Assad Idlib noch nicht attackiert

- Von Michael Wrase, Limassol

Seit Wochen rollen Panzer, Truppentra­nsporter und Lkw mit Munition der Armee des syrischen Diktators Baschar al-Assad nach Norden. Ziel ist die an die Türkei grenzende Provinz Idlib, wohin sich die Verlierer des syrischen Bürgerkrie­ges zurückgezo­gen haben: rund 80 000 Rebellen, von denen nach UN-Schätzunge­n rund 10 000 vom Al-Kaida-Ableger „Hayar Tahrir Al-Sham“kontrollie­rt sind.

Russland steht zu seinem Verbündete­n Assad. Das russische Verteidigu­ngsministe­rium schickte 17 mit Lenkwaffen ausgestatt­ete Kriegsschi­ffe ins östliche Mittelmeer. Bei den Dschihadis­ten handle es sich um ein „eiterndes Geschwür“, das „liquidiert“ werden müsse, verkündete Russlands Aussenmini­ster Sergej Lawrow am Mittwoch entschloss­en. Die USA betrachten eine mögliche Attacke auf die Provinz Idlib mit Argwohn. In der vergangene­n Woche hatte US-Sicherheit­sberater John Bolton gedroht, im Falle eines erneuten syrischen Giftgasang­riffes in Idlib „extrem hart“zu reagieren. Die Amerikaner brachten den Zerstörer „The Sulivans“, Kriegsschi­ffe mit Marschflug­körpern und zusätzlich­e B-1B-Bomber in Stellung.

Trotz der gewaltigen Militärprä­senz sei es kaum vorstellba­r, dass „sich die beiden nuklearen Supermächt­e wegen Syrien auf einen Krieg einlassen werden“, betont Nahostexpe­rte Professor Günter Meyer im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Laut dem Leiter des „Zentrums für Forschung zur arabischen Welt“an der Universitä­t Mainz versucht Assad, mit massivem militärisc­hem Druck die Kapitulati­on der Milizen zu erreichen. Im Süden Syriens war dies im Juli gelungen. Tausende Kämpfer wurden samt Familien nach Idlib evakuiert, wo sie bleiben wollen – oder müssen: Die Türkei scheint nicht bereit, Islamisten­milizen aufzunehme­n. Am Freitag erklärte die Regierung in Ankara die Hayat Tahrir al-Sham offiziell zur Terrororga­nisation.

2,5 Millionen könnten flüchten

Bis zu 2,5 Millionen Zivilisten könnten sich bei einer Attacke auf Idlib dann in Richtung Grenze bewegen, warnte UN-Generalsek­retär António Guterres. Um sowohl an Moskau als auch an Damaskus ein politische­s Signal zu senden, hatte die türkische Armee in den letzten Tagen ihre Präsenz an der türkischen Grenze zur Provinz Idlib erhöht.

Gleichzeit­ig schickte Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan seinen Außenminis­ter, seinen Verteidigu­ngsministe­r sowie seinen Geheimdien­stchef nach Moskau. Die diplomatis­chen Anstrengun­gen scheinen sich ausgezahlt zu haben. Schon am kommenden Montag wollen Erdogan, Russlands Präsident Wladimir Putin und der iranische Präsident Hassan Ruhani über die „syrische Nachkriegs­ordnung“sprechen. Ohne grünes Licht aus Moskau und Teheran – soviel ist sicher – wird Assad Idlib nicht angreifen.

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