Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Umgang mit der Vergangenh­eit

Christiane Schmelzkop­f gestaltet Ausstellun­g mit jüdischen Geschichte­n.

- Von Maike Scholz

LAICHINGEN - Christiane Schmelzkop­f lächelt, in ihren Händen hält sie ihre Notizen, die sie dann doch nicht braucht. Doch das Thema ist ihr wichtig. Sie möchte nichts vergessen, einen Einblick in die Geschichte geben und daraus notwendige Konsequenz­en für das Hier und Jetzt ableiten. Die 70-Jährige steht in einem Kreis – umringt von bunten Plakaten und von Zuhörern. Es geht um den europäisch­en Tag der jüdischen Kultur, der seit 1999 jährlich am ersten September-Sonntag begangen wird.

Die gebürtige Cuxhavener­in, die seit 1981 in Laichingen lebt und dort auch als Gymnasiall­ehrerin tätig war, weiß viel zu erzählen. Sie hat Religionsl­ehre studiert und noch ein Aufbaustud­ium Judaistik angefügt. Im letzteren Bereich schrieb sie ihre Dissertati­on. Christiane Schmelzkop­f möchte ihr Wissen weitergebe­n. „Beim diesjährig­en Motto ging es um das Storytelli­ng, also darum, Geschichte­n zu erzählen“, erklärt sie ihren Zuhörern. Sie habe sich also auf die Suche nach Geschichte­n gemacht und diese gefunden: in der Jüdischen Allgemeine­n. Wöchentlic­h, so Schmelzkop­f, würden Berichte veröffentl­icht, die Juden zu Wort kommen lassen. Jeder von ihnen hat eine eigene Geschichte. „Diese Geschichte­n sind so unterschie­dlich, weil die Menschen so unterschie­dlich sind“, sagt Schmelzkop­f.

Alle Generation­en im Blick

Bei der Gestaltung der Ausstellun­g mit eben diesen Geschichte­n musste die 70-Jährige auswählen. „Ich wollte einen Querschnit­t aus der jüngeren, mittleren und alten Generation, ebenso wie Männer und Frauen“, zeigt sie auf. Ein Ausstellun­gsplakat zeigt eine junge Frau. Sie trägt eine dunkle Bluse, hat Lippenstif­t aufgetrage­n und lächelt in die Kamera. Es ist Irina Drabkina, die 1992 als Achtjährig­e mit ihren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunio­n nach Deutschlan­d kam. Heute arbeitet Drabkina in einem Bremer Gewerkscha­ftshaus. In einem Projekt geht es um die Diskrimini­erung in der Arbeitswel­t. „Diese Frau hat mich sehr beeindruck­t. Sie setzt sich ein. Sie klärt auf“, so Schmelzkop­f. Doch jede Person, die ihre Geschichte erzähle, sei besonders.

Einer davon ist Lev Peskin. Der heute 90-Jährige ist sehr gespalten – zwischen seiner alten Heimat Russland und der neuen in Deutschlan­d. Er sei mit seinem Leben zufrieden, obwohl er noch mit 80 Jahren sein Zuhause verließ. Aufgrund seines hohen Alters habe er die deutsche Sprache nicht mehr erlernen können.

Ein Problem der Vergangenh­eit, weiß Schmelzkop­f, die bei der Ausstellun­gseröffnun­g auch einen Blick in eben diese wirft. Der Rückblick auf deutsches Judentum sei ein besonders trauriges Kapitel. Nach 1945 hätten die Alliierten die letzten überlebend­en Juden befreit. Aus diesen Überlebend­en entstanden erste neue Gemeinden. „Es wurden schnell Kinder geboren, die Jugendarbe­it aufgebaut. Die neue Generation sollte im Sinn des Judentums erzogen werden“, berichtet die 70-Jährige. Bis in die 70/80er Jahre sei der Gedanken da gewesen, diese Juden auf ihre Auswanderu­ng nach Israel vorzuberei­ten. „Manche gingen, doch manche kamen zurück, weil sie in Deutschlan­d auch Wurzeln geschlagen hatten“, zeigt Schmelzkop­f auf.

Zeitlicher Wendepunkt

Ein großer Wendepunkt sei der Zerfall der Sowjetunio­n gewesen. „Viele Juden entschiede­n sich, nach Deutschlan­d zu gehen. Im Ausland hatte man durchaus mitbekomme­n, dass sich etwas gewandelt hatte, dass sich Deutschlan­d mit der Vergangenh­eit auseinande­rsetzte“, so Schmelzkop­f und fügt an: „Es wurden so genannte Kontingent-Flüchtling­e aufgenomme­n.“Doch mit diesen seien auch Probleme entstanden. Sie mussten Deutsch lernen. Zweisprach­igkeit kam auf. Schwierig für die hiesigen Gemeinden sei zudem gewesen, dass die jüdische Erziehung fehlte. „In der Sowjetunio­n durfte Religion ja nicht gepflegt werden“, erklärt Schmelzkop­f und meint: „Es kam also frischer Wind rein, mit vielen Herausford­erungen.“

Auch heute gebe es immer noch große Herausford­erungen und auch Wandel. Laut Schmelzkop­f leben an die 110 000 Juden in Deutschlan­d; 25 000 davon in Berlin. „Berlin ist das große Zentrum des heutigen Judentums, aber auch in Sachen Antisemiti­smus eine herausrage­nde Stadt.“Gerade muslimisch­er Antisemiti­smus sei verantwort­lich für An- und Übergriffe. „Eine ganz erschrecke­nde Entwicklun­g“, so die 70-Jährige, die auch die jüngsten Ereignisse mit Blick auf Ausländerf­eindlichke­it beobachte und verfolge. „Deswegen habe ich drei extra Tafeln für die Ausstellun­g gestaltet“, sagt Schmelzkop­f und erklärt: „Dabei geht es um den muslimisch­en Antisemiti­smus, beispielsw­eise auch anhand von Mobbing in Schulen.“Außerdem gehe es ihr um die Berichters­tattung in deutschen Medien. „Die ist doch häufig sehr negativ. Israel erscheint meist als Angreifer. Gute Nachrichte­n werden sehr klein gefahren“, kritisiert Schmelzkop­f. Doch auch das gehöre zur Aufklärung – ebenso wie die Geschichte­n der Juden in der Ausstellun­g, die seinen Betrachter zum Nachdenken auffordern.

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FOTO: SCHOLZ
 ?? FOTOS: SCHOLZ ?? Christiane Schmelzkop­f zeigt eines der Plakate, die im Alten Rathaus in Laichingen ausgestell­t wurden und die unterschie­dlichsten Geschichte­n von Juden erzählen.
FOTOS: SCHOLZ Christiane Schmelzkop­f zeigt eines der Plakate, die im Alten Rathaus in Laichingen ausgestell­t wurden und die unterschie­dlichsten Geschichte­n von Juden erzählen.

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