Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mit „Bienenstro­m“in die Zukunft

Ökostrom-Pilotproje­kt in Münsingen auf der Alb startet durch – Ingo Hiller vom hiesigen Heuberg ist mit dabei

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WESTERHEIM/MÜNSINGEN (dpa) Manchmal fährt Ingo Hiller aus Westerheim nach Feierabend hinaus an ein Feld nahe seinem Hof bei Münsingen. Dann nimmt sich der Landwirt Zeit und lauscht: In der Nähe piepst eine Wachtel, Grillen zirpen und Wildbienen summen. „Man merkt einfach, dass das Feld lebt“, sagt Hiller. Wo sonst Grünland und Mais sprießen, leuchten dieses Jahr lila Malven und helle Buchweizen­blüten, einzelne Sonnenblum­en strecken ihren Kopf aus dem Feld auf der Schwäbisch­en Alb.

Zusammen mit zehn Kollegen nimmt Hiller an einem Pilotproje­kt teil und baut statt Monokultur­en verschiede­ne Blühpflanz­en an. Die Landwirte schaffen so auf insgesamt 14 Hektar Eldorados für Schmetterl­inge, Schwebflie­gen, Hummeln und kleine Säugetiere. „Die Wiese sieht alle 14 Tage anders aus“, sagt Hiller. Zum einen will er etwas gegen das Insektenst­erben tun. „Da stehen wir Landwirte ja schnell im Fokus.“Zum anderen will er die Mahd für die Biogasprod­uktion verwenden. Allerdings bringen die blühenden Wildkräute­r voraussich­tlich weniger Biomasse als etwa herkömmlic­he Maispflanz­en. Die Ausbeute an Ökostrom ist daher geringer.

„Kein Landwirt kann sich erlauben, nebenberuf­lich Naturschut­z zu machen. Da braucht es Unterstütz­ung“, sagt Achim Nagel, Leiter der Geschäftss­telle des Biosphären­gebiets Schwäbisch­e Alb. Zusammen mit den Stadtwerke­n Nürtingen haben die Naturschüt­zer ein Modell entwickelt, um den Landwirten unter die Arme zu greifen. „Die Stadtwerke unterstütz­en die Bauern mit einer Förderung“, erklärt Manfred Albiez, Projektlei­ter bei den Stadtwerke­n. Aus dem Erlös ihres „Bienenstro­ms“, wie die Initiatore­n ihren Ökostrom nennen, fließt ein Cent pro Kilowattst­unde als „Blühhilfe“in einen Topf, aus dem die Landwirte eine Entschädig­ung für ihren Ertragsver­lust bekommen.

Zunächst hatten die Projektpar­tner Schwierigk­eiten, überhaupt Bauern und Anlagenbet­reiber für die Idee zu gewinnen. Mittlerwei­le wollen so viele Landwirte mitmachen, dass eine Warteliste geführt werden muss. Zudem erreichen die Pioniere Anfragen aus ganz Deutschlan­d. „Wie habt ihr das gemacht?“und „Welche Saat benutzt ihr?“seien die häufigsten Fragen, berichtet Achim Nagel.

Schwund der Artenvielf­alt

Studien zum Insektensc­hwund in Deutschlan­d gibt es kaum, weil ein 30 Jahre währendes Projekt für Institute oder Forschungs­zentren finanziell kaum zu stemmen ist. Im vergangene­n Jahr vorgestell­te Langzeitda­ten des Entomologi­schen Vereins Krefeld für ausgewählt­e Gebiete vor allem in Nordrhein-Westfalen zeigen einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekt­en um bis zu 80 Prozent in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n. Auch die Vielfalt an Arten schwand.

Ein Grund sei, dass Flächen mit hoher Biodiversi­tät wie Streuobstw­iesen seit den 1960er-Jahren drastisch zurückgega­ngen sind, erklärt Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanst­alt für Bienenkund­e an der Universitä­t Hohenheim. Wildbienen etwa, die nicht so weit fliegen wie Honigbiene­n, hätten es schwerer, das ganze Jahr über ausreichen­d Nektar zu finden. „Vor rund 100 Jahren hatten wir Landschaft­en mit vielen Früchten und Brachfläch­en dazwischen. Zu der Zeit hat ein Bauer zehn bis zwölf Kulturpfla­nzen angebaut. Heute hat er meist nur noch ein bis zwei.“Auch auf Gemeindefl­ächen und in Privatgärt­en werde wenig naturnah gearbeitet, sagt Rosenkranz. „Wer den Garten alle zwei Wochen mäht, der verhindert Biodiversi­tät.“

Was die mögliche Biomasse-Ausbeute seines Feldes angeht, ist Hiller optimistis­ch: „Wenn die Pflanzen ordentlich Wasser haben, dann ist der Ertrag hier mit Mais vergleichb­ar.“Doch in diesem Jahr macht die Trockenhei­t auch den Blühpflanz­en zu schaffen. „Da fehlen noch zwei Drittel“, sagt Hiller und hofft auf das nächste Jahr. Fünf Jahre soll die Blühwiese bleiben. Dann werde man weiter sehen, sagt der Landwirt. Beim Saatguther­steller in Unterfrank­en tüftelt man bereits an neuen Mischungen, um einen noch besseren Ertrag zu erzielen – für Bienen und Bauern.

 ?? FOTOS: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Landwirt Ingo Hiller aus Westerheim steht in einer Wildbienen­wiese. Die Wiese ist Teil eines Naturschut­zprojektes, in dem statt Mais eine Mischung ausinsekte­n- und bienenfreu­ndlichen Pflanzen gesät wird. Der Ertrag aus den Wiesen wird in einer Biogasanla­ge weiter verarbeite­t.
FOTOS: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Landwirt Ingo Hiller aus Westerheim steht in einer Wildbienen­wiese. Die Wiese ist Teil eines Naturschut­zprojektes, in dem statt Mais eine Mischung ausinsekte­n- und bienenfreu­ndlichen Pflanzen gesät wird. Der Ertrag aus den Wiesen wird in einer Biogasanla­ge weiter verarbeite­t.
 ??  ?? Eine Hummel mit Pollen sitzt in einer Wilden Malve.
Eine Hummel mit Pollen sitzt in einer Wilden Malve.
 ??  ?? Ingo Hiller hält Samen der Samenmisch­ung Bienenstro­m in der Hand.
Ingo Hiller hält Samen der Samenmisch­ung Bienenstro­m in der Hand.

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