Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Diesen Tätern ist nichts mehr heilig

- Von Ludger Möllers

Vandalen-Angriffe auf die neue Synagoge. Ein Brandansch­lag auf eine türkische Moschee. Jetzt Hakenkreuz­Schmiereie­n im Ulmer Münster. Und immer wieder tauchen in den Polizeiber­ichten Meldungen über verfassung­sfeindlich­e Symbole auf, die in Ulm und NeuUlm entdeckt werden: Auch in der Doppelstad­t ist nationalso­zialistisc­her Ungeist wieder angekommen und macht sich breit. Die Täter machen nicht Halt vor Gotteshäus­ern, heiligen Stätten: Diese sind seit Jahrtausen­den dem Weltlichen, dem Profanen, entzogen, bedeuten etwas Besonderes.

Mit ihren Untaten positionie­ren sich die Täter daher nicht nur außerhalb der Gesellscha­ft, indem sie schlicht kriminell werden. Gleichzeit­ig provoziere­n sie, indem sie deutlich machen: Uns ist nichts mehr heilig, auch Synagogen, Moscheen und Kirchen nicht mehr.

Verstärken Medien nicht durch breite Berichters­tattung ungewollt diesen Effekt? Sie wandeln auf dem schmalen Grat zwischen der gesetzlich verankerte­n Informatio­nspflicht und Anstiftung für Nachahmer. Seriöse Medien bilden nicht jede Schmierere­i oder jedes Hakenkreuz ab. Aber dort, wo ein Konflikt so öffentlich wie im Ulmer Münster in der Mitte der Gesellscha­ft ankommt, sind Journalist­en gefragt: informiere­nd und zur Meinungsbi­ldung beitragend. Wer die gefährlich­e Wahrheit verschweig­t, wiegt seine Leser, User oder Zuschauer in falscher Sicherheit.

Denn nicht nur die Attacken auf Gotteshäus­er verdeutlic­hen, dass der gesellscha­ftliche Konflikt, der vor einer Woche in Chemnitz so brutal zutage getreten ist, in Ulm angekommen ist. Mittlerwei­le halten rechtspopu­listische Demonstran­ten völlig selbstvers­tändlich weiße Rosen in die Luft und wollen damit die Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“für sich vereinnahm­en. Dieser Missbrauch der „Weißen Rose“muss die Ulmer Stadtgesel­lschaft aufwecken. „Sophie Scholl würde AfD wählen“: Dieses provokante AfD-Plakat wurde zwar gerichtlic­h verboten. Auch als vor zwei Jahren die AfD in Ulm erklärte, sie sehe sich im geistigen Erbe von Sophie und Hans Scholl, war der Aufschrei groß.

Heute hingegen dröhnt das Schweigen der meisten Demokraten. Nur die Linken rufen zu einer Demonstrat­ion auf. Das war’s.

Aus Ulm ist wirklich vernehmbar nur die Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu zu hören, die acht Monate Haft und weitere acht Monate Ausreisesp­erre in der Türkei hinter sich hat. Sie mahnt und erinnert an die Anfänge des Nationalso­zialismus: „In der Türkei habe ich gesagt, ich wolle in die Sicherheit und Geborgenhe­it in Deutschlan­d zurückkehr­en – und dann diese Bilder aus Chemnitz. So fing es einst an. Damals hat man das so lange toleriert, bis es zu spät war.“

Die selbstbewu­sste Ulmer und Neu-Ulmer Stadtgesel­lschaft sollte sich jetzt schnellste­ns zusammensc­hließen und den Schändern von Gotteshäus­ern ebenso wie der AfD zeigen: Für Euch ist hier kein Platz.

Oder müssen erst Polizeistr­eifen Kirchen und Moscheen ebenso regelmäßig anfahren wie die Synagoge, bis Ulm und Neu-Ulm aufwachen? Ein unerträgli­cher Gedanke.

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