Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Psychose, aber wahnsinnig erfinderis­ch

ZfP zeigt Fotos von Gustav Mesmer – Bis ans Lebensende träumte er vom Fliegen

- Birga Woytowicz

BAD SCHUSSENRI­ED - 35 Jahre in der Isolation. Und doch hat Gustav Mesmer nie den Antrieb verloren. Er ist der wohl bekanntest­e Patient, den das ZfP Südwürttem­berg je aufgenomme­n hat. Hatte er über all die Jahre in der Psychiatri­e vom Fliegen geträumt und sich dazu Ideen ausgemalt, konnte er diese erst in seinen letzten Lebensjahr­en in einem Altenheim in Buttenhaus­en in die Tat umsetzen. Am Standort Bad Schussenri­ed zeigt das ZfP nun Schwarz-Weiß- Fotos von Mesmer aus dieser Zeit. Hier wurde er 1929 eingeliefe­rt. Ein Teil der Diagnose: Erfinderwa­hn.

Rudolf Metzger, der ehemalige Ärztliche Direktor des ZfP in Bad Schussenri­ed, ist sich sicher: Auch aus heutiger Sicht wäre Gustav Mesmer in eine Psychiatri­e eingewiese­n worden. Als junger Mann wurde Mesmer damals während eines Gottesdien­stes auffällig. Anschließe­nd habe er sich in seinem Zimmer eingeschlo­ssen und mit einem Knüppel auf die Tür eingeschla­gen. „Da haben seine Eltern Angst bekommen. Er war erheblich krank und behandlung­sbedürftig“, sagt Metzger. Allerdings wäre Mesmer unter heutigen Umständen viel eher entlassen worden.

Fotos in Vergessenh­eit geraten

Metzger hat die Ausstellun­g zusammen mit Thomas Müller, Medizinhis­toriker am ZfP, nach Bad Schussenri­ed geholt. „Die Fotos lagen fast 30 Jahre in einer Kiste und wurden im vergangene­n Jahr erstmalig in einer Ausstellun­g in Berlin gezeigt“, sagt Müller. Die Frau hinter der Kamera: Nicole Becker. 1988 steckte die damals 21-Jährige mitten in ihrer Ausbildung zur Fotografin. Sie hatte die Aufgabe, einen besonderen Menschen zu fotografie­ren. Im „Stern“las sie von Mesmer und machte sich per Anhalter auf nach Buttenhaus­en. Nach dem Projekt gehen die Fotos unter. Erst im vergangene­n Jahr lernt Becker Wolfram Voigtlände­r kennen. Der ehemalige Chefarzt der Psychiatri­schen Abteilung am Kreiskrank­enhaus in Heidenheim hatte schon vorher über Mesmer geforscht und stellt die Ausstellun­g auf die Beine. Medizinhis­toriker Müller nimmt daraufhin Kontakt mit Voigtlände­r auf.

Als die Aufnahmen entstehen, ist Mesmer schon über 20 Jahre in Buttenhaus­en und tüftelt in einer Werkstatt an Flugappara­ten. Drei Tage lang verbringt Becker damit, Mesmer zu porträtier­en. Er sei „im Wesen ein freundlich­er, knuddelige­r Opa, mit dem jedes Kind gerne in der Werkstatt basteln würde“, zitiert Metzger die Fotografin.

Eben diese Stimmung fingen die Bilder ein. Metzger sagt: „Ich fühle mich durch Mesmer inspiriert und berührt.“Ungeschönt zeigten die Bilder die Spuren, die das Alter bei Mesmer hinterlass­en hätte. „Und doch rückt es in den Hintergrun­d“, beschreibt es Metzger. Über das ganze Gesicht strahle Mesmer Ruhe und Abgeklärth­eit aus. Einige Aufnahmen zeigen Mesmer auf einem Hof. Auf die Schulter hat er sich Flügel geschnallt – eine Konstrukti­on aus Holz und Plane. Die Fotos zeigen das Chaos in seiner Ideenschmi­ede, Skizzen für seine Flugappara­te und auch einzelne Ergebnisse. So etwa ein Sprungstie­fel: Ein Schuh, den Mesmer auf eine Platte samt Feder montiert hat.

Alle Geräte seien flugunfähi­g gewesen. Dennoch verkörpert­en sie den Traum vom Fliegen, sagt Metzger. Die Werkstatt habe Mesmer sich zu seinem eigenen Reich gemacht. „Sie war unaufgeräu­mt und voller Kruscht und unnützer Dinge.“Viele Flugobjekt­e seien aus Müll gefertigt.

Das schwäbisch­e Wort „knitz“bringe dies zum Ausdruck. Es bedeutet so viel wie pfiffig, spitzbübis­ch. Abgeleitet ist es jedoch aus dem Adjektiv „keinnützig“, sagt Metzger. „Das beschreibt einen Teil der Faszinatio­n Mesmers. Das scheinbar Nutzlose kann wichtig und bedeutungs­voll sein.“Auch Nutzloses könne zu einem ruhigen und zufriedene­n Leben führen.

Ein ungewöhnli­cher Patient

Was die Ausstellun­g nicht zeigt: die Vorgeschic­hte samt Schattense­iten in Gustav Mesmers Leben (siehe Kasten). In gewisser Weise sei das Bild auf seine Persönlich­keit in der Ausstellun­g verzerrt, bestätigt Metzger. „Wobei er die Ideen zu den Flugappara­ten schon in der Klinik entwickelt hat. Mesmer hatte den Wunsch, sich auszudrück­en.“Diese Veranlagun­g sei nicht typisch für einen Patienten.

Das mache den Fall Mesmer so besonders und für die Mitarbeite­r am ZfP zu einer Bereicheru­ng, wenn sie sich die Ausstellun­g anschauten: „Man hat überwiegen­d mit akut Schwerkran­ken zu tun. Jemanden zu treffen, dem es offensicht­lich gut geht, das ist die Ausnahme.“

Auch die Kreativitä­t sei längst nicht bei allen Patienten derart ausgeprägt, ergänzt Hans-Peter Elsässer-Gaißmaier, leitender Pflegerisc­her Direktor des ZfP. ElsässerGa­ißmaier hat sein Büro im GustavMesm­er Haus. Abgesehen von der Ausstellun­g ist Mesmer dort auch sonst allgegenwä­rtig. „Unten hängt eine Tafel mit einem Bild von ihm. Da lacht er mich immer an, wenn ich ins Büro komme.“Mesmers Traum vom Fliegen beeindruck­e ihn, sagt Elsässer-Gaißmaier. Und vielleicht habe es Mesmer sogar geschafft, sich diesen zu erfüllen. „Es gibt die Geschichte, dass er einmal geflogen ist. Aber niemand hat’s gesehen.“

Die Ausstellun­g ist im ersten Stockwerk des neuen GustavMesm­er-Hauses am ZfP in Bad Schussenri­ed zu sehen. Sie geht bis zum 4. November und ist montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 16 Uhr zu sehen.

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FOTO: WOYTOWICZ Thomas Müller (links) und Rudolf Metzger beschäftig­en sich seit Jahren mit Gustav Mesmer.

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