Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bahn frei auf der Kienlesber­gbrücke

Heute wird auf dem neuen Bauwerk für die Tramlinie 2 gefeiert - Hinter der Gestaltung steckt eine besondere Idee

- Von Sebastian Mayr

ULM - Das größte Bauprojekt für die neue Straßenbah­nlinie 2 ist geschafft. Heute Abend feiern Stadt Ulm und SWU die Brückentau­fe der Kienlesber­gbrücke über die Bahnschien­en. Wenn die Tramlinie im Dezember den Betrieb aufnimmt, werden die Waggons über das 270 Meter lange Bauwerk rollen. André Dillmann, Geschäftsf­ührer der SWU Verkehr, ist von der Architektu­r begeistert. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir nicht sogar dem Münster ein bisschen Konkurrenz machen“, scherzt er. Eins meint Dillmann aber völlig ernst: „Ulm ist um eine architekto­nische Attraktion reicher.“

Der weiße, wellenförm­ige Aufbau der Stahlbrück­e ist an das stählerne Fachwerk der 1907 erbauten Neutorbrüc­ke angelehnt. Die alte Stahlbrück­e war es auch, die die Gestaltung des neuen Projekts prägte. „Ein neues Brückenbau­werk dieser Größe darf dem alten nicht die Schau stehlen“, sagt Bartlomiej Halaczek.

Der Londoner Architekt hat die Kienlesber­gbrücke entworfen und die Konstrukti­on gemeinsam mit dem Ingenieur Heinz-Josef Vieth vom Karlsruher Ingenieurb­üro Krebs und Kiefer erarbeitet. Halaczeks Entwurf setzte sich beim Wettbewerb durch, weil die Kienlesber­gbrücke sich eigenständ­ig, aber zurückhalt­end in die Umgebung einfügt. Die Architektu­r harmoniere mit der der Neutorbrüc­ke, sei aber keine Kopie, weil sie nicht symmetrisc­h ist, urteilte die Jury.

Tunnel und Brückenübe­reinander

Die Planer standen beim Bau vor einer großen Herausford­erung. Unter der Brücke verlaufen nicht nur Bahnschien­en, dort fanden auch die Arbeiten für den Albabstieg­stunnel statt. Dieses Großprojek­t der Deutschen Bahn ist Teil der Neubaustre­cke nach Stuttgart, auf der in Zukunft extraschne­lle Züge verkehren sollen. Zum einen sollte der Bahnverkeh­r nicht behindert werden, zum anderen machten die beiden Großbauste­llen Absprachen bis ins kleinste Detail erforderli­ch.

Stefan Kielbassa, der Bahn-Projektlei­ter für den Albabstieg­stunnel, hat diese immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Auch SWUProjekt­leiter Thomas Harter ist spürbar stolz. „Wenn ein Projekt aus dem Ruder kommt, bricht der Ablauf zusammen wie ein Kartenhaus“, schildert er das Risiko, das die kombiniert­e Mega-Baustelle mit sich brachte. So weit kam es nicht. Die Bahn war sogar kurz vor dem geplanten Termin fertig. Die SWU schließt ihre Arbeiten an der Brücke zwar mit einem knappen halben Jahr Verspätung ab, aber immer noch deutlich vor der Eröffnung der Tramlinie, die am 9. Dezember in Betrieb genommen werden soll.

Beim Bau der 2500 Tonnen schweren Brücke wurden die zwölf Stahleleme­nte nacheinand­er über die Bahnstreck­e geschoben „wie Schlitten“, sagt Architekt Halaczek – und mit Hilfe von Schmiersei­fe. Mindestens 100 Jahre soll das Bauwerk halten, bei guter Wartung länger. Die acht Stützen, die die Kienlesber­gbrücke tragen, haben einen Durchmesse­r von gerade einmal 70 Zentimeter­n. Das liegt zum einen am Wunsch des Architekte­n, ein filigranes Bauwerk entstehen zu lassen. Zum anderen müssen die Pfeiler die Bewegung des Stahls aufnehmen, der sich mit den Temperatur­en ausdehnt und zusammenzi­eht – um bis zu 30 Zentimeter. „Ein gewaltiger Weg“, sagt André Dillmann von der SWU Verkehr.

Licht- und Klanginsta­llation

Im Oktober sollen die letzten Arbeiten abgeschlos­sen sein, wann die Brücke für Radler und Fußgänger freigegebe­n wird, steht noch nicht fest. Wann gefeiert wird, ist schon klar: Um 17 Uhr beginnt das Fest zwischen der Neutor- und der Kienlesber­gbrücke. Später ist das neue Bauwerk begehbar, es gibt eine Lichtinsta­llation des Ulmer Lichtkünst­lers Andreas Hauslaib und eine Klanginsta­llation mit Tönen, die Andreas Usenbenz an der Brücke aufgenomme­n hat.

Das Licht soll auch im Alltag eine besondere Rolle einnehmen: Die Kienlesber­gbrücke wird von Scheinwerf­ern beleuchtet, die zwischen den hölzernen Sitzbänken angebracht sind und das moderne weiße Fachwerk von unten anstrahlen. Auch am Geländer gibt es kleine Leuchten. Die Brüstung ist teilweise holzverkle­idet: Dort, wo die Brücke von vier auf sechs Meter verbreiter­t wird. Das soll Fußgängern und Radfahren die Möglichkei­t bieten, den Blick auf die Altstadt bequem zu genießen.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Ingenieur Heinz-Josef Vieth (links) und Architekt Bartlomiej Halaczek auf der Kienlesber­gbrücke – im Hintergrun­d ist die alte Neutorbrüc­ke zu sehen.

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