Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Bahn frei auf der Kienlesbergbrücke
Heute wird auf dem neuen Bauwerk für die Tramlinie 2 gefeiert - Hinter der Gestaltung steckt eine besondere Idee
ULM - Das größte Bauprojekt für die neue Straßenbahnlinie 2 ist geschafft. Heute Abend feiern Stadt Ulm und SWU die Brückentaufe der Kienlesbergbrücke über die Bahnschienen. Wenn die Tramlinie im Dezember den Betrieb aufnimmt, werden die Waggons über das 270 Meter lange Bauwerk rollen. André Dillmann, Geschäftsführer der SWU Verkehr, ist von der Architektur begeistert. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir nicht sogar dem Münster ein bisschen Konkurrenz machen“, scherzt er. Eins meint Dillmann aber völlig ernst: „Ulm ist um eine architektonische Attraktion reicher.“
Der weiße, wellenförmige Aufbau der Stahlbrücke ist an das stählerne Fachwerk der 1907 erbauten Neutorbrücke angelehnt. Die alte Stahlbrücke war es auch, die die Gestaltung des neuen Projekts prägte. „Ein neues Brückenbauwerk dieser Größe darf dem alten nicht die Schau stehlen“, sagt Bartlomiej Halaczek.
Der Londoner Architekt hat die Kienlesbergbrücke entworfen und die Konstruktion gemeinsam mit dem Ingenieur Heinz-Josef Vieth vom Karlsruher Ingenieurbüro Krebs und Kiefer erarbeitet. Halaczeks Entwurf setzte sich beim Wettbewerb durch, weil die Kienlesbergbrücke sich eigenständig, aber zurückhaltend in die Umgebung einfügt. Die Architektur harmoniere mit der der Neutorbrücke, sei aber keine Kopie, weil sie nicht symmetrisch ist, urteilte die Jury.
Tunnel und Brückenübereinander
Die Planer standen beim Bau vor einer großen Herausforderung. Unter der Brücke verlaufen nicht nur Bahnschienen, dort fanden auch die Arbeiten für den Albabstiegstunnel statt. Dieses Großprojekt der Deutschen Bahn ist Teil der Neubaustrecke nach Stuttgart, auf der in Zukunft extraschnelle Züge verkehren sollen. Zum einen sollte der Bahnverkehr nicht behindert werden, zum anderen machten die beiden Großbaustellen Absprachen bis ins kleinste Detail erforderlich.
Stefan Kielbassa, der Bahn-Projektleiter für den Albabstiegstunnel, hat diese immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Auch SWUProjektleiter Thomas Harter ist spürbar stolz. „Wenn ein Projekt aus dem Ruder kommt, bricht der Ablauf zusammen wie ein Kartenhaus“, schildert er das Risiko, das die kombinierte Mega-Baustelle mit sich brachte. So weit kam es nicht. Die Bahn war sogar kurz vor dem geplanten Termin fertig. Die SWU schließt ihre Arbeiten an der Brücke zwar mit einem knappen halben Jahr Verspätung ab, aber immer noch deutlich vor der Eröffnung der Tramlinie, die am 9. Dezember in Betrieb genommen werden soll.
Beim Bau der 2500 Tonnen schweren Brücke wurden die zwölf Stahlelemente nacheinander über die Bahnstrecke geschoben „wie Schlitten“, sagt Architekt Halaczek – und mit Hilfe von Schmierseife. Mindestens 100 Jahre soll das Bauwerk halten, bei guter Wartung länger. Die acht Stützen, die die Kienlesbergbrücke tragen, haben einen Durchmesser von gerade einmal 70 Zentimetern. Das liegt zum einen am Wunsch des Architekten, ein filigranes Bauwerk entstehen zu lassen. Zum anderen müssen die Pfeiler die Bewegung des Stahls aufnehmen, der sich mit den Temperaturen ausdehnt und zusammenzieht – um bis zu 30 Zentimeter. „Ein gewaltiger Weg“, sagt André Dillmann von der SWU Verkehr.
Licht- und Klanginstallation
Im Oktober sollen die letzten Arbeiten abgeschlossen sein, wann die Brücke für Radler und Fußgänger freigegeben wird, steht noch nicht fest. Wann gefeiert wird, ist schon klar: Um 17 Uhr beginnt das Fest zwischen der Neutor- und der Kienlesbergbrücke. Später ist das neue Bauwerk begehbar, es gibt eine Lichtinstallation des Ulmer Lichtkünstlers Andreas Hauslaib und eine Klanginstallation mit Tönen, die Andreas Usenbenz an der Brücke aufgenommen hat.
Das Licht soll auch im Alltag eine besondere Rolle einnehmen: Die Kienlesbergbrücke wird von Scheinwerfern beleuchtet, die zwischen den hölzernen Sitzbänken angebracht sind und das moderne weiße Fachwerk von unten anstrahlen. Auch am Geländer gibt es kleine Leuchten. Die Brüstung ist teilweise holzverkleidet: Dort, wo die Brücke von vier auf sechs Meter verbreitert wird. Das soll Fußgängern und Radfahren die Möglichkeit bieten, den Blick auf die Altstadt bequem zu genießen.