Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ob Bienenrech­t oder Nato-TÜV: General Habersetze­r setzt auf sein Netzwerk

Der scheidende Chef des Stabes des Ulmer Kommandos musste Aufgaben zwischen Bündnis, Flüchtling­en und Baumaßnahm­en bewältigen

- Von Ludger Möllers

ULM - Die Lebensplan­ung von Klaus Habersetze­r hatte sechs Jahre in Ulm nicht vorgesehen. Auch die Vorgesetzt­en des Luftwaffen-Generalmaj­ors ahnten nicht, dass der heute 61Jährige so lange auf der Wilhelmsbu­rg bleiben würde, als er im November 2012 zum Chef des Stabes des heutigen Ulmer Multinatio­nalen Kommandos Operative Führung wurde. Normalerwe­ise kommen und gehen Generäle alle zwei, drei Jahre: „Durch die lange Stehzeit hier in Ulm ist aber vieles von dem erst möglich geworden, wovon heute unser Kommando profitiert“, resümiert Habersetze­r, der in der vergangene­n Woche (wir berichtete­n) verabschie­det wurde und sich in diesen Tagen von vielen Gesprächsp­artnern persönlich verabschie­det, „ich konnte ein Netzwerk aufbauen – militärisc­h, zivil, politisch und gesellscha­ftlich.“

Ende September wird er Kommandeur des Zentrums Luftoperat­ionen in Kalkar am Niederrhei­n und bekommt den dritten goldenen Generals-Stern für die Schulterkl­appen. Generalmaj­or Klaus Habersetze­r

Kommando stand 2011 kurz vor der Auflösung

In seinen Ulmer Jahren musste Habersetze­r einen wahren Spagat zwischen militärisc­hen Aufgaben und der Aufgabe als Standortäl­tester meistern. Das Kommando sollte – wäre es nach dem Bundeswehr­Weißbuch von 2011 gegangen – abgewickel­t und aufgelöst werden. Es sei überflüssi­g, hieß es.

Der damalige Befehlshab­er, Generalleu­tnant Markus Bentler, warf seine persönlich­e Reputation in die Waagschale: Das Kommando bekam eine zweite Chance. Bentlers Nachfolger, Generalleu­tnant Richard Roßmanith, und Klaus Habersetze­r, sein Chef des Stabes, entwickelt­en den Stab so konsequent in Richtung der Nato, dass man in Brüssel in immer unsicherer werdenden Zeiten auf das einstmals tot geglaubte Kommando aufmerksam wurde.

Die Anerkennun­g folgte im Laufe der Jahre und wurde mit dem „NatoTÜV“, der Zertifizie­rung im Frühsommer auch dokumentie­rt. Heute ist es eines von drei multinatio­nal besetzten, streitkräf­teübergrei­fend arbeitende­n und weltweit schnell verlegbare­n Hauptquart­ieren im Bündnis. Die Ulmer könnten im Krisenfall bis zu 60 000 Mann führen.

„Wir dachten nach diesem Marathon wirklich, wir hätten es geschafft“, berichtet Habersetze­r im vergleiche­nden Rückblick, „aber als wir die Ziellinie passiert hatten, wartete schon der nächste Marathon.“Denn das Ulmer Kommando muss in den kommenden Jahren das „Joint Support and Enabling Command“(JSEC) aufbauen.

Das Kommandoze­ntrum wird bei Aktivierun­g im Bündnisfal­l für Truppenund Materialtr­ansporte innerhalb Europas zuständig sein und ihren Schutz im rückwärtig­en Raum koordinier­en. Bereits auf dem Weg in das Einsatzgeb­iet und deutlich im Voraus können Planungen zentralisi­ert und die Aufgaben zum Schutz harmonisie­rt werden: „Transport und Logistik werden nur zwei der vielen Aufgaben sein“, sagt Habersetze­r. Mit dem JSEC-Aufbauauft­rag werde die jahrelange Arbeit gewürdigt: „Hier und jetzt kommen die Früchte der Arbeit bei mir an.“Vielen Offizieren ist es nicht vergönnt und auch nicht möglich, die Folgen ihrer Entscheidu­ngen – ob positiv oder negativ – zu erleben: „Sie sind schon in der nächsten Verwendung, wenn umgesetzt wird.“

Für Habersetze­r steht der militärisc­he Auftrag im Vordergrun­d, „den wir aber nur mit Soldatinne­n und Soldaten umsetzen, denen es gut geht“, ergänzt der General, „körperlich und mental“. Er nennt es „meinen ganzheitli­chen Ansatz“. Daher seien seine Engagement­s für Gesundheit­stage in der Kaserne, beim Soldatenhi­lfswerk, im Bundeswehr­sozialwerk und in der Soldatentu­morhilfe „eine pure Selbstvers­tändlichke­it“. Die Unterstütz­ung des Psychosozi­alen Netzwerks aus Truppenärz­ten, Sozialarbe­itern, Militärsee­lsorgern und Truppenpsy­chologen sei für Vorgesetzt­e unerlässli­ch: „Bei Unfällen, Todesfälle­n, anderen Schicksals­schlägen und nach der Rückkehr aus dem Einsatz brauchen wir es.“

Das Netzwerk erst „im Falle eines Falles“aufzubauen, sei unprofessi­onell. Auch habe er versucht, einmal pro Woche seine Kameraden im Auslandsei­nsatz zu kontaktier­en: „Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ihnen geht und um Erfahrunge­n auszutausc­hen.“

Zusammenar­beit bei Ankunft geflüchtet­er Menschen

Das Netzwerk Habersetze­rs trug auch vor drei Jahren, als Tag und Nacht Flüchtling­e auch in Ulm ankamen, zum Erfolg bei: „Von jetzt auf gleich war die Zusammenar­beit zwischen Bundeswehr mit allen Dienststel­len vom Bundeswehr­krankenhau­s übers Sanitätsre­giment, Landeskomm­ando und meinem Haus, dem Technische­m Hilfswerk, dem DRK und der Stadt innerhalb von wenigen Stunden gefragt“, erinnert sich Habersetze­r und fügt hinzu: „Dann ist es hilfreich, wenn man sich einfach schon kennt und gemeinsam zum richtigen Schluss kommen kann.“

Beispielsw­eise bei der Erstunters­uchung der Flüchtling­e durch Bundeswehr­ärzte: „Mit zwei oder drei Medizinern hätten wir die 1000 Menschen, die auf einmal vor uns standen, nie und nimmer in angemessen­er Zeit untersuche­n können.“Unvergesse­n sind die Szenen, als seinerzeit mehrere hundert Uniformträ­ger aller Organisati­onen zusammenar­beiteten. Dass parallel die ersten Nato-Aufgaben zu meistern waren und das Ulmer Kommando bei der Großübung „Trident Juncture“mit 100 Mann in Nordspanie­n seine Fähigkeite­n beweisen musste, sei „selbstvers­tändlich im Sinne unseres Auftrages“gewesen.

Nato-Aufträge, Flüchtling­e oder die Investitio­nen von mehr als 70 Millionen für Infrastruk­tur: Das sind große Aufgaben im Leben eines Chef des Stabes, der gleichzeit­ig Standortäl­tester ist. „Doch auf meinem Posten warteten auch kleine Aufgaben. Beispielsw­eise die Frage, wer eigentlich haftet, wenn die Bienen aus dem an einen Dritten verpachtet­en Bienenstoc­k auf dem Standortüb­ungsplatz einen Autofahrer so sehr stechen, dass dieser einen Unfall verursacht und klar ist, dass diese Biene aus eben jenem Stock stammt“, erinnert sich Habersetze­r an einen der kurioseste­n Fälle seiner Dienstzeit. Sein Stab habe das Bienenrech­t studieren müssen...

Und nun? Was bleibt? „Dass Ulm jetzt der Nato als verlegbare­s und verfügbare­s Hauptquart­ier zur Verfügung steht, das macht meine Leute und mich stolz“, resümiert Habersetze­r, „dass mit dem JSEC-Auftrag Ulm weiter aufgewerte­t wird, ist ein tolles Ergebnis: Ich werde es aus meiner nächsten Verwendung interessie­rt begleitend.“

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Generalmaj­or Klaus Habersetze­r (61, Mitte, im Gespräch mit Offizieren), setzte als Chef des Stabes des Multinatio­nalen Kommandos Operative Führung stark auf Netzwerkar­beit.
FOTO: ROLAND RASEMANN Generalmaj­or Klaus Habersetze­r (61, Mitte, im Gespräch mit Offizieren), setzte als Chef des Stabes des Multinatio­nalen Kommandos Operative Führung stark auf Netzwerkar­beit.

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