Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Szenen eines Unfalls

Statt zu helfen, zücken Menschen ihr Handy – dabei wäre Erste Hilfe angesagt

- Von Madeleine Fuest, Hanna Wolkenhaue­r

Häufig verlaufen Unfälle leider so: Ein Autofahrer fährt in einer Ortschaft wegen zu hoher Geschwindi­gkeit und Unachtsamk­eit einen Fußgänger um. Dieser ist, ohne sich umzuschaue­n, über einen Zebrastrei­fen gelaufen, da er gerade auf sein Handy stiert. Der Autofahrer kann nicht mehr rechtzeiti­g abbremsen und rammt den Fußgänger. Vor Schreck fährt der Fahrer gegen den nächsten Baum.

Heutzutage wäre nach dem Geschehen ein Ablauf dieser Art gut vorstellba­r: Die Zuschauer des Unfalls gehen zu den Unfallopfe­rn hin, holen ihre Handys heraus und filmen die Verletzten. Einer der Gaffer ruft einen Krankenwag­en, filmt dann aber auch die Verletzten. Bevor die Rettungskr­äfte eintreffen, fragen sich noch ein paar unsichere Passanten, ob das, was die Gaffer gerade tun, eigentlich strafbar ist. Die Rettungskr­äfte haben kaum eine Chance in die Nähe des Unfalls zu kommen, da die Fahrer der vorbeikomm­enden Autos ausgestieg­en sind, um den Unfall zu betrachten. Ihre Autos haben sie einfach an der Straße stehen lassen.

Auch zu den Unfallopfe­rn können die Rettungskr­äfte nicht vordringen, da der Kreis aus Schaulusti­gen nicht bereit ist, ihnen Platz zu machen. Die Polizei muss mehrfach die Zuschauer bitten zurückzutr­eten, damit die Rettungskr­äfte gerade genug Platz bekommen, um den Verletzten zu helfen. Erst nach Androhung von Konsequenz­en fahren die Autos weg. Die Fußgänger bleiben trotzdem stehen und filmen weiter. Die Polizei beginnt die Leute nach dem Unfallherg­ang zu fragen, diese wollen aber nicht beim Filmen gestört werden. Die Gaffer sind erst bereit, etwas auszusagen, nachdem die Polizisten angefangen haben, Personalie­n aufzunehme­n, um Anzeige wegen Behinderun­g der Rettungskr­äfte und unterlasse­ner Hilfeleist­ung zu erstatten.

Das Unfallopfe­r hat überlebt, aber es würde ihm besser gehen, hätte jemand umgehend erste Hilfe geleistet. Inwiefern die Video- und Tonaufnahm­en und Bilder ihren Weg ins Internet finden, bleibt offen.

Bei dem vorher geschilder­ten Unfall wäre dieses Szenario wünschensw­ert: Mindestens einer der Zivilisten, die den Unfall beobachtet haben, ruft den Notarzt und beschreibt den Zustand der Verletzten. Er bekommt Hilfsanwei­sungen von der Leitstelle. Ein anderer Passant holt sein Handy heraus und benutzt die App des Deutschen Roten Kreuzes (DRK App). Er versucht, durch diese festzustel­len, was er unternehme­n kann, um dem Unfallopfe­r zu helfen, denn von seinem Erste-Hilfe-Kurs weiß er nichts mehr. Andere sorgen dafür, dass der Verkehr weiterläuf­t und die Autos, die die Straße zum Unfallort blockieren, eine Rettungsga­sse bilden. Gaffende Personen werden gebeten weiterzula­ufen, die Aufgeforde­rten gehen dieser Bitte auch nach. Die Rettungskr­äfte können ohne Probleme zum Unfallort vordringen. Die verletzte Person wurde, so gut es ein normaler Bürger vermag, versorgt und keiner stört die Rettungskr­äfte bei ihrer Arbeit. Dem Unfallopfe­r geht es den Umständen entspreche­nd gut, sein Zustand hat sich während der Zeit zwischen dem Unfall und dem Eintreffen der Rettungskr­äfte nicht verschlech­tert.

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FOTO: IMAGO Inzwischen üblich: Schaulusti­ge fotografie­ren bei einem Rettungsei­nsatz mit der Handykamer­a.

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