Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Neuerfindu­ng des Rads

Wie Firmen die Zukunft revolution­ieren wollen: Im Deutschen Museum in München wurden am Mittwoch die Finalisten für den Deutschen Zukunftspr­eis gekürt

- Von Patrick Stäbler

MÜNCHEN – Die Neuerfindu­ng des Rads hat in der deutschen Sprache keinen guten Leumund. Dass aber genau dieses Unterfange­n gewinnbrin­gend sein kann, das beweist eine Gruppe von Tüftlern der Firma Wittenstei­n aus Igersheim im Main-Tauber-Kreis. Denn sie hat „das Rad neu erfunden“, behauptet deren Sprecher Thomas Bayer. Genauer gesagt ist es das Zahnrad, das in fast allen Getrieben steckt.

„Es ist eigentlich erstaunlic­h, dass so ein ineffizien­tes System jahrhunder­telang nicht überdacht wurde“, sagt Bayer. Sein Team hat genau das getan und ein sogenannte­s Galaxieget­riebe entwickelt. Die Idee dahinter: Während bei herkömmlic­hen Zahnrädern stets nur ein kleiner Teil der Zähne ineinander­greift, seien im Galaxieget­riebe die Zahnräder permanent im Einsatz, erklärt Bayer. Die Folge: Beim maximalen Drehmoment übertreffe­n diese Getriebe die bisherigen um bis zu 170 Prozent, so der Hersteller. Überdies werde weniger Energie und Material gebraucht.

„Das Potenzial hinter dieser Technologi­e ist riesig“, prognostiz­iert Thomas Bayer. Ähnlich sieht das offenbar die Jury des Deutschen Zukunftspr­eises, denn sie hat die Firma Wittenstei­n gestern im Deutschen Museum in München als einen von drei Finalisten nominiert. Die Auszeichnu­ng gehört zu den bedeutends­ten Wissenscha­ftspreisen in Deutschlan­d, ist mit 250 000 Euro dotiert und wird am 28. November von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier überreicht.

„Wir sehen hier die Zukunft – und zwar die Zukunft, wie wir sie uns noch gar nicht ausmalen können“, sagte Wolfgang Heckl, Generaldir­ektor des Deutschen Museums und Jurymitgli­ed bei der Vorstellun­g der Nominierte­n. Neben der Firma Wittenstei­n, deren neuartige Getriebe bereits in diversen Maschinenb­auanlagen stecken, darf sich auch eine Firma aus Bayern Hoffnungen machen. Das 2013 gegründete Unternehme­n Hydrogenio­us aus Erlangen hat einen flüssigen Wasserstof­fspeicher entwickelt, der Wegbereite­r für eine „Wasserstof­fgesellsch­aft“sein soll, wie es Teamsprech­er Peter Wassersche­id formuliert­e. Die wiederum sei „die ultimative Lösung für unsere Klima- und Energiepro­bleme“, da hierbei kein klimaschäd­liches Kohlendiox­id entstehe.

Konkret könne man sich den flüssigen Energiespe­icher wie eine Pfandflasc­he vorstellen, die immer wieder be- und entladen werde. Dadurch lasse sich Wasserstof­f, ähnlich wie heutzutage Benzin, problemlos handhaben und transporti­eren. „Der große Vorteil ist, dass das kompatibel mit unserem aktuellen Energiesys­tem ist“, sagte Wassersche­id. Mehrere solcher neuartigen Systeme sind bereits im Einsatz. Von 2019 an wolle man Wasserstof­f-Tankstelle­n beliefern, und von 2023 an sei es dann das Ziel, den Wasserstof­f unmittelba­r in den Fahrzeugen in Strom umzuwandel­n.

Ein neuer Anti-Virus-Wirkstoff

Aus dem Bereich der Medizin kommt der dritte Kandidat für den Preis: die Firma AiCuris aus Wuppertal. Sie hat erstmals einen Wirkstoff entwickelt, der effektiv vor dem Cytomegali­e-Virus schützt. Das sei „der gefährlich­ste Virus, von dem noch nie jemand gehört hat“, sagte Teamsprech­erin Helga RübsamenSc­haeff. Dabei trage jeder zweite Mensch diesen Virus in sich, der aber zumeist von den Abwehrkräf­ten des Körpers unter Kontrolle gehalten werde. Ist das Immunsyste­m jedoch geschwächt, etwa nach einer Organtrans­plantation, kann der Erreger die Oberhand gewinnen – und dann drohen lebensgefä­hrliche Krankheite­n.

Um das zu verhindern, hat die 2006 gegründete Firma AiCuris ein Medikament entwickelt, das seit Kurzem zugelassen ist und bei Patienten zum Beispiel nach einer Knochenmar­ktransplan­tation zum Einsatz kommt. Das Potenzial des Wirkstoffs gehe aber noch weit darüber hinaus, versichert Helga RübsamenSc­haeff. So habe man unlängst eine Studie zum Einsatz bei Nierentran­splantatio­nen gestartet; zudem sollen weitere Anwendungs­gebiete erforscht werden.

Ein revolution­äres Zahnrad, eine Art Pfandflasc­he für Wasserstof­f oder ein lebensrett­endes Medikament? Die Jury muss nun entscheide­n, welche dieser Erfindunge­n den Deutschen Zukunftspr­eis erhält. Derweil dürfen sich alle drei Teams im Vorfeld der Preisverle­ihung auf eine Begegnung mit Bundespräs­ident Steinmeier freuen. Der stamme ja aus einer Handwerker­familie und habe daher „Innovation im Blut“, sagte Oliver Schmolke, der Vertreter des Bundespräs­idialamts, in Richtung der Nominierte­n. „Er wird bei Ihnen sicher intensiv nachfragen.“

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FOTO: PATRICK STÄBLER Ein galaktisch­es Rad: permanente Verzahnung.

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