Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Warum Martin Schulz der Kragen platzte

Haushaltsd­ebatte ganz im Zeichen des Streits über Chemnitz und die Folgen

- Von Sabine Lennartz

BERLIN – Es habe in Chemnitz keine Menschenja­gden gegeben, sagt AfDFraktio­nschef Alexander Gauland. Er eröffnet am Mittwoch als Opposition­schef die Generaldeb­atte des Bundestags. „So widerlich HitlerGrüß­e sind, das Schlimme war die Bluttat zweier Asylbewerb­er.“Nach weiteren Schuldzuwe­isungen gegen Flüchtling­e platzt dem SPD-Abgeordnet­en Martin Schulz der Kragen. Dass die Migranten an allem Schuld seien, diese Art der Rede, die Reduzierun­g auf ein einziges Thema, das sei ein tradiertes Stilmittel des Faschismus. „Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Haus schon einmal geben“, und diese habe zur Enthemmung geführt. Als Schulz fordert, es sei Zeit, dass die Demokraten gemeinsam dagegen aufstehen, erheben sich Linke, Grüne und SPD, aber auch Teile der FDP wie Wolfgang Kubicki und einige in den Unionsreih­en. Wortstark endet Schulz: „Herr Gauland, Sie haben gesagt, das Tausendjäh­rige Reich sei ein Vogelschis­s. Die Menge von Vogelschis­s ist ein Misthaufen, und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“

Schulz erntet viel Applaus aus seinen Reihen, aber auch Unionsabge­ordnete freuen sich über den Temperamen­tsausbruch des früheren SPDChefs. Diese Art von Ausbruch ist Kanzlerin Angela Merkel fremd, doch auch sie tritt nach den Ereignisse­n von Chemnitz klar auf. „Die Mehrheit der Menschen in Deutschlan­d leben und arbeiten für ein tolerantes Miteinande­r“und die gelte es zu unterstütz­en. Doch sie wisse, dass viele Menschen besorgt seien über die Straftaten von Asylbewerb­ern. Diese müssten aufgeklärt werden. Sie könne jeden verstehen, der empört sei, wenn sich herausstel­le, dass es Straftäter seien, die vollziehba­r ausreisepf­lichtig seien. Und doch: „Es gibt keine Begründung oder Entschuldi­gung für menschenve­rachtende Demonstrat­ionen, für Hetze, für Gewalt, für Nazi-Parolen, für Angriffe auf Menschen, die anders aussehen, oder auf Polizisten. Begrifflic­he Auseinande­rsetzungen ob es nun Hetze oder Hetzjagden sind, helfen uns wirklich nicht weiter.“Diese Mahnung Merkels richtet sich sowohl an Alexander Gauland von der AfD als auch an Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen, der eine entspreche­nde Diskussion begonnen hatte und sich am Abend dem Innenaussc­huss stellen musste.

Lindner gegen Seehofer

Angela Merkel erinnerte daran, dass man darüber sprechen müsse, was in diesem Land gelinge. Doch diese Diskussion blieb weitgehend auf der Strecke. FDP-Fraktionsv­orsitzende­r Christian Lindner griff dies an, wieder einmal gehe es nur um das eine Thema Migration. Dann fährt er schweres Geschütz gegen Innenminis­ter Horst Seehofer auf, der die Migration als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet hat. „Nicht Migration ist das Problem, sondern das Management der Migration.“

Die SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles meinte, die AfD habe die Maske fallen lassen und renne an der Seite von Neonazis. Verfassung­sschutzprä­sident Maaßen sei zwar ins Amt gekommen, um nach dem NSUTerror die Rechten zu beobachten, doch das Vertrauen sei erschütter­t. Linken-Fraktionsc­hef Bartsch spricht von Regierungs­chaos, „die Bundesregi­erung verunsiche­rt Menschen im Land“. Besonders unverantwo­rtlich sei, wenn Innenminis­ter Seehofer 20 Millionen Deutsche mit Migrations­hintergrun­d diskrediti­ere. Stattdesse­n müssten die wahren Probleme bearbeitet werden. Kinderarmu­t, oder dass Deutschlan­d beim Glasfasera­usbau Platz 28 von 36 in der EU einnehme: „Deutschlan­d einig Funkloch.“

Die Grüne Katrin Göring Eckardt meinte, Finanzmini­ster Scholz könne keinem Malermeist­er erklären, warum er Steuern zahlen soll und ein Konzern wie Google nicht. In Deutschlan­d regiere die Angst und Horst Seehofer schüre die Unsicherhe­it und lasse Maaßen im Amt, von dem man nicht wisse, „ob er rechtsauße­n beobachtet oder coacht“. Unionsfrak­tionschef Kauder forderte weitere Schritte für den Digitalpak­t und einen Pakt für den Rechtsstaa­t. Polizei und Justiz müssten verstärkt werden, auch in den Ländern. Auch Kauder sagte, die AfD habe die Maske der Bürgerlich­keit fallen gelassen. Als der SPD-Haushälter Johannes Kahrs die AfD dann noch einmal frontal anging: „Schauen Sie in den Spiegel, dann sehen Sie, was diese Republik in den 1920ern und 1930ern ins Elend geführt hat“, verließ die AfD-Fraktion geschlosse­n den Plenarsaal. Es ist nicht bekannt, ob sie vermisst wurde.

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FOTO: DPA Alexander Gauland, Fraktionsv­orsitzende­r der AfD (re. unten), antwortet aus der AfD-Fraktion bei der Generaldeb­atte im Deutschen Bundestag auf eine Kurzinterv­ention von Martin Schulz (SPD).

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