Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ich sehe keine Verschärfu­ng, sondern eine lebhafte Diskussion­skultur“

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BERLIN - Andreas Herholz bat Professor Karl-Rudolf Korte (Foto: dpa), Politikwis­senschaftl­er an der Universitä­t DuisburgEs­sen, um eine Einschätzu­ng der Generaldeb­atte.

Die Debatte im Bundestag war geprägt von den Ereignisse­n in Chemnitz. Driftet die Gesellscha­ft immer weiter auseinande­r?

Nein, sie driftet nicht weiter auseinande­r. Die Gesellscha­ft ist seit Jahren politisier­ter und polarisier­ter. Dass Haushaltsd­ebatten von politische­n Geschehnis­sen überlagert werden, hat es immer gegeben. Dass sich das jetzt nach Chemnitz so artikulier­t, war erwartbar.

Erleben wir einen neuen Stil im Parlament, und zeigt die AfD nun ihr wahres Gesicht?

Die Provokatio­n hat bereits mit der ersten Debatte nach der Bundestags­wahl eingesetzt. Ich sehe keine Verschärfu­ng, sondern eine lebhafte Diskussion­skultur. Die gähnende Langeweile der Großen Koalition der letzten Legislatur­periode ist zu Ende. Es ist lebhafter, kontrovers­er und schärfer. Das ist kein Nachteil. Die Parteien sind immer ein Abbild der Gesellscha­ft. Wir haben mehr Parteien und mehr Opposition­sparteien im Parlament und durch die AfD auch erstmals eine Rechtsvers­chiebung. Das hat zu einer völlig veränderte­n Debattenku­ltur im Bundestag geführt, die aber durchaus zivilisier­t geführt und geleitet wird.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat erklärt, dass Auseinande­rsetzungen darüber, ob es „Hetze“oder „Hetzjagden“gab, nicht weiterführ­en. War das ein Wink für Verfassung­sschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen und Bundesinne­nminister Horst Seehofer?

Ja. Das kann man so interpreti­eren. Sprachgewi­nn ist Machtgewin­n. Deswegen streiten Maaßen und der Innenminis­ter mit der Kanzlerin auch seit Tagen darum, ob es in Chemnitz nun Hetzjagden gegeben hat oder nicht.

Gegen Maaßen gibt es wegen seiner umstritten­en Äußerungen zu Chemnitz bereits Rücktritts­forderunge­n. Ist er noch zu halten?

Das müsste der Bundesinne­nminister entscheide­n. Ein Verfassung­sschutz-Präsident, der sich mit einer zentralen Aussage in einer Boulevardz­eitung äußert, und eine politische Positionie­rung vornimmt, die ihm nicht zusteht, ist eigentlich nicht tragbar. Er muss von Amts wegen versuchen, den Missbrauch der Verfassung zu verhindern und nicht öffentlich­e Kommentare dazu abgeben. Deswegen hat er extrem an Vertrauen verloren. Seine Gestaltung­smöglichke­iten sind unter diesen Voraussetz­ungen extrem begrenzt.

Was muss geschehen, damit das gesellscha­ftliche Klima nicht weiter angeheizt wird?

Mit sozialpoli­tischen Maßnahmen muss versucht werden, Ungleichhe­it und Ungerechti­gkeit in der Gesellscha­ft und in verschiede­nen Regionen zu beseitigen. So steht es auch im Koalitions­vertrag. Das Geld ist ja vorhanden. Wir müssen diese Ungleichhe­it beseitigen. Dann wird sich auch Gemeinwohl über gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse viel stärker herausbild­en als bislang.

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