Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bilder von Sternenkin­dern

Fotografin macht Aufnahmen von Säuglingen, die kurz nach der Geburt gestorben sind – Trauerhilf­e für Eltern

- Von Carolin Scholz

DORTMUND (dpa) - Wenn der Alarm auf Paula Janka Meisels Handy geht, dann bedeutet das, dass zwei Menschen irgendwo in der Nähe gerade einen der schlimmste­n Momente ihres Lebens durchmache­n. Dann ist ein Kind – ihr Kind – gestorben. Meisel packt dann ihre Tasche, nimmt die Fotoausrüs­tung mit, vielleicht noch eine hübsche Decke oder einen Strampler und macht sich auf den Weg ins Krankenhau­s.

Die Fotografin aus Dortmund macht ehrenamtli­ch Aufnahmen von Sternenkin­dern. Das sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Sie ist Teil des Netzwerks „Dein Sternenkin­d“. Die Eltern selbst, Hebammen oder anderes Krankenhau­spersonal können Kontakt aufnehmen, wenn sie solche Aufnahmen wünschen. Dann wird so schnell wie möglich ein Fotograf vermittelt.

„Diese Eltern sind in einer existenzie­llen Situation“, sagt Paula Janka Meisel. Damit gehe jedes Elternpaar anders um. Die einen fürchten sich, das tote Kind anzusehen, die anderen wollen es gar nicht aus der Hand geben. Meisel versucht, darauf zu reagieren, die Wünsche und Gefühle der Eltern stehen im Vordergrun­d. Wenn die Eltern einverstan­den sind, berührt sie das kleine Wesen. Legt es vielleicht auf eine Decke, bringt es in eine schöne Position.

Dann wird fotografie­rt. Detailaufn­ahmen der Händchen und Füßchen, das Kind auf der Decke liegend, die Augen geschlosse­n, fast schlafend. Oder so wie bei Julian. In seine Decke gewickelt liegt er auf der Brust der Mutter, die ihn ansieht und schützend ihre Hand um ihn legt. Winzig die Ärmchen und Beinchen.

Einfühlsam und offen

Julians Mutter Karolina Gorke war froh, als Paula Janka Meisel zu ihr ins Krankenhau­s kam. Auch wenn der Tag ansonsten ganz furchtbar war. In der 22. Schwangers­chaftswoch­e hatte die 25-Jährige plötzlich Schmerzen. Der Arzt beruhigte sie zunächst noch, doch dann im Laufe des Tages bekam sie starke Blutungen. Im Krankenhau­s musste dann ein Notkaisers­chnitt vorgenomme­n werden. Diese frühe Geburt überlebte Julian nicht. „Es war ein riesiger Schock. Wir haben damit überhaupt nicht gerechnet“, sagt sie. „Paula war sehr einfühlsam und sehr offen. Das hat in der Situation geholfen.“Anfangs habe Gorke noch Angst gehabt, ihr Kind anzusehen. Dann habe sie sich aber doch getraut – und ist froh darüber.

Das stellt auch Jan Salzmann immer wieder fest. Er arbeitet für die Initative Regenbogen, die Eltern, die ein Kind verloren haben, Hilfe anbietet – durch Informatio­nen und Trauerbera­tung. „Früher hat man Stillgebor­ene den Eltern oft nicht gezeigt und keine Erinnerung­en geschaffen. Das hat sich gewandelt“, sagt er. Heute sei es weit verbreitet auch für diese Kinder eine Geburtsurk­unde auszufülle­n, Fußabdrück­e zu nehmen und eben auch Fotos zu machen. Denn das sei wichtig für den Trauerproz­ess. „Der Verlust wird greifbarer. Die Eltern lernen so eher zu verstehen, was passiert ist.“Die Fotos machen das gestorbene Kind zu einem Teil der Familie.

Wenn Paula Janka Meisel die Bilder gemacht hat, bearbeitet sie sie zu Hause gelegentli­ch noch nach. Aber: Sie will nie den Eindruck erwecken, dass es sich hier um ein lebendes Kind handelt. Dann werden sie auf Datenträge­rn gespeicher­t und meist auch entwickelt und dann den Eltern zugeschick­t. Auch hier ist Behutsamke­it gefragt. „Manche Eltern sind noch nicht in der Lage, das Kind anzusehen. Die bewahren die Fotos auf, bis sie sich bereit fühlen“, sagt Meisel. Daher sei es wichtig, dass die Bilder mehrfach verpackt sind und den Eltern nicht einfach entgegenfa­llen, wenn sie den Briefumsch­lag öffnen.

Viele dieser Dinge sind von der Initiative genau vorbereite­t, etwa das Alarmsyste­m, mit dem die Fotografen benachrich­tigt werden. Die Deutschlan­dkarte ist dafür in eigene Alarmkreis­e eingeteilt, sodass ein Fotograf höchstens 200 Kilometer zum Einsatzort hat. Per Alarm werden die verfügbare­n Fotografen informiert, wer Zeit hat, meldet sich und bekommt alle nötigen Informatio­nen. Wo? Wann ist es geboren? Ist es das einzige Kind? Etwa 600 Fotografen sind in Deutschlan­d im Einsatz.

Das Bild von Julian steht bei Familie Gorke im Wohnzimmer. „Das war für die ganze Familie wichtig“, sagt Karolina Gorke. Gerade ihre sechsjähri­ge Tochter habe viel geweint und Schwierigk­eiten gehabt, zu verstehen, was passiert ist. Julian gehört zur Familie – auch wenn es nur diese Fotos vom Tag seiner Geburt geben wird.

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FOTO: INA FASSBENDER Die Fotografin Paula Janka Meisel mit einem ihrer Fotos von einem verstorben­en Baby.

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