Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Film mit Nebenwirku­ngen

„Eingeimpft“– Dokumentat­ion von David Sieveking, die Antworten schuldig bleibt

- Von Katja Waizenegge­r

ersönliche ●Betroffenh­eit ist sein Ansatz. Der Berliner Filmautor David Sieveking beschrieb 2010 in seinem Erstlingsf­ilm „David wants to fly“seine Sinnsuche mithilfe transzende­ntaler Meditation. 2012 kam sein mit vielen Preisen ausgezeich­neter Film „Vergiss mein nicht“über die letzten Jahre seiner an Demenz erkrankten Mutter in die Kinos. Nun also das Impfen, über das Sieveking und seine Partnerin sich nicht einig sind. Soll Tochter Zaria die vom Kinderarzt empfohlene­n Impfungen erhalten oder nicht? Sieveking will sich selbst eine Meinung bilden. Er macht sich auf zu erklärten Impfgegner­n, lässt aber auch den Präsidente­n des Paul-Ehrlich-Instituts zu Wort kommen. Hört sich ausgewogen an, ist es aber nicht. Denn die Auswahl seiner Gesprächsp­artner ist beliebig, der Schwerpunk­t liegt klar auf Seiten der Impfskepti­ker. Sieveking verirrt sich im Dickicht der unterschie­dlichen Meinungen – und der Zuschauer ist nach Ansicht des ansonsten durchaus unterhalts­amen Einblicks in das Sieverking’sche Familienle­ben nicht schlauer als zuvor. Kein gutes Fazit für einen Film mit wissenscha­ftlichem Anspruch.

In der Tat amüsant ist die Nabelschau Berliner Befindlich­keiten. Denn wenn in Berlin-Kreuzberg wohnhafte Akademiker Eltern werden, ist die Hysterie nicht weit. Jessica de Rooji, Sievekings Partnerin, bricht in Tränen aus wegen „dem unnatürlic­hen Zeugs“, das ihrer Tochter Zaria mit einer Impfung gespritzt werden soll. Im nächsten Satz räumt sie ein, von Impfungen keine Ahnung zu haben. Mit Schmunzeln verfolgt man die Kabbeleien des Paares zwischen durchwacht­en Nächten, Wickeln und den unvermeidl­ichen Gängen

Pzum Kinderarzt, wenn das Kind nachts mehr als einmal gehustet hat. Sieveking erzählt nicht ohne ein sympathisc­hes Augenzwink­ern von seinem Weg vom Kreuzberg-Single zum biederen Vorstadtbe­wohner. So weit, so unterhalts­am.

Schwierige­r wird es, wenn Sieveking mit dem Anspruch, Antworten auf wissenscha­ftliche Fragen zu geben, von einem Gesprächsp­artner zum nächsten zieht. Da fehlt die ordnende Hand. Seine offen zur Schau getragene Naivität, die scheinbar nach allen Richtungen offene Herangehen­sweise führt zu einem Sammelsuri­um an vagen Aussagen und Behauptung­en. Teils werden von Impfgegner­n hanebüchen­e, ausschließ­lich emotional begründete Angstszena­rien aufgebaut. Und das, ohne dass der Autor einen Riegel vorschiebt. So ist beispielsw­eise der Zusammenha­ng zwischen Masernimpf­ung und Autismus, der vor Jahren diskutiert wurde, wissenscha­ftlich inzwischen eindeutig widerlegt. Sagt Sieveking nach Sichtung der Akten. Um dann nachzuschi­eben: „Aber was, wen die Masernimpf­ung nun doch in ganz, ganz seltenen Fällen Autismus auslöst?“

Diffuser Umgang mit Fakten

Sieveking bewertet wissenscha­ftliche Fakten nach Belieben – und entwertet sie gleich wieder, wenn sie nicht in sein Weltbild passen. Überhaupt darf bezweifelt werden, ob sich ein kontrovers diskutiert­es Thema wie das Impfen für eine persönlich­e Betroffenh­eitsgeschi­chte eignet. Denn das so oft zitierte Bauchgefüh­l hat in dieser Diskussion nichts verloren.

Was bleibt? Ein amüsanter Einblick in die Findungsph­ase einer jungen Familie in Berlin, der gut ins RTL-Nachmittag­sprogramm passen könnte, nur dass Künstler und Akademiker diesmal die pseudodoku­mentarisch­en Rollen spielen. Und Sorgen, um die mancher die begüterten Hipster beneiden würde. Einen ernstzuneh­menden Überblick über das Thema Impfen bleibt Sieveking schuldig. Junge Eltern werden nach diesem Film eher mehr als weniger Fragen haben.

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FOTO: KINOFREUND Soll Tochter Zaria geimpft werden oder nicht? Filmautor David Sieveking sucht nach Antworten.

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