Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Krebsraten steigen ungebremst

Supersomme­r mit viel Sonne birgt extreme Gefahren für die Haut – Vor allem Kinder bedroht

- Von Roland Böhm

STUTTGART (dpa) - Lichtschut­zfaktor 50, ordentlich Sonnencrem­e schützt ja vor Hautkrebs – gerade in diesem Supersomme­r mit Sonne satt seit April. „Ein Irrglaube“, warnt der Tübinger Hautkrebse­xperte Claus Garbe. Es sei nicht so, dass die Haut durch Sonnenschu­tzmittel komplett vor Hautkrebs geschützt werden könne. „Vor Sonnenbran­d ja, vor Hautkrebs nicht.“Schon sehr niedrige Dosen UV-Strahlung (ultraviole­tten Strahlung) verursacht­en Veränderun­gen des Erbguts in der Haut, die das Krebsrisik­o vergrößern können. „Sobald die Haut braun wird, sind schon Mutationen ausgelöst.“

Hautkrebsk­ongress in Stuttgart

Garbe, Mediziner an der Eberhard Karls Universitä­t Tübingen, ist Tagungsprä­sident des Deutschen Hautkrebsk­ongresses, der am Donnerstag in Stuttgart beginnt. Der Professor berichtet vom „überrasche­nden Resultat“einer Studie mit rund 1800 Kindergart­enkindern, nach der Sonnenschu­tzmittel keinen Effekt auf die Entwicklun­g von Hautmutati­onen hatten. Schutz durch Kleidung dagegen habe einen deutlichen Unterschie­d ausgemacht.

Solange die Menschen das ausgiebige Sonnenbade­n nicht sein ließen, solange braun sein „in“sei, stiegen die Hautkrebsr­aten wohl weiter, sagt der Mediziner, und das ungebremst. Bis 2030 werde eine Verdoppelu­ng bei der Zahl der Neuerkrank­ungen erwartet. Dann gibt es in Deutschlan­d so viele neue Fälle von Hautkrebs im Jahr wie bei allen anderen Krebsarten zusammen, wie Garbe sagt. Er sieht ein Plateau frühestens 2050.

Gab es in den 1950er-Jahren nur einen Fall des besonders tückischen schwarzen Hautkrebse­s (malignes Melanom) in Deutschlan­d auf 100 000 Menschen pro Jahr, waren es in den 1990er-Jahren bereits acht Fälle und im Jahr 2010 rund 25. Für das Jahr 2030 werden Garbe zufolge 45 Fälle prognostiz­iert.

Menschen, die heute an Hautkrebs erkranken, hätten vor etwa 20, 30 Jahren zu viel Sonne bekommen, erklärt der Mediziner. Experten sehen in den derzeit ungebremst steigenden Fallzahlen die späten Folgen UV-bedingter Hautschäde­n in Kindheit und Jugend sowie nach freizeitun­d berufsbedi­ngter, langjährig­er Sonneneins­trahlung. Je intensiver und anhaltende­r die Haut der UVStrahlun­g ausgesetzt war, desto höher ist das Krebsrisik­o.

Dass man vor allem Kinder schützen und eincremen soll, wüssten eigentlich alle, ist der Berliner Kinderarzt Herbert Grundhewer überzeugt. Nur werde dieses Wissen leider sehr unterschie­dlich angewandt. Dabei sei es so einfach: Je länger UVStrahlen die Haut treffen, desto höher ist sofort das Risiko. Vor allem kleine Kinder mit ihrer noch dünnen Haut seien bedroht. Viele Kitas hätten reagiert und ließen die Kinder nur noch unter Sonnensege­ln im Sand spielen.

Grundhewer warnt davor, Hitze mit UV-Strahlung zu verwechsel­n. Man sehe und spüre die tückische Strahlung nicht. Natürlich sollten Kinder raus in die Natur – aber eben nur geschützt, mit Creme und Klamotten. Vor allem zwischen elf und 15 Uhr.

Auch seien Reisen in Sonnenländ­er kritisch, wo kaum Zeit sei, sich auf die plötzliche Belastung einzustell­en. „Das ist besonderer Stress für die Haut.“Vor allem beim gefährlich­eren schwarzen Hautkrebs gehen Experten davon aus, dass er durch akute UV-Überbelast­ung vor allem im Kindesalte­r bedingt ist. Der weiße Hautkrebs hingegen betrifft vor allem Langzeitur­lauber, aber auch Bauarbeite­r oder Dachdecker, die lange der Sonne ausgesetzt sind. Auch die Deutsche Gesetzlich­e Unfallvers­icherung meldet deutlich steigende Zahlen der bestätigte­n Berufskran­kheit Hautkrebs.

Frauen erkranken im Mittel mit 60

Deutschlan­dweit erkranken derzeit jährlich mehr als 240 000 Menschen neu an Hautkrebs, wie Garbe sagt. Die Zahl der Fälle von schwarzem Hautkrebs wurden beim Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin zuletzt mit mehr als 21 000 im Jahr angegeben. Frauen erkranken demnach im Mittel mit 60 Jahren, Männer sieben Jahre später.

Gefährlich an diesem Sommer sei vor allem der plötzliche und frühe Start gewesen, erklärt Ralph von Kiedrowski vom Vorstand des Berufsverb­ands der Deutschen Dermatolog­en (BVDD). „Es war kein langsames Vorbräunen, keine Gewöhnung der Haut möglich.“

Zwar mache ein Sonnenbran­d allein noch keinen Hautkrebs. „Aber die Haut addiert auf.“Im Laufe des Lebens wachse der aufsummier­te Schaden – und die Wahrschein­lichkeit für Hautkrebs steige. Nur ein Teil der Bevölkerun­g sei bisher ausreichen­d für die Gefahren sensibilis­iert. „Nur 35 Prozent derjenigen, die eine Hautkrebs-Früherkenn­ung in Anspruch nehmen könnten, tun das auch“, so der Hautarzt aus dem Westerwald.

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FOTO: DPA Ein Sonnenbran­d macht noch keinen Hautkrebs, Experten aber warnen: „Die Haut addiert auf.“

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