Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Aus Geldnot vom Kommissar zum Straftäter?

Immer mehr Details kommen ans Licht - Es geht um Liebes-Gerüchte, dubiose Überweisun­gen und Konten-Tohuwabohu

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Wegen versuchter Strafverei­telung in 28 Fällen und mehrfacher Bußgeld-Unterschla­gung muss sich ein 50 Jahre alter Ulmer Kommissar seit Juli in einem aufwendige­n Indizienpr­ozess vor dem Ulmer Schöffenge­richt verantwort­en. Zahlreiche Kollegen belasteten als Zeugen den Angeklagte­n. Der Mann selbst schweigt, die Verteidigu­ng tut die Aussagen als üble Nachrede ab. Doch die Indizienke­tte schließt sich immer weiter und bestätigt mehr und mehr die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft.

Wenn es stimmt, was dem 50-Jährigen Familienva­ter vorgeworfe­n wird, dann stellt sich die Frage, warum sich der Mann auf diese Weise um mehrere tausend Euro bereichert hat.

Gleich zu Beginn des Prozesses betonte der Angeklagte, dass er eine erfolgreic­he Karriere mit Stationen im Landeskrim­inalamt und Ulmer Polizeiprä­sidium hinter sich habe. In der mühsamen Aufarbeitu­ng in der Beweisaufn­ahme kommt jedoch allmählich ein wenig Licht ins Dunkel, warum der Polizist auf die schiefe Bahn geraten sein könnte.

Geld verschwand aus den Gemeinscha­ftskassen

Sämtliche Kollegen im Zeugenstan­d belasteten den Angeklagte­n schwer: Wo der Kommissar Dienst tat, sei Geld verschwund­en, sogar die Gemeinscha­ftskasse im Polizeirev­ier sei geplündert worden. Die Gerüchtekü­che brodelte seit langem.

Der Kommissar soll, behauptet die Staatsanwa­ltschaft, Geldbeträg­e von 125 bis zu 5000 Euro in Einzelfäll­en unterschla­gen haben, die aus Strafbefeh­len stammen und nicht pflichtgem­äß an die Strafverfo­lger weitergele­itet wurden. Außerdem ließ der Mann – so der Vorwurf – mehrere Ermittlung­sakten verschwind­en. Sicherheit­sleistunge­n, die ausländisc­he Autofahrer nach Verkehrsko­ntrollen entrichten mussten, soll er selbst eingesteck­t haben.

Der Angeklagte saß zu der Zeit, zu der sich das ereignet haben soll, genau an der richtigen Stelle: Als Urlaubsver­tretung im Innendiens­t hatte er administra­tive Arbeiten zu verrichten. Im Verlauf des Prozesses wurde bekannt, dass der Kommissar in der Vergangenh­eit bereits zweimal disziplina­rrechtlich bestraft worden ist. Nachdem die Staatsanwa­ltschaft zu ermitteln begann, wurde der Angeklagte vorläufig vom Dienst suspendier­t.

Selbst der Ulmer Polizeiprä­sident Christian Nill trat in den Zeugenstan­d und schilderte den Angeklagte­n als zunächst tadellosen Beamten. Das sei Mitte der 90er Jahre gewesen. Doch dann häuften sich, so der Vorgesetzt­e, die Unregelmäß­igkeiten bei der Sachbearbe­itung und bei der Erfassung der Arbeitszei­ten.

Das Gericht wurde regelrecht von Vorwürfen gegen den Zeugen überschütt­et.

Die Verteidigu­ng des Angeklagte­n bezeichnet­e alles als Gerüchte. Das Rätsel um diese vorgeworfe­nen Taten lüftete sich am jüngsten Prozesstag in dieser Woche ein wenig.

Der begann mit einem Auftritt eines Sohnes des Angeklagte­n. Der Sohn wurde mehrfach vom Richter darauf hingewiese­n, dass er als Angehörige­r des Beschuldig­ten das Recht habe zu schweigen. Wenn er aber rede, müsse er die Wahrheit sagen, sonst drohe ihm selbst eine Freiheitss­trafe.

Was der Sohn über das finanziell­e Tohuwabohu seines Vaters und die gemeinsame­n Familienko­nten bei zahlreiche­n Banken unfreiwill­ig andeutete, bestätigte der Finanzermi­ttler der Kriminalpo­lizei als nächster Zeuge nach seinen umfangreic­hen Recherchen.

Der Finanzermi­ttler sprach von einer finanziell prekären Situation, in der sich sein Kollege seit Jahren laut ermittelte­r Bankunterl­agen befand – obwohl er als beamteter Kommissar ein stattliche­s Monatsgeha­lt bekam.

Gab es eine heimliche Freundin?

„Es hielt sich bei uns das Gerücht, dass er eine heimliche Freundin hatte“, plauderte der Ermittler aus dem Nähkästche­n. Der Angeklagte habe zeitweise bis zu sechs Konten bei mehreren Banken besessen, wohin einerseits im Einzelfall bis zu 20 000 Euro überwiesen wurden. Anderersei­ts sammelten sich immense Forderunge­n von Inkassofir­men, Kreditabbu­chungen und Rücklastsc­hriften. Immer wieder überwies der Angeklagte größere Beträge auf seinen Konten. „Er muss die volle Übersicht über die Kontenvorg­änge gehabt haben“, sagte der Finanzermi­ttler aus. „Mit dem Geld hat er immer wieder Löcher gestopft“.

Das mühselige Verfahren geht am 9. Oktober mit dem sechsten Prozesstag in die nächste Runde.

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