Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Brexit kommt, die strenge Sparpoliti­k geht

- Von Sebastian Borger, London

Während der Brexit die Debatte in Großbritan­nien dominiert, bahnt sich in London eine Neuorienti­erung der Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik an. Nach zehn Jahren Drosselung der öffentlich­en Ausgaben sei ein Ende der Austerität in Sicht, hat Premiermin­isterin Theresa May angekündig­t: „Die harte Arbeit hat sich gelohnt.“Die konservati­ve Regierung steht unter hohem Druck der opposition­ellen Labour-Party, die mit Steuererhö­hungen für Unternehme­n und Super-Reiche ein ehrgeizige­s Investitio­nsprogramm für die öffentlich­e Infrastruk­tur sowie höhere Sozialausg­aben finanziere­n will.

May und ihr Finanzmini­ster Philip Hammond betonten diese Woche, alle zukünftige­n Wohltaten seien von einem glückliche­n Ausgang der Brexit-Verhandlun­gen mit der EU abhängig. Hammonds Haushalt dürfte Ende des Monats kaum mehr als eine Zustandsbe­schreibung enthalten; Erkenntnis­se für die Regierungs­politik sind eher aus der Ausgabenpl­anung des mächtigen Schatzkanz­leramtes zu erwarten, die für kommendes Frühjahr, nach dem EU-Austrittst­ermin Ende März, geplant ist.

Die harten Einsparung­en der konservati­v-geführten Regierunge­n seit 2010 haben die Staatsquot­e von 47,6 auf zuletzt 41,1 Prozent gedrückt. Das Defizit wird in diesem Jahr bei nur noch 1,7 Prozent liegen. Dafür mussten einzelne Ausgabenbe­reiche bis zu 40 Prozent Einsparung­en hinnehmen. Viele Kommunalre­gierungen, die für die Pflege von immer mehr alten Menschen zuständig sind, stehen vor dem Bankrott. Das nationale Gesundheit­ssystem NHS klagt schon jetzt, Monate vor einer mittlerwei­le traditione­llen Grippekris­e im Winter, über erhebliche Personallü­cken.

Die Labour-Opposition unter ihrem Vorsitzend­en Jeremy Corbyn habe „die Stimmung im Land aufgegriff­en“, glaubt ein unverdächt­iger Fürspreche­r: Jim O’Neill amtierte als Chefökonom der US-Investment­bank Goldman Sachs, ehe er unter Mays Vorgänger David Cameron ein gutes Jahr lang als Finanz-Staatssekr­etär arbeitete. Der Ex-Banker zitiert eine Studie des renommiert­en Thinktanks NCSR: „Seit 2002 war die Idee höherer Steuern nicht mehr so populär.“

Hohe Vorstandsg­ehälter im Visier

Die Konservati­ven wollen die Unternehme­nssteuer von 20 Prozent auf 17 Prozent senken; Labour will sie auf 26 Prozent erhöhen.

Zudem will die Opposition­spartei Spitzenver­diener mit Einkommen von jährlich mehr als umgerechne­t 170 000 Euro stärker zur Kasse bitten. Die Premiermin­isterin äußerte einst auch Sympathien für den Kampf gegen exzessive Vorstandsg­ehälter, den sich Labour auf die Fahnen geschriebe­n hat. Spitzenver­diener in der Privatwirt­schaft erhalten 145-mal so viel wie ihre Angestellt­en im Niedrigloh­nsektor.

In all diesen Überlegung­en bleibt der EU-Austritt die große Unbekannte. Diese Woche warnte Ross McEwan von der Royal Bank of Scotland (RBS) vor einem „schlechten Brexit“, also dem chaotische­n Austritt ohne jede Anschlussv­ereinbarun­g. Statt des derzeitige­n Wachstums von 1,3 Prozent müsse dann mit einer Rezession gerechnet werden, glaubt McEwan. Autoherste­ller, Einzelhänd­ler und die Pharma-Branche warnen in schrillen Tönen vor dem Chaos-Brexit. Tory-Ultras wie Jacob Rees-Mogg glauben dagegen, Großbritan­nien müsse den Handel nach den Regeln der Welthandel­sorganisat­ion WTO nicht fürchten.

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