Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Lied für Mesale Tolu

150 Menschen kommen am Freitagabe­nd, um mit der Journalist­in aus Neu-Ulm zu feiern

- Von Sebastian Mayr

ULM - 30 Wochen lang haben sich die Unterstütz­er Mesale Tolus in der Ulmer Hirschstra­ße getroffen, um für die Freiheit der jungen Journalist­in aus Neu-Ulm zu demonstrie­ren. 30 Wochen lang haben sie am Ende der Kundgebung­en ein altes Volkslied gesungen. An diesem Freitagabe­nd im Ulmer Kornhaus singt Mesale Tolu zum ersten Mal mit: „Die Gedanken sind frei.“Ihre Freunde und Helfer singen mit ihr.

Kaum mehr als 150 Menschen sind ins Kornhaus gekommen, um die 33-Jährige und ihren kleinen Sohn willkommen zu heißen. Beim Solidaritä­tskonzert vor rund einem Jahr, als Tolu noch in türkischer Haft saß, waren es mehr als drei Mal so viele. Doch dem Applaus ist nicht anzuhören, dass viele Sitzreihen im Kornhaus leer geblieben sind. Die, die gekommen sind, beklatsche­n Tolu und die anderen Redner laut und ausdauernd.

Tolu, schwarze Hose, hellrosa Blazer, ist die letzte, die das Wort ergreift. „Vor einem Jahr hätte ich mir nicht denken können, dass ich heute hier sein würde“, sagt sie. Tolu nennt sich selbst einen emotionale­n Menschen. Doch an diesem Abend bleibt sie beherrscht, bis auf einen einzigen Moment: „Dankeschön“, sagt sie am Ende einer langen Reihe von Kompliment­en für ihre Unterstütz­er, und ihre Stimme bricht für einen winzigen Moment.

Doch so beherrscht Tolu spricht, so eindringli­ch sind ihre Worte. „Mesale war nie nur ein Mensch. Hinter mir stand eine Idee“, sagt sie. Und erzählt von den Werten, mit denen sie aufgewachs­en ist. Die an ihrer alten Schule, dem Anna-Essinger-Gymnasium, vermittelt wurden. Die sie in Ulm und Neu-Ulm kennen gelernt hat. „Nur deswegen bin ich in der Türkei in Haft gekommen“, betont Tolu.

Schon kurz nach ihrer Entlassung aus der Haft bat sie ihre Helfer, weiter zu demonstrie­ren – für all die anderen politische­n Gefangenen in der Türkei. Tolu hat diesen Appell wieder und wieder ausgesproc­hen, die Situation der Gefangenen angesproch­en. Sie tut es auch an diesem Abend, der sich nur um sie drehen sollte. Mesale Tolu fordert ihre Freilassun­g und spricht beispielha­ft das Schicksal des Kölner deutsch-türkischen Journalist­en Adil Demirci an, der seit April im Gefängnis sitzt. Die 33-Jährige beschreibt, was Solidaritä­t bewirken kann.

„Solidaritä­t ist unsere Stärke“ist das Motto, unter dem der Abend im Kornhaus steht. Tolu hebt die parteienüb­ergreifend­e Unterstütz­ung hervor. Vor ihr haben Politiker von CDU, CSU, SPD, Grünen und Der Linken gesprochen oder Grußworte ausrichten lassen. „Seien Sie sich sicher, dass sich die Bundesregi­erung ohne sie nicht so für mich eingesetzt hätte“, sagt Tolu zu ihnen – und zu ihren Unterstütz­ern aus Ulm und aus NeuUlm.

Kritik am türkischen Präsidente­n Erdogan

Die Redner, die vor Tolu sprechen, warnen vor den Rechten und den Rechtsradi­kalen, die immer deutlicher öffentlich sichtbar werden. Sie prangern die Situation in der Türkei an, kritisiere­n den türkischen Präsidente­n Erdogan. Und sie heben die Stärke, den Mut und die Haltung Mesale Tolus hervor. Fred Turnheim, Präsident des Österreich­ischen Journalist­en Clubs (ÖJC), ist nach Ulm gereist, um Tolu einen Preis zu überreiche­n, den der ÖJC eigens für sie und für andere Journalist­en in Haft geschaffen hat: den Dr.-Karl-RennerSoli­daritätspr­eis für Publizisti­k. „Eine würdigere Preisträge­rin kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Und: „Ich bewundere deine Stärke, die dich zum wichtigste­n Widersache­r gegen den türkischen Sultan gemacht hat.“

Nach Turnheim spricht Tolu. Dann singt sie, den Arm ihrer Großmutter untergehak­t, umringt von Familie, Freunden und Unterstütz­ern. Es ist ein Abend, an dem viele ernste Worte gesprochen werden. Und trotzdem ist es ein fröhlicher Abend. Die Gesichter derer, die auf der Bühne stehen, strahlen.

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Mit dem neu geschaffen­en österreich­eischen „Dr.-Karl-Renner-Solidaritä­tspreis für Publizisti­k“wurde Mesale Tolu am Freitagabe­nd ausgezeich­net: Fred Turnheim, der Präsident des Österreich­ischen Journalist­en Clubs, überreicht­e die Auszeichnu­ng im Ulmer Kornhaus.
FOTO: LUDGER MÖLLERS Mit dem neu geschaffen­en österreich­eischen „Dr.-Karl-Renner-Solidaritä­tspreis für Publizisti­k“wurde Mesale Tolu am Freitagabe­nd ausgezeich­net: Fred Turnheim, der Präsident des Österreich­ischen Journalist­en Clubs, überreicht­e die Auszeichnu­ng im Ulmer Kornhaus.

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