Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Lied für Mesale Tolu
150 Menschen kommen am Freitagabend, um mit der Journalistin aus Neu-Ulm zu feiern
ULM - 30 Wochen lang haben sich die Unterstützer Mesale Tolus in der Ulmer Hirschstraße getroffen, um für die Freiheit der jungen Journalistin aus Neu-Ulm zu demonstrieren. 30 Wochen lang haben sie am Ende der Kundgebungen ein altes Volkslied gesungen. An diesem Freitagabend im Ulmer Kornhaus singt Mesale Tolu zum ersten Mal mit: „Die Gedanken sind frei.“Ihre Freunde und Helfer singen mit ihr.
Kaum mehr als 150 Menschen sind ins Kornhaus gekommen, um die 33-Jährige und ihren kleinen Sohn willkommen zu heißen. Beim Solidaritätskonzert vor rund einem Jahr, als Tolu noch in türkischer Haft saß, waren es mehr als drei Mal so viele. Doch dem Applaus ist nicht anzuhören, dass viele Sitzreihen im Kornhaus leer geblieben sind. Die, die gekommen sind, beklatschen Tolu und die anderen Redner laut und ausdauernd.
Tolu, schwarze Hose, hellrosa Blazer, ist die letzte, die das Wort ergreift. „Vor einem Jahr hätte ich mir nicht denken können, dass ich heute hier sein würde“, sagt sie. Tolu nennt sich selbst einen emotionalen Menschen. Doch an diesem Abend bleibt sie beherrscht, bis auf einen einzigen Moment: „Dankeschön“, sagt sie am Ende einer langen Reihe von Komplimenten für ihre Unterstützer, und ihre Stimme bricht für einen winzigen Moment.
Doch so beherrscht Tolu spricht, so eindringlich sind ihre Worte. „Mesale war nie nur ein Mensch. Hinter mir stand eine Idee“, sagt sie. Und erzählt von den Werten, mit denen sie aufgewachsen ist. Die an ihrer alten Schule, dem Anna-Essinger-Gymnasium, vermittelt wurden. Die sie in Ulm und Neu-Ulm kennen gelernt hat. „Nur deswegen bin ich in der Türkei in Haft gekommen“, betont Tolu.
Schon kurz nach ihrer Entlassung aus der Haft bat sie ihre Helfer, weiter zu demonstrieren – für all die anderen politischen Gefangenen in der Türkei. Tolu hat diesen Appell wieder und wieder ausgesprochen, die Situation der Gefangenen angesprochen. Sie tut es auch an diesem Abend, der sich nur um sie drehen sollte. Mesale Tolu fordert ihre Freilassung und spricht beispielhaft das Schicksal des Kölner deutsch-türkischen Journalisten Adil Demirci an, der seit April im Gefängnis sitzt. Die 33-Jährige beschreibt, was Solidarität bewirken kann.
„Solidarität ist unsere Stärke“ist das Motto, unter dem der Abend im Kornhaus steht. Tolu hebt die parteienübergreifende Unterstützung hervor. Vor ihr haben Politiker von CDU, CSU, SPD, Grünen und Der Linken gesprochen oder Grußworte ausrichten lassen. „Seien Sie sich sicher, dass sich die Bundesregierung ohne sie nicht so für mich eingesetzt hätte“, sagt Tolu zu ihnen – und zu ihren Unterstützern aus Ulm und aus NeuUlm.
Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan
Die Redner, die vor Tolu sprechen, warnen vor den Rechten und den Rechtsradikalen, die immer deutlicher öffentlich sichtbar werden. Sie prangern die Situation in der Türkei an, kritisieren den türkischen Präsidenten Erdogan. Und sie heben die Stärke, den Mut und die Haltung Mesale Tolus hervor. Fred Turnheim, Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs (ÖJC), ist nach Ulm gereist, um Tolu einen Preis zu überreichen, den der ÖJC eigens für sie und für andere Journalisten in Haft geschaffen hat: den Dr.-Karl-RennerSolidaritätspreis für Publizistik. „Eine würdigere Preisträgerin kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Und: „Ich bewundere deine Stärke, die dich zum wichtigsten Widersacher gegen den türkischen Sultan gemacht hat.“
Nach Turnheim spricht Tolu. Dann singt sie, den Arm ihrer Großmutter untergehakt, umringt von Familie, Freunden und Unterstützern. Es ist ein Abend, an dem viele ernste Worte gesprochen werden. Und trotzdem ist es ein fröhlicher Abend. Die Gesichter derer, die auf der Bühne stehen, strahlen.