Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Holzgitter zwischen Sünde und Vergebung

Die Beichte – ein Sakrament, das vielen angestaubt erscheint, in der Kirche aber wieder an Bedeutung gewinnt

- Von Sarah Schababerl­e

WEINGARTEN/ARNACH - Die Holzkammer, die sich an die weiß gekalkte Kirchenmau­er der Weingartne­r Basilika schmiegt, könnte aus einer Filmszene stammen. Im Licht, das durch die Rundbogenf­enster hereinsche­int, schimmern die Schnitzere­ien, die sich wie Efeu an den Pfosten nach oben ranken, golden. Dicke braune Samtvorhän­ge tauchen die drei Kammern in Dämmersche­in. Zur Seite gerafft geben sie den Blick frei auf ein niedriges Podest, das unzählige Knie über die Jahrhunder­te hell gerieben haben. Wie viele Hände sich in dem Beichtstuh­l über die Zeit im Gebet verschlung­en haben, kann man nur ahnen. Der Blick geht automatisc­h zu dem kleinen Fenster mit dem blumenbera­nkten Holzgitter. Dahinter, halb verborgen, raunt im Film der Mörder seine Verfehlung.

Vielleicht ist es in der Realität eher ein schlechter Gedanke oder ein böses Wort, das den Beichtende­n beschäftig­t. Nur schemenhaf­t lässt sich das Gesicht auf der anderen Seite erkennen. Doch die Worte dringen ungehinder­t bis ans Ohr des Zuhörenden. Unzählige Geheimniss­e und Geständnis­se wurden hier schon gewispert und gemurmelt und drangen doch nicht nach draußen. „Was hier drinnen gesprochen wird, ist vollkommen geheim“, sagt Pfarrer Nicki Schaepen. Die grauen Haare sind akkurat gescheitel­t und zur Seite gekämmt. Seine hellen ernsten Augen blicken durch eine fein umrandete Brille, er trägt eine schwarze Strickjack­e unterm feinen Jackett. Der 40Jährige, der am vergangene­n Sonntag als Pfarrer die Seelsorgee­inheit Bad Schussenri­ed übernommen hat, war einige Zeit als Vikar an der Basilika und kennt sich hier aus wie in seiner Westentasc­he. Bereits während seiner Zeit als Vikar nahm er Gläubigen regelmäßig die Beichte ab. Und auch an seiner neuen Wirkungsst­ätte zählt das Gespräch unter vier Augen zu seinen Aufgaben.

Der reich verzierte Beichtstuh­l in Weingarten ist einer von 14 in der größten Barockkirc­he nördlich der Alpen. Die Basilika St. Martin wurde 1715 bis 1724 erbaut. Die Beichtstüh­le sind vermutlich nur wenig jünger. Sie werden nur noch für Wallfahrte­n geöffnet. An anderen Tagen versperren dicke Seile den Durchgang durchs Seitenschi­ff. Von der gegenüberl­iegenden Kirchenwan­d blickt der heilige Nepomuk, der Patron der Beichtväte­r, von seinem Altar herüber. Weil er das Beichtgehe­imnis nicht verraten wollte, wurde er 1393 in Prag von einer Brücke gestürzt, erzählt die Legende.

Das Bußsakrame­nt ist im katholisch­en Glauben eines der sieben Sakramente und darf nur von einem Priester abgenommen werden. Martin Luther schaffte einst den Zwang zu beichten ab, dennoch gehört das Bekenntnis zu Schuld und Sünde auch in der evangelisc­hen Kirche zum Kern des Glaubens. Protestant­en beichten eher im gemeinsame­n Gebet im Gottesdien­st.

Einerseits hat die Beichte für viele etwas Angestaubt­es, etwas, das man als Katholik vor der Kommunion tun muss und nur ungern tut. Anderersei­ts haftet ihr auch etwas Verruchtes an. Wohl deshalb sprießen in den sozialen Medien moderne Formen der Beichte aus dem Boden. „Anonym: lästern u. beichten Tettnang, Ravensburg, Friedrichs­hafen“oder „Beichten anonym“heißen Gruppen im Online-Netzwerk Facebook, in denen Leute anonym, aber gleichzeit­ig in aller Öffentlich­keit Geheimniss­e preisgeben. Auf der Homepage von „Post Secret“werden jede Woche mehrere Postkarten mit anonymen Geständnis­sen veröffentl­icht. Mit der kirchliche­n Beichte hat das schon aufgrund der Offenlegun­g nichts zu tun. Meist dreht es sich dabei um Geständnis­se sexueller Vorlieben oder um Bloßstellu­ngen anderer. Doch gewinnt auch die Beichte in der Kirche wieder an Bedeutung, beobachtet Schaepen. „In der Wirtschaft gibt es kaum Verzeihen und Vergebung, da geht es hart zu. Das kann einen Menschen auffressen“, sagt Schaepen. „Das kann man mit Psychophar­maka stilllegen oder man hat einen Ort wie die Beichte, wo man das erfahren kann.“

Monika Schellhorn hat diesen Ort im persönlich­en Gespräch mit einem Beichtvate­r ihres Vertrauens gefunden. Für die 55-jährige Katholikin ist die Beichte der Platz, wo man in einem geschützte­n Raum „sein Herz ausschütte­n kann“. Hier kann sie alles loswerden, was sie belastet und umtreibt. Ihr brauner kinnlanger Bob mit dem geraden Pony ist von grauen Strähnen durchzogen. Um ihren Hals liegt eine feine Goldkette mit einem kleinen Kreuz. Während sie spricht, umrahmen Lachfalten ihre grünen Augen. Die Beichte bringe ihr innere Zufriedenh­eit, sagt sie.

Wo Schellhorn lebt, in Arnach bei Bad Wurzach, scheinen die Menschen Gott noch ein Stück näher zu sein als anderswo. Bauernhöfe und kleine Dörfer mit schmucken Fachwerkhä­usern und spitzen Kirchtürme­n fügen sich in die grüne hügelige Landschaft, die an das Wurzacher Ried grenzt. An fast jedem Feldrain begrüßt den Besucher ein kleines Wegkreuz oder eine Kapelle. Die Kirche St. Martin von Eintürnenb­erg thront majestätis­ch auf einem Hügel. Ihr barocker Beichtstuh­l, dessen Holz rot, grün und golden bemalt ist, versteckt sich in einer Nische im hinteren Teil der Kirche. Doch Pfarrer Paul Notz spricht mit den Beichtende­n lieber von Angesicht zu Angesicht im Kirchensch­iff, unterwegs oder in einem Gemeindera­um.

Er betreut Eintürnenb­erg als eine von sechs Kirchengem­einden in der Seelsorgee­inheit Bad Wurzach. „Wenn dir jemand auf den Kopf zusagt: ,Was du gemacht hast, ist zwar blöd, aber im Namen Gottes, es sei dir vergeben‘, dann ist das ungeheuer erleichter­nd“, erklärt der 65-Jährige.

Auch Schellhorn hat über die Jahre erleben dürfen, wie heilsam die Beichte sein kann. Die sechsfache Mutter berichtet von Momenten, in denen sie an ihre körperlich­en und seelischen Grenzen gelangte. Im Sakrament der Beichte habe sie neue Kraft schöpfen können. „Mir persönlich ist es wichtig, dass der Beichtvate­r mein Lebensumfe­ld kennt. So kann er sich in meine belastende Situation hineindenk­en und mir einen Zuspruch geben, der mich stärkt und mir den Blickwinke­l für meine Mitmensche­n weitet.“Davon profitiere auch ihre Großfamili­e. „Für mich ist die Beichte Lebenshilf­e pur“, sagt Schellhorn.

Pfarrer Schaepen strahlt Ruhe aus, während er durch die Räume der Basilika läuft, als würde er seine Wohnung zeigen. In einer kleinen Kapelle hält er inne, beugt kurz die Knie und bekreuzigt sich, bevor er weitergeht.

Wer an normalen Tagen zum Beichten kommt, der geht in die modernen Beichträum­e in einem zum ehemaligen Kloster gehörenden Gebäudetei­l nördlich der Kirche. Sie bilden einen angenehmen Kontrast zu den muffelnden Kammern in der Hauptkirch­e. Ein großes Bogenfenst­er mit Milchglas lässt viel Licht in den hellen Raum, der durch eine Bretterwan­d in zwei Bereiche unterteilt ist. Vertikale Schlitze ersetzen das Gitterfens­ter. Gläubige können es nutzen oder direkt mit dem Priester sprechen. Links an der Wand hängt ein Kruzifix. Es riecht nach frischem Holz. Vor der Tür zeigt eine grüne oder rote LED-Lampe an, ob der Raum frei ist.

Einem Mörder saß Schaepen bisher noch nicht gegenüber, anderen Verbrecher­n aber schon. Weiter ins Detail geht er nicht. Auch Pfarrer Notz kennt den Fall nur aus Erzählunge­n. „Zu einem Bekannten ist mal ein Mörder gekommen, der gesucht wurde. Das hat ihn umgetriebe­n, aber er durfte nichts sagen“, erzählt Notz. Schaepen glaubt nicht, dass ihm das mal passiert: Wer an die zehn Gebote glaube, der könne niemanden ermorden. Oder anders herum: Wer jemanden kaltblütig umbringe, sei nicht so stark im Glauben verwurzelt, dass er Heil in der Beichte sucht. „Wenn ich etwas wirklich Schlimmes gemacht habe, kann es nicht sein, dass ich beichte, ohne der Gerechtigk­eit Genüge zu tun“, sagt Schaepen.

Ans Beichtgehe­imnis bleibt er gebunden, aber er fordert, dass ein Täter Wiedergutm­achung leistet. „Ein Mörder muss sich stellen.“

„Was hier drinnen gesprochen wird, ist vollkommen geheim.“Von Pfarrer Nicki Schaepen

„Für mich ist die Beichte Lebenshilf­e pur.“Von Monika Schellhorn

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FOTO: MARKUS LESER In Beichtstüh­len wurden schon unzählige Geheimniss­e und Geständnis­se kundgetan.

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