Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der schiefe Turm von Merklingen
Unterhaltsames Theaterstück nach Chronik des Merklinger Pfarrers Gottlieb Flaischlen
MERKLINGEN - Ein voller Erfolg ist der Geschichtsabend der Interessengemeinschaft für Geschichte und Brauchtum (IGM) am Samstag gewesen. Rund 150 Besucher kamen in die herbstlich geschmückte Gemeindehalle in Merklingen. Sie wollten erfahren, weshalb der Kirchturm einen Helm hat. Als Dreingabe folgte im Anschluss ein Film des Landesdenkmalamts über die archäologischen Grabungsarbeiten entlang der ICETrasse. Und zum Abschluss des Abends, der ganz im Zeichen der Geschichte stand, zeigte Johann Koch seinen Film über das alte Zimmmererhandwerk, welches beim Dorffest im vergangenen Jahr präsentiert wurde. Für die Bewirtung sorgten die Mitglieder der IGM.
Laienschauspieler des Sportvereins und des Liederkranzes ließen die Geschehnisse der Jahre 1798 bis 1799 in einem Vierakter zum Leben erwachen. Jakob Salzmann hatte das Drehbuch genau nach der Vorlage der überlieferten Chronik des Merklinger Pfarrers Gottlieb Flaischlen geschrieben. „Zu 90 Prozent besteht das Theaterstück aus der Chronik. Nur ein paar Kleinigkeiten habe ich ergänzt, auch damit das Stück unterhaltsamer wird“, erklärte Salzmann. Sehr zum Gelingen des Theaterstücks trugen auch die aufwändig gestalteten Kulissen bei.
Los geht die Geschichte um den alten Kirchturm, der mit 61 Metern übrigens der höchste Kirchturm der Region und der in eine ordentliche Schieflage geraten war, am Stammtisch. Bauern und Handwerker aus dem Ort saßen hier beisammen und diskutierten die Neuigkeit: Der Turm neigt sich um 57 Zentimeter zum Langhaus. Was ist zu tun? Zimmerermeister Johannes Staudenmeyer und Mauerermeister Jakob Walter haben schon Ideen. Der Heiligenpfleger überlegt derweil, ob man den Turm nicht mit langen Sprießen und Flaschenzügen wieder gerade stellen könne. Letztendlich muss Bauinspektor Kapfer mit dem Fuhrwerk von Ulm abgeholt werden. Er soll sich den aus dem Lot geratenen Turm noch vor der Ernte anschauen und sagen, was zu tun sei.
„Gottlos“während der Bauzeit
Sehr gut dokumentiert wurde auch die Diskussion aller Merklinger Männer, die in Sachen Turm etwas zu sagen hatten. Bauinspektor Kapfer empfahl einen Neubau und sprach von einer Investition noch „für spätere Generationen“. Aus dem Gremium der Gemeinde kommen verschiedene Forderungen: Der neue Turm muss mindestens genauso hoch werden wie der bestehende und die Kirchenmusik muss wieder oben vom Turm herab spielen können. Vor allem eine große Sorge trieb die Betroffenen um: „Während der Bauzeit ist die Gemeinde gottlos.“
Die Obrigkeit ließ schließlich mehrere Baupläne anfertigen und kam zu dem Ergebnis, dass der Turmneubau 20 000 Gulden kosten würde. Immerhin: Frondienst sei nicht notwendig, da die Heiligenkasse mit 60 000 Gulden gut gefüllt war. Alle Arbeiter würden entlohnt, auch die weiblichen. Und während der Ernte ruhe die Baustelle.
Während es bislang eine Kuppel gab für die Kirchenmusiker, soll nun ein Umgang um den Kirchturm entstehen. Da könnten die Musiker bequem spielen. Auch soll der neue Turm nach der aktuellen barocken Mode mit Kupferblech verkleidet werden. Und ganz wichtig: Der Knopf auf der Turmspitze, in dem wichtige Dokumente deponiert und für die Nachwelt erhalten bleiben sollen, müsse unbedingt vergoldet werden. Wichtig war es den Herren, dass so viele Arbeiten wie möglich an eigene Handwerker vergeben werden. „Das Geld soll im Dorf bleiben.“
Reine Geldverschwendung
Während der Bauzeit jedoch tauchte der Bändelweber Felix auf, der den Umgang für reine Geldverschwendung ansah. Er gehörte zwar nicht dem Gremium an, doch er verunsicherte dieses. Und tatsächlich mussten die Balken, die unter großen Mühen bereits für den Turmumgang eingemauert worden waren, wieder abgesägt werden. „Das haben wir bei Renovierungsarbeiten am Turm gut gesehen, dass die Balken nachträglich abgesägt worden sind“, erinnerte sich Jakob Salzmann.
Gewürzt mit allerhand geschichtlichen Daten, unterhaltsamen Anekdoten und angereichert mit sehr genauen Zeitplänen erlebten die Besucher ein spannendes Theaterstück, das das Leben im Dorf real nachempfand und den Turmbau für die Gäste hautnah erlebbar machte. Das Publikum dankte es mit viel Beifall.