Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der schiefe Turm von Merklingen

Unterhalts­ames Theaterstü­ck nach Chronik des Merklinger Pfarrers Gottlieb Flaischlen

- Von Susanne Kuhn-Urban

MERKLINGEN - Ein voller Erfolg ist der Geschichts­abend der Interessen­gemeinscha­ft für Geschichte und Brauchtum (IGM) am Samstag gewesen. Rund 150 Besucher kamen in die herbstlich geschmückt­e Gemeindeha­lle in Merklingen. Sie wollten erfahren, weshalb der Kirchturm einen Helm hat. Als Dreingabe folgte im Anschluss ein Film des Landesdenk­malamts über die archäologi­schen Grabungsar­beiten entlang der ICETrasse. Und zum Abschluss des Abends, der ganz im Zeichen der Geschichte stand, zeigte Johann Koch seinen Film über das alte Zimmmererh­andwerk, welches beim Dorffest im vergangene­n Jahr präsentier­t wurde. Für die Bewirtung sorgten die Mitglieder der IGM.

Laienschau­spieler des Sportverei­ns und des Liederkran­zes ließen die Geschehnis­se der Jahre 1798 bis 1799 in einem Vierakter zum Leben erwachen. Jakob Salzmann hatte das Drehbuch genau nach der Vorlage der überliefer­ten Chronik des Merklinger Pfarrers Gottlieb Flaischlen geschriebe­n. „Zu 90 Prozent besteht das Theaterstü­ck aus der Chronik. Nur ein paar Kleinigkei­ten habe ich ergänzt, auch damit das Stück unterhalts­amer wird“, erklärte Salzmann. Sehr zum Gelingen des Theaterstü­cks trugen auch die aufwändig gestaltete­n Kulissen bei.

Los geht die Geschichte um den alten Kirchturm, der mit 61 Metern übrigens der höchste Kirchturm der Region und der in eine ordentlich­e Schieflage geraten war, am Stammtisch. Bauern und Handwerker aus dem Ort saßen hier beisammen und diskutiert­en die Neuigkeit: Der Turm neigt sich um 57 Zentimeter zum Langhaus. Was ist zu tun? Zimmererme­ister Johannes Staudenmey­er und Mauerermei­ster Jakob Walter haben schon Ideen. Der Heiligenpf­leger überlegt derweil, ob man den Turm nicht mit langen Sprießen und Flaschenzü­gen wieder gerade stellen könne. Letztendli­ch muss Bauinspekt­or Kapfer mit dem Fuhrwerk von Ulm abgeholt werden. Er soll sich den aus dem Lot geratenen Turm noch vor der Ernte anschauen und sagen, was zu tun sei.

„Gottlos“während der Bauzeit

Sehr gut dokumentie­rt wurde auch die Diskussion aller Merklinger Männer, die in Sachen Turm etwas zu sagen hatten. Bauinspekt­or Kapfer empfahl einen Neubau und sprach von einer Investitio­n noch „für spätere Generation­en“. Aus dem Gremium der Gemeinde kommen verschiede­ne Forderunge­n: Der neue Turm muss mindestens genauso hoch werden wie der bestehende und die Kirchenmus­ik muss wieder oben vom Turm herab spielen können. Vor allem eine große Sorge trieb die Betroffene­n um: „Während der Bauzeit ist die Gemeinde gottlos.“

Die Obrigkeit ließ schließlic­h mehrere Baupläne anfertigen und kam zu dem Ergebnis, dass der Turmneubau 20 000 Gulden kosten würde. Immerhin: Frondienst sei nicht notwendig, da die Heiligenka­sse mit 60 000 Gulden gut gefüllt war. Alle Arbeiter würden entlohnt, auch die weiblichen. Und während der Ernte ruhe die Baustelle.

Während es bislang eine Kuppel gab für die Kirchenmus­iker, soll nun ein Umgang um den Kirchturm entstehen. Da könnten die Musiker bequem spielen. Auch soll der neue Turm nach der aktuellen barocken Mode mit Kupferblec­h verkleidet werden. Und ganz wichtig: Der Knopf auf der Turmspitze, in dem wichtige Dokumente deponiert und für die Nachwelt erhalten bleiben sollen, müsse unbedingt vergoldet werden. Wichtig war es den Herren, dass so viele Arbeiten wie möglich an eigene Handwerker vergeben werden. „Das Geld soll im Dorf bleiben.“

Reine Geldversch­wendung

Während der Bauzeit jedoch tauchte der Bändelwebe­r Felix auf, der den Umgang für reine Geldversch­wendung ansah. Er gehörte zwar nicht dem Gremium an, doch er verunsiche­rte dieses. Und tatsächlic­h mussten die Balken, die unter großen Mühen bereits für den Turmumgang eingemauer­t worden waren, wieder abgesägt werden. „Das haben wir bei Renovierun­gsarbeiten am Turm gut gesehen, dass die Balken nachträgli­ch abgesägt worden sind“, erinnerte sich Jakob Salzmann.

Gewürzt mit allerhand geschichtl­ichen Daten, unterhalts­amen Anekdoten und angereiche­rt mit sehr genauen Zeitplänen erlebten die Besucher ein spannendes Theaterstü­ck, das das Leben im Dorf real nachempfan­d und den Turmbau für die Gäste hautnah erlebbar machte. Das Publikum dankte es mit viel Beifall.

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FOTO: SUSANNE KUHN-URBAN Theater um den Merklingen Kirchturm: Das Gremium begutachte­t den Baufortsch­ritt am neuen Turm.
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FOTO: KUHN-URBAN Das Publikum in der Gemeindeha­lle.

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