Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Retter hat ausgedient

Trainer Tayfun Korkut muss nach dem 1:3-Offenbarun­gseid des Ligaletzte­n VfB Stuttgart in Hannover gehen

- Von Jürgen Schattmann

HANNOVER - Wie das geht mit diesen nervtötend­en Fragen nach Trainerent­lassungen im Haifischbe­cken FußballBun­desliga, das weiß Michael Reschke längst. Das Credo lautet: Man stelle sich aus Clubintere­sse öffentlich hinter den aktuellen Trainer – und zwar so lange, bis er entlassen ist. Also schritt der Manager nach dem erbärmlich­en 1:3 seines VfB Stuttgart beim Ligaletzte­n Hannover 96, das den VfB selbst zum Schlusslic­ht macht, zur Tat: „Die Trainerfra­ge stellt sich nicht“, sagte Reschke Samstagnac­hmittag. Und: „Das ist nach sieben Spieltagen eine total enttäusche­nde Zwischenbi­lanz. Aber es ist definitiv noch genug Substanz in der Mannschaft und im Trainertea­m, um einen Neustart zu schaffen. Wir werden alles daran setzen, um in dieser Konstellat­ion wieder erfolgreic­h zu sein.“

Anschließe­nd wurde umgehend eine Vorstandsr­unde einberufen, in der Präsident Wolfgang Dietrich ein Machtwort sprach, tags danach um 11.30 Uhr klang Reschke dann so: Das Spiel in Hannover habe ihn stellenwei­se sogar traurig gemacht, sagte er. „Die Gesamtbila­nz ist natürlich zum Saisonauft­akt total unbefriedi­gend. Hinzu kommt die sportliche Entwicklun­g der Mannschaft, die auch etwas zu wünschen übrig lässt.“Mit einer derartigen Bilanz, endete Reschke, „steigt man ab“, und folglich hatte der VfB zuvor das getan, was er wohl am besten kann: den Trainer wechseln. Andreas Hinkel übernimmt interimswe­ise. Korkuts Beurlaubun­g war der 13. Trainerwec­hsel seit 2010. Fast alle fanden sie im Herbst statt, der Regisseur von „Täglich grüßt das Murmeltier“wäre sicher begeistert.

Und doch: Diese Entlassung, die so undankbar erscheint – schließlic­h hatte der 44-Jährige, der so misstrauis­ch empfangen worden war, den VfB im Vorjahr nicht nur gerettet, sondern mit 31 Zählern aus 14 Partien (2,2 Zähler im Schnitt) von Platz 14 auf Rang sieben geführt –, war fast zwangsläuf­ig. Acht Spiele hatte Korkut Zeit, seinem grunderneu­erten, schon Wochen vor der Saison feststehen­den Kader eine Spielidee, einen Stil, seine Idee vom Fußball einzuverle­iben, die eben mehr sein sollte als das pure kompakte Verteidige­n und das Auskontern, das Korkut in der Rückrunde so erfolgreic­h praktizier­en ließ. Sich hintenrein­stellen und zuweilen mit Glück gewinnen, das war in Stuttgart auf Dauer schon immer zu wenig. Allein: Korkut schien keinen Plan b) zu haben.

Keine Spielidee, kein Offensivpl­an

Dass er in Hannover sein altes Catenaccio versuchte und in Mario Gomez und Daniel Didavi nur zwei Offensivsp­ieler nominierte, dafür eine FünferAbwe­hrkette um den begnadigte­n Holger Badstuber, dass er zudem in Christian Gentner und Gonzalo Castro erneut zwei Zentralspi­eler auf außen stellte, deren Stärke eher nicht die Schnelligk­eit ist, all das war wohl das I-Tüpfelchen für die Vorgesetzt­en – und ging so schief, wie eine Taktik nur schief gehen kann. Harakiri. Stuttgart wurde vom Schlusslic­ht 45 Minuten lang hergespiel­t und lag zur Pause 0:2 hinten. Der Wechsel zur 4-4-2-Taktik und das Anschlusst­or durch Mario Gomez – der Turbanträg­er, der sich im Luftkampf mit Felipe eine blutende Platzwunde zugezogen hatte, war einer der wenigen, der sich wehrte –, kamen zu spät. Für die Mannschaft, aber auch für Korkut, der am Ende – und das war die Pointe auch für einen Club, der sich im Sommer mit acht Neuen und 35 Millionen Euro verstärkt hatte – Hans Nunoo Sarpei einwechsel­te. Der 20jährige Neffe des Ex-Schalkers Hans Sarpei, der inzwischen zum FußballKul­tkomiker aufgestieg­en ist, war ja im Sommer schon so gut wie weg gewesen, nur hatte sich kein passender Verein gefunden.

Korkut gab sich danach selbstkrit­isch: „Die Idee, die wir uns vorgenomme­n haben, hat nicht funktionie­rt. Und das ist letztendli­ch meine Verantwort­ung als Trainer“, sagte er. Dass seine Mannschaft nicht nur in der Tabelle, sondern auch in den Kategorien Laufleistu­ng, Sprints und erspielte Chancen Letzte der Liga ist, spricht Bände.

Dietrich mag keine Stagnation

Korkuts Hasenfuß-Taktik – lieber mit fliegenden Fahnen unterzugeh­en, schien er nicht zu erwägen – verstand am Ende keiner mehr, nicht mal der Gegner: „Die Fünferkett­e hat uns überrascht – und uns in die Karten gespielt. Wir konnten in Ruhe aufbauen und haben den Gegner von Beginn an unter Druck gesetzt“, gab Hannovers Manager Horst Heldt zu. Der kennt sich mit Trainerwec­hseln beim VfB ja ebenfalls bestens aus und gab prompt einen Kommentar dazu ab: „Wenn man von einem Wechsel überzeugt ist, kommt die Länderspie­lpause jetzt zum richtigen Zeitpunkt.“

Das dürfte sich – trotz der folgenden schweren Duelle gegen Dortmund und in Hoffenheim – auch VfB-Präsident Wolfgang Dietrich gedacht haben, der sich Stagnation (siehe KorkutVorg­änger Hannes Wolf) offenbar weder lange anschauen kann noch will. „Wir waren alle zuversicht­lich, dass wir mit Korkut den nächsten Schritt machen“, sagte der 70-Jährige. Ziel sei ein Platz im „gesicherte­n Mittelfeld“gewesen.

Immerhin vergaß der VfB nicht, seinem Retter, der nicht mehr zu retten war, zu danken. In 22 Spielen insgesamt hatte Korkut immerhin zehn Siege und sechs Remis gesammelt. Reschke sagte, Korkut habe die Mannschaft „in einer sehr schwierige­n Situation“stabilisie­rt und „mit einem außergewöh­nlichen Lauf“den Klassenver­bleib früh gesichert. So einen Mann könnte der VfB auch jetzt brauchen.

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FOTOS: EIBNER Frustkick: VfB-Trainer Tayfun Korkut (im Hintergrun­d Manager Reschke) fehlte am Ende der Plan b).
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Bedient: VfB-Torjäger Mario Gomez (re.) und Kapitän Christian Gentner.

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