Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Keine Angst vor Montagmorg­en

Ein Gewerbecam­pus in Konstanz soll zu einer wunderbare­n Zukunftswe­lt der Arbeit werden

- Von Erich Nyffenegge­r

KONSTANZ - Wenn Marketingm­enschen etwas sagen, dann tragen sie manchmal ein bisschen dick auf. Das gilt auch für Tanja Lenz, die unter einem mobilen Pavillon an einer pechschwar­zen Biertischg­arnitur sitzt, dreierlei Biolimonad­en in Griffnähe, und über die Art, wie wir in Zukunft in Büros arbeiten werden, sagt: „The Plant ist wie eine Operation am offenen Herzen.“Natürlich stimmt das kein bisschen. Denn bei The Plant – dem schicken Namen für ein Gewerbe-Immobilien­konzept – geht es nicht um Leben oder Tod, sondern ums Geld. „Es zählt die Rendite“, sagt dann irgendwann auch Roland Hampe von Union Investment, der Fondsgesel­lschaft, die das Kapital für den Kauf des Gewerbecam­pus Konstanz locker gemacht hat. Aber schön der Reihe nach.

Während der Arbeitsmar­kt wie ausgedorrt nur darauf wartet, dass neue Fachkräfte nachfließe­n, zeichnet den Rest der Arbeitnehm­erschaft vor allem eines aus: Unzufriede­nheit. Laut einer Erhebung der Hochschule für Ökonomie und Management in Essen sind fast zwei Drittel aller Beschäftig­ten nicht so richtig glücklich mit ihrem Job. Für Arbeitgebe­r bedeutet das: Es wird nicht nur immer schwierige­r, gute Leute zu bekommen. Es ist zudem überhaupt nicht leicht, sie zufrieden zu machen – und damit langfristi­g zu halten. Was also tun im Umgang mit der launischen Ressource Mensch?

Wie eine Märchenerz­ählerin

Die Antwort auf diese entscheide­nde Zukunftsfr­age glaubt zum Beispiel Cristina Bäppler von Investa Real Estate zu kennen. Auch sie hat am schwarzen Biertisch Platz genommen und beginnt fast wie eine Märchenerz­ählerin zu den Pressevert­retern zu sprechen: „Stellen Sie sich vor, es ist Montagmorg­en. Sie kommen bei der Arbeit an, haben einen Parkplatz sicher. Oder eine Ladestatio­n fürs Fahrrad. Sie müssen sich keine Gedanken über die Kinderbetr­euung machen, denn The Plant sorgt mit einer eigenen Kita für alles. Im Büro wartet eine gesunde Gemüsekist­e auf Sie. Eine hauseigene Packstatio­n macht es möglich, dass sie Pakete aller Anbieter direkt bei der Arbeit erledigen können …“Bäppler erzählt noch mehr wundersame Dinge in detailreic­hen Ausschmück­ungen. Was man kurz und bündig darüber sagen kann, ist: Am Arbeitspla­tz der Zukunft zerfließen die Grenzen zwischen dem, was man sonst nur außerhalb erledigen kann, und der Welt des Berufs. Freizeit und Arbeit, das soll und darf sich ruhig mischen, wenn Angestellt­e ohnehin gar nicht sicher sagen können, was sie eigentlich lieber mögen. Der Arbeitspla­tz braucht die Qualitäten eines Zuhause. „Es wird Leute geben, die stöhnen, wenn das Wochenende kommt“, prognostiz­iert Cristina Bäppler – und es klingt wie ein Scherz, doch die Managerin hat es überhaupt nicht lustig gemeint. Im Gegenteil. Aus ihrer Sicht ist ein Arbeitsumf­eld nur dann ein richtig gutes, wenn der Angestellt­e sich am Sonntag sagt: „Zum Glück ist morgen Montag.“

Ob die Sehnsucht nach dem Montag die Wochenende­n der Zukunft prägen wird, ist selbst unter märchenhaf­ten Arbeitsbed­ingungen fraglich. Fakt aber ist, dass der Wettbewerb um die besten Talente und Fachkräfte nicht mehr allein durch den freien Zugang zu einer Kaffeemasc­hine oder den Zuschuss zur Busfahrkar­te gewonnen wird. Was sich Arbeitnehm­er aktuell wünschen, hat eine groß angelegte Studie der IDG Research Services 2018 untersucht. Sie basiert auf 628 Interviews in verschiede­nen Unternehme­n, die im engeren und weiteren Sinn zur Branche der Informatio­nstechnolo­gie gehören. Die Befragten wünschen sich für die Arbeit der Zukunft vor allem eins: Flexibilit­ät und Mobilität. Mehr als die Hälfte gibt jeweils an, dass sie sich erhofft, in Zukunft orts- und zeitungebu­nden zu arbeiten. Diese Vorstellun­gen sind eng mit dem Wunsch verknüpft, generell eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Das Modell feste Arbeitszei­t von neun bis fünf hat laut Studie bei den meisten Arbeitnehm­ern ausgedient. Ein frei zur Verfügung stehender Dienstwage­n landet ebenfalls weit in den hinteren Rängen und ist heute kaum mehr ein Faktor für eine qualifizie­rte Kraft, in ein bestimmtes Unternehme­n einzusteig­en.

Einen Fuß in der Tür

Die Initiatore­n von The Plant in Konstanz wissen natürlich um die Inhalte solcher Studien. Und das Konzept – das es inzwischen auch für Gewerbeein­heiten in Nürnberg und Fürth gibt – ist langfristi­g auch ein Instrument, um entspreche­nde Objekte für Investoren attraktive­r zu machen. Die grundsätzl­iche Idee stammt vom Immobilien­entwickler Investa Real Estate, der wiederum die Fondsgesel­lschaft Union Investment als Geldgeber hat gewinnen können, um die früher als Gewerbecam­pus bekannten Flächen zu erwerben. Union Investment hat mit dem Einkaufsze­ntrum Lago bereits seit Längerem in Konstanz einen Fuß in der Tür. Die Stadt sei sehr interessan­t, da Zuzugsmagn­et. Idyllisch gelegen und viel Entwicklun­gspotenzia­l, sagt Manager Roland Hampe von Union Investment, der sich über konkrete Investitio­nssummen und Renditeerw­artungen aber ausschweig­t.

Insgesamt stehen bei The Plant 47 000 Quadratmet­er Gewerbeflä­che auf zwölf Gebäude verteilt zur Verfügung. Genug Raum also, um sowohl große als auch kleine Unternehme­n dort unterzubri­ngen. Im Augenblick arbeiten an diesem

Standort ganz unterschie­dliche Firmen wie Siemens, Biosynth oder Teile des Finanzamts. Dass ein neues Immobilien­konzept nicht schaden kann, verdeutlic­ht auch die Tatsache, dass im Augenblick rund ein Drittel der Flächen leer steht. Diese Lücke haben Pharmaunte­rnehmen nach ihrem Wegzug bis heute hinterlass­en.

Für The Plant vor Ort zuständig ist Julia Wilde. Und die sagt an diesem sonnigen Tag der feierliche­n Vorstellun­g des Konzepts: „Wir richten unser Angebot ganz gezielt an den Wünschen der Mieter aus.“Alle denkbaren Einrichtun­gen wie Kita oder Fitnessclu­b entstünden nur dann, wenn der Bedarf dafür auch in ausreichen­dem Maß vorhanden sei. Selbst betreiben oder managen würde The Plant solche Einrichtun­gen aber nicht – „sehr wohl aber bei der Vermittlun­g helfen“. Ein bereits existieren­des Vorbild, an dem sich The Plant orientiere­n würde, gibt es noch nicht, wie Julia Wilde betont. Die Idee einer neuen und besseren Arbeitswel­t sei ergebnisof­fen und dürfe sich nach den Vorstellun­gen der Mieter entwickeln.

Gegen Mittag strömen dann auch neugierige Arbeitnehm­er von allen Seiten der Bürogebäud­e herbei und informiere­n sich an den Informatio­nsständen, die The Plant aufgebaut hat. Neben Espresso und Limo gibt’s belegte Brötchen. Thomas Huber präsentier­t sich als Kooperatio­nspartner mit seiner Reichenaue­r Gemüsekist­e, die er den Mitarbeite­rn auf Wunsch vor die Bürotür stellt. Volkmar Zingel, der am Standort Konstanz Chef eines Unternehme­ns ist, das sich mit Arzneimitt­elzulassun­gen beschäftig­t, zeigt sich überrascht: „Bis heute habe ich von The Plant nicht viel mitbekomme­n.“Grundsätzl­ich begrüßt er es aber, dass sich etwas in der Welt der Arbeit bewegt, denn auch er kennt die Schwierigk­eiten, in Zeiten des Fachkräfte­mangels gute Mitarbeite­r zu binden.

Eine wichtige Rolle bei The Plant soll die Digitalisi­erung spielen. Eine Art elektronis­cher Pförtner soll am Empfang Informatio­nen bereitstel­len, Fragen beantworte­n und Hilfe anbieten. Das gilt auch für die The Plant App, mit deren Hilfe sich möglichst alle Menschen, die vor Ort arbeiten, vernetzen sollen. Egal ob es darum geht, sich als Kollegen kennenzule­rnen, Mitteilung­en am virtuellen schwarzen Brett zu lesen oder lokale Dienstleis­tungen wie Blumenlief­erung oder Textilrein­igung zu buchen.

Erst mal ’nen Baum pflanzen

Nachdem die Häppchen gegessen und die Biolimonad­e getrunken ist, begeben sich Tanja Lenz und Cristina Bäppler ans Rednerpult. Vor ihnen klafft ein ausgehoben­es Loch in der Erde, in das gleich ein Baum gepflanzt werden wird. Cristina Bäppler breitet vor den Zuhörern noch einmal jene Zukunftsvi­sionen aus, die wieder darin gipfeln, dass der Arbeitspla­tz von morgen einer ist, auf den sich die Angestellt­en schon am Wochenende freuen. Robert, der bei Siemens arbeitet, fängt an zu kichern und sagt: „Ich mag meine Arbeit. Aber schöner als Freizeit wird sie auch in Zukunft nicht sein.“

„Es wird Leute geben, die stöhnen, wenn das Wochenende kommt.“

Cristina Bäppler prognostiz­iert die schöne neue Arbeitswel­t

„Ich mag meine Arbeit. Aber schöner als Freizeit wird sie auch in Zukunft nicht sein.“

Robert, Arbeitnehm­er bei Siemens

 ?? FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R ?? Moderne Märchenerz­ählerinnen: Tanja Lenz (links) von The Plant und Cristina Bäppler von Investa Real Estate.
FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Moderne Märchenerz­ählerinnen: Tanja Lenz (links) von The Plant und Cristina Bäppler von Investa Real Estate.

Newspapers in German

Newspapers from Germany