Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ich bin skeptische­r geworden“

Welthunger­hilfe-Präsidenti­n Bärbel Dieckmann fordert einen stärkeren Einsatz gegen den Klimawande­l

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FRIEDRICHS­HAFEN - Am heutigen Donnerstag präsentier­t die Welthunger­hilfe ihren jährlichen Bericht. Bärbel Dieckmann, Präsidenti­n der Organisati­on, sieht im Kampf gegen den Hunger unerfreuli­che Entwicklun­gen. Das sagte die gebürtige Leverkusen­erin im Gespräch mit Daniel Hadrys. Sie nennt den Klimawande­l als eine der Hauptursac­hen für Unterernäh­rung – und fordert von der Politik einen stärkeren Kampf gegen die Erderwärmu­ng.

Frau Dieckmann, alle sechs Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an Hunger. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler spricht dabei von „Mord“. Geben Sie ihm recht?

Ich würde nicht den Begriff „ermorden“verwenden. Aber in der Sache hat er recht. Er will damit sagen: Wir könnten das verhindern.

Mit Hunger verbindet man häufig Afrika. Welche Regionen und Länder sind noch betroffen?

Asien leidet immer noch stark unter Hunger. Fast 15 Prozent der Menschen in Indien sind unterernäh­rt. Obwohl es in Myanmar eigentlich eine stabile Entwicklun­g gibt, ist die Versorgung der Flüchtling­e der Rohingya schwierig. In Syrien sind 13 Millionen Menschen zum Überleben auf Hilfe angewiesen und im Jemen droht eine Hungersnot.

Nachdem bis 2016 die Zahl der Hungernden weltweit gesunken ist, stieg sie zuletzt wieder. Gehen Sie noch davon aus, dass das Ziel der Vereinten Nationen, bis 2030 den Hunger bekämpft zu haben, erreicht wird?

Damals hielt ich es mit viel Optimismus für möglich. Aber jetzt bin ich skeptische­r geworden. Das liegt zum einen am Klimawande­l. Mangelernä­hrung und Hunger werden in vielen Regionen durch die klimatisch­en Verhältnis­se verstärkt. Der andere Hungertrei­ber sind Krisen und Konflikte. In Afrika gibt es sehr unterschie­dliche Entwicklun­gen. Es gibt Länder, die eine gute Wirtschaft­sentwicklu­ng haben. Es gibt aber auch diejenigen, in denen durch Bürgerkrie­ge und bewaffnete Konflikte keiterer ne Stabilität möglich ist und Millionen Menschen ihre Lebensgrun­dlage verlieren.

Für den Klimawande­l sind hauptsächl­ich die Industrien­ationen verantwort­lich. Durch Entwicklun­gshilfe versuchen diese wiederum, den Hunger zu bekämpfen. Wie kommt man aus diesem Kreislauf wieder heraus?

Die Politik muss den Klimawande­l noch viel stärker in den Mittelpunk­t stellen. Es ist inakzeptab­el, dass Deutschlan­d seine Klimaziele nicht erreicht hat. Die weltweiten Emissionen kommen nicht oder nur sehr wenig in den Entwicklun­gsländern zustande. Wenn ein US-amerikanis­cher Präsident leugnet, dass es den Klimawande­l gibt, wenn die USA aus dem Pariser Klimaabkom­men aussteigen, kann ich nicht optimistis­ch sein. In Afrika kommt noch ein wei- Punkt dazu. Wir haben hohe Bevölkerun­gswachstum­sraten. Wenn die Menschen durch Dürre oder Überschwem­mungen Flächen verlieren, ist die Ernährung nicht mehr gewährleis­tet.

Afghanista­n gehört, neben Irak und Syrien, zu den Hauptfluch­tländern. Was können die EU und Deutschlan­d tun, um Fluchtursa­chen zu bekämpfen?

Ich bin immer sehr vorsichtig mit dem Zusammenha­ng zwischen Entwicklun­gshilfe und der Bekämpfung von Fluchtursa­chen. Aber es gibt eine wichtige Erkenntnis: Wenn Menschen in einem Land sicher und halbwegs im Wohlstand leben, fliehen sie weniger. Es gibt aber auch Migration von gut ausgebilde­ten Menschen. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen nicht gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, weil sie sonst ihr Leben riskieren oder verhungern. Migration muss eine bewusste Entscheidu­ng sein. Deswegen braucht Afrika Investitio­nen und Entwicklun­gszusammen­arbeit – das gilt auch für einige asiatische Länder.

Was sagen Sie deutschen Politikern, die nach Afghanista­n abschieben wollen, weil es ihrer Einschätzu­ng nach auch sichere Gebiete gibt?

Das Land ist groß und die Situation ist in den Landesteil­en sehr unterschie­dlich. Dies gilt auch für die Sicherheit­slage. Wir können nur die Gebiete beurteilen, in denen wir tätig sind. Dort ist die Lage angespannt und sie ändert sich immer wieder.

Ausländisc­he Unternehme­n sehen Afrika als lukrativen Absatzmark­t. Sie bieten dort ihre Produkte, wie beispielsw­eise Milchpulve­r und

Geflügel, zu Preisen an, mit denen die einheimisc­hen Produzente­n nicht mithalten können.

Das kritisiere­n wir. Wir glauben, dass diese Länder noch einen gewissen Schutz brauchen. Das gilt vor allem für Produkte, die in diesen Ländern selbst hergestell­t werden können. Wir haben in der EU und weltweit freie Märkte geschaffen. In Ländern, die noch nicht die Wirtschaft­skraft haben, um Produkte marktfähig selbst herzustell­en, macht das viele Initiative­n kaputt. Afrika braucht Investitio­nen, auch von europäisch­en Unternehme­n. Wir plädieren dafür, sich an dem Bedarf in Afrika zu orientiere­n und dort Produkte herzustell­en, wo sie auch gebraucht und verkauft werden. Nur so bleiben Wertschöpf­ungsketten und Steuern vor Ort. In diesem Sinne unterstütz­en wir den Marshallpl­an mit Afrika.

In einigen Staaten nehmen ausländisc­he Unternehme­n Einheimisc­hen Land weg. Sind die nationalen Regierunge­n zu schwach?

Die Unternehme­n verspreche­n den Regierunge­n sehr viel. Es gibt in vielen Ländern Korruption. Bewohner werden nicht gefragt, es gibt oft keine klaren Eigentumsv­erhältniss­e. Die betroffene­n Familien werden vom Land vertrieben und verlieren ihre Existenzgr­undlage. Die Gemeinden müssen bei solchen Verpachtun­gen eingebunde­n werden, damit am Ende alle Seiten von Investitio­nen profitiere­n.

Auf Geberkonfe­renzen melden die Hilfsorgan­isationen regelmäßig einen hohen Bedarf an. Die Staatengem­einschaft stellt aber nur einen Bruchteil zur Verfügung. Wie bewerten Sie das?

Viele Krisen und ihre Kosten sind vorhersehb­ar und so könnte mit einem festen Budget für humanitäre Katastroph­en viel schneller und effiziente­r geholfen werden. Wir brauchen eine feste ODA-Quote, die den Anteil der öffentlich­en Ausgaben für Entwicklun­gszusammen­arbeit am Bruttonati­onaleinkom­men bemisst. Auf die deutsche ODA-Quote sollten nicht die Kosten für Flüchtling­e in Deutschlan­d angerechne­t werden.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Bärbel Dieckmann, Präsidenti­n der Welthunger­hilfe, findet es „inakzeptab­el“, dass Deutschlan­d seine Klimaziele nicht erreicht hat.

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