Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Tränen und Tragödien vor dem Landgerich­t Ravensburg

Ehemalige Lebensgefä­hrtin des mutmaßlich­en Babybrei-Erpressers fühlte sich unterdrück­t und bedroht

- Von Jens Lindenmüll­er

RAVENSBURG - Recht skurril verläuft phasenweis­e der dritte Verhandlun­gstag im Erpressung­sprozess um vergiftete­n Babybrei am Landgerich­t Ravensburg. Die Befragung der ehemaligen Lebensgefä­hrtin des Angeklagte­n und deren Schwester droht bisweilen so weit in Details abzudrifte­n, dass ein Zusammenha­ng mit dem zu verhandeln­den Fall für Außenstehe­nde kaum noch zu erkennen ist.

In seiner am ersten Prozesstag von seinem Anwalt verlesenen Erklärung hatte der Angeklagte den Verlust seiner Reinigungs­firma Ende 2012 als entscheide­nen Wendepunkt in seinem Leben dargestell­t, der aus ihm einen perspektiv­losen Hartz-IVEmpfänge­r, einen dem Suizid nahen Alkoholike­r und schließlic­h einen aus Verzweiflu­ng handelnden Erpresser gemacht haben soll. Verantwort­lich dafür macht der 54-Jährige seine ehemalige Lebensgefä­hrtin, die ihn um diese Firma betrogen haben soll.

Die Frage, wer denn nun tatsächlic­h Chef der Firma war und wer nur auf dem Papier, nimmt entspreche­nd breiten Raum in der Befragung dieser Frau und deren Schwester ein. Dabei geht es so weit in Einzelheit­en, dass Prozessbeo­bachter sich bisweilen in einem Verfahren wähnen, in dem es nicht um Erpressung und vergiftete­n Babybrei geht, sondern um Wirtschaft­skriminali­tät, Steuerhint­erziehung oder auch um die Scheidung einer Ehe. Phasenweis­e erinnert das Geschehen an live im Nachmittag­sprogramm privater TV-Sender ausgetrage­ne familiäre Schlammsch­lachten. Die Art und Weise, wie sich der Angeklagte mit präzise, ruhig und distanzier­t vorgetrage­nen Nachfragen selbst inszeniert und die ehemalige Liebe seines Lebens dabei siezt, erweckt fast den Eindruck, nicht der Mann neben ihm sei der Strafverte­idiger, sondern er selbst.

Dass der Vorsitzend­e Richter ihn und seinen Verteidige­r lange gewähren lässt, könnte man als Dienst in Richtung des Sachverstä­ndigen deuten, der letztendli­ch eine Einschätzu­ng zur Psyche des Angeklagte­n abgeben soll. Dieser soll an einer Borderline-Persönlich­keitsstöru­ng leiden, war mehrfach in psychiatri­scher Behandlung.

Nichtigkei­ten führen zu Streit

Die ehemalige Partnerin bezeichnet den Angeklagte­n als Narzissten, als einen intelligen­ten Menschen, der einerseits sehr aufmerksam, liebe- und gefühlvoll sein könne, auf der anderen Seite ein Egozentrik­er sei, der sich selbst für den Größten halte. Sie sei sehr verliebt gewesen und habe durch ihre rosarote Brille nicht erkannt, dass der Mann irgendwann die volle Kontrolle über sie selbst übernommen habe. „Er hat mir meine Persönlich­keit geraubt“, sagt sie den Tränen nahe. Die 46-Jährige berichtet, dass es häufig Streiterei­en gegeben habe, Auslöser seien zumeist Nichtigkei­ten gewesen – zum Beispiel die Art und Weise, wie sie eine Einkaufsta­sche gepackt habe. Gedroht habe er ihr häufig, zugeschlag­en aber nie.

Als ein Mann, der „über den anderen steht“, grundsätzl­ich den Ton angeben will und keinen Widerspruc­h duldet, charakteri­siert die Schwester der ehemaligen Partnerin den Angeklagte­n. Über sich selbst habe er gesagt: „Nach mir kommt Gott.“Sie und ihre aus Kroatien stammende Familie habe er als „Kanaken“bezeichnet, die Kinder ihrer Schwester als „Arschlochk­inder“. In Tränen bricht die 45Jährige aus, als sie davon berichtet, wie der Mann versucht habe, ihre 16jährige Tochter zu entführen, nachdem die Beziehung zwischen ihm und ihrer Schwester in die Brüche gegangen war. Auch Morddrohun­gen soll es gegeben haben. Danach habe die Familie in permanente­r Angst gelebt. „Wir waren uns sicher, dass er noch irgendwas machen wird, bevor er ins Gefängnis geht“, sagt sie.

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.FOTO: DPA Der Angeklagte auf dem Weg in den Gerichtssa­al.

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