Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Festnahme in Stade nach Mord an Marinowa

Fahndungse­rfolg in Deutschlan­d nach Tod bulgarisch­er TV-Moderatori­n – Offenbar kein politische­r Hintergrun­d

- Von Elena Lalowa und Helmut Reuter

SOFIA/STADE (dpa) - Der Mord an der Fernsehmod­eratorin Wiktorija Marinowa ließ bange Fragen aufkommen. Nicht nur in Bulgarien, in ganz Europa. Stand die Tat im Zusammenha­ng mit ihrer Arbeit als Journalist­in? Oder wurde die 30-Jährige in der bulgarisch­en Stadt Russe auf tragische Weise Zufallsopf­er eines Verbrechen­s?

Internatio­nale Spekulatio­nen, Tweets und Kommentare sahen einen Zusammenha­ng zwischen der von Marinowa moderierte­n Sendung „Detektor“des lokalen Kabelsende­rs TVN und ihrer Ermordung. Bulgarien wurde mit Malta und der Slowakei gleichgese­tzt, wo binnen eines Jahres zwei Investigat­ivjournali­sten aus politische­n Gründen ermordet wurden. Die Regierung in Sofia reagierte irritiert über derart vorschnell­e Reaktionen.

Kritik an Westeuropa

Seit Mittwoch ist klar: Es war offensicht­lich kein politische­s Verbrechen. Ein Verdächtig­er, der in der Nähe des Tatorts lebt, wurde im norddeutsc­hen Stade gefasst. Der bulgarisch­e Regierungs­chef Boiko Borissow hob hervor, der Mord habe nichts mit Marinowas Beruf zu tun. Borissow ließ Kritik an Westeuropa durchkling­en: „Trotz alldem, was sie uns gelehrt haben (...) niemanden zu beschuldig­en, bevor etwas nicht bewiesen ist, schlugen sie auf uns mit Tweets ein.“Drei Tage lang habe er monströse Informatio­nen über Bulgarien gelesen, „und nichts davon war wahr", sagte Borissow. Von Anfang an sei klar gewesen, dass der Mörder DNA-Spuren hinterlass­en habe, doch ein Auftragsmö­rder „hinterläss­t keine Spuren“.

Zu dem Fahndungse­rfolg habe die intensive Arbeit und Kooperatio­n der bulgarisch­en und deutschen Behörden geführt, lobte Innenminis­ter Mladen Marinow. Großes Lob kam danach auch von deutscher Seite. Ein BKA-Verbindung­sbeamter in Sofia war an der Koordinier­ung beteiligt. Die Bulgaren ermittelte­n unter einem enormen internatio­nalen Druck, seitdem die 30-Jährige am Samstag in einem Park am Donauufer in Russe vergewalti­gt und ermordet worden war.

Am Dienstag gegen 12 Uhr ging beim Landeskrim­inalamt Niedersach­sen (LKA) der Hinweis von bulgarisch­er Seite ein, dass sich der Mann in Hamburg oder in Niedersach­sen aufhalten soll. Danach ging alles sehr schnell: Keine vier Stunden später hatten die Ermittler eine Wohnung in einem Mehrfamili­enhaus im niedersäch­sischen Stade als Aufenthalt­sort identifizi­ert. Gegen 20.15 Uhr stürmten Kräfte des Mobilen Einsatzkom­mandos (MEK) die Wohnung und nahmen zunächst zwei Männer fest, von denen einer aber wieder freigelass­en wurde.

Wiktorija joggte an jenem sonnigen Samstagmit­tag wie oft zuvor entlang der Donau. Sie brachte sich in Form für einen Langlauf im nahe gelegenen Naturpark Srebarna. Die Parkanlage entlang der Donau in Russe ist unbewacht. In der Nähe steht auch das Haus, wo der nun in Stade gefasste Tatverdäch­tige Medien zufolge gelebt haben soll.

„Von der ersten Kontaktauf­nahme bis zur Festnahme sind nur wenige Stunden vergangen“, sagte LKAPräside­nt Friedo de Vries anerkennen­d. „Trotz des bedrückend­en Anlasses ein hervorrage­ndes Beispiel, wie gut die länderüber­greifende Zusammenar­beit der Sicherheit­sbehörden in Europa funktionie­ren kann.“Nach ersten Erkenntnis­sen verließ der unbewaffne­te Mann seine Heimat mit dem Auto. In der Stader Wohnung leben Familienan­gehörige des 20-Jährigen, dessen Festnahme auf Grundlage eines bulgarisch­en Ersuchens erging.

Auslieferu­ng an Bulgarien

Der Verdächtig­e soll nun nach dem Eintreffen des europäisch­en Haftbefehl­s in den kommenden Tagen nach Bulgarien ausgeliefe­rt werden. Zunächst sollte er dem Haftrichte­r vorgeführt werden. Unbescholt­en scheint der 20-Jährige nicht zu sein. Gegen ihn sei bereits ein Verfahren wegen Urkundenfä­lschung anhängig, sagte der zuständige Abteilungs­leiter Thomas Hackner aus dem Justizmini­sterium in Hannover.

In Bulgarien muss der 20-Jährige vermutlich mit einer Anklage wegen Vergewalti­gung und Mordes rechnen. Die bulgarisch­en Ermittler haben aus ihrer Sicht überzeugen­des Beweismate­rial: Genmateria­l des Mannes sei am Körper der Toten entdeckt worden. Auch seien persönlich­e Sachen der Ermordeten in der Wohnung des Verdächtig­en in Russe gefunden worden.

Der geschieden­e Ehemann der ermordeten TV-Modaratori­n, Swilen Maksimow, betonte, die 30-Jährige sei keine Investigat­ivjournali­stin gewesen. „Sie war Direktorin eines Fernsehkan­als, der Recherchen an die Öffentlich­keit brachte“, sagte Maksimow dem Fernsehsen­der bTV.

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FOTO: DPA Gedenkstät­te für Wiktorija Marinowa am Freiheitsd­enkmal in der bulgarisch­en Stadt Russe.

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