Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Geballte literarische Frauenpower
„Bittere Bonbons“versammelt Geschichten zwischen Tradition und Moderne
So ein Buch bekommt man selten in die Hände. Die Herausgeberin Rachel Gratzfeld gibt in „Bittere Bonbons“die Bühne frei für 13 georgische Autorinnen der jüngeren Generation, deren Entdeckung sich lohnt. Die älteste Autorin wurde 1968 geboren, die jüngste 1991. Das Besondere an den Texten ist die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit, Tradition und Moderne, Realität und Fantasie. Sämtliche Kurzgeschichten handeln von Verlust, aber auch von Aufbruch und haben einen ganz eigenen Ton.
Der einzige Name auf der Autorinnenliste, der hier in Deutschland bekannt ist, ist der von Nino Haratischwili. Ein Auszug aus ihrem Bestseller-Roman „Das achte Leben“übernimmt im Buch den Auftakt. Das ist geschickt gewählt, denn ihre Geschichte hat eine enorme Sogwirkung, die den Leser direkt nach Georgien katapultiert. Anschaulich und witzig beschreibt sie, was eine Kindheit zu Sowjetzeiten ausmachte und was das Ausland damals bedeutete.
In den Kurzgeschichten geht es oft um Frauen und die weibliche Sicht auf die Welt. In der Titelstory erzählt Irma Tawelidse von einer jungen Frau, die auf dem Markt zusammenbricht. In Rückblenden werden Szenen aus ihrem Leben geschildert: Sie ist sechs Jahre alt. Sie erinnert sich an ihre streitenden Eltern, an die Geliebte, die ihr klebrige Karamellbonbons mit Erdbeerfüllung schenkt, und an den tödlichen Unfall, der sie von heute auf morgen zur Waise macht.
Bei Ketino Bachia steht die Migrantin Nanuli, die sich in einer deutschen Konditorei hocharbeitet, im Mittelpunkt. Maria Bekauri setzt sich wiederum mit dem Thema Kindsein und Kindheit auseinander, während Nino Sadghobelaschwili ins Traumhafte und Mythische abdriftet. In ihrer „Geschichte des Hauses“schildert sie ein besonderes Verhältnis zweier Liebender. Eine Beziehung, die früher in den Bergregionen Georgiens offensichtlich verbreitet war. Alles war erlaubt, nur der Beischlaf und die Heirat nicht.
In den 13 Texten gibt es zwar wiederkehrende Elemente, die dennoch nicht langweilig werden: die Bedeutung von Heimat, die Geschichte des Landes, die voller Brüche ist, sowie die Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Jede Erzählung hat ihre eigene Dynamik und dadurch ihren eigenen Zauber. Wie auch immer die Handlung verläuft – man wird auf eine Reise in eine fremde Kultur mitgenommen, die intensive Leseerlebnisse bietet.