Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die verlorenen Kinder von Tbilissi
Das Debüt der georgischen Filmemacherin ist eine beklemmende Internatsgeschichte
Die goldenen Birnen, ach ja. Wer beim Titel dieses Buches ein bisschen wehmütig an den alten Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland denkt, der sei gewarnt. Von der Herzensgüte des Fontane’schen Gutsherrn ist man im Debütroman von Nana Ekvtimishvili weit entfernt. Ob die georgische Autorin das berühmte Gedicht kennt, ist ungewiss. Sicher hingegen ist, dass die Kinder, um die es in ihrem „Birnenfeld“geht, alles andere als beschenkte Wesen sind. Vielmehr handelt das Buch von Insassen in einem verwahrlosten Kinderheim, die selbst wissen, dass man sie nur die „Debilen“nennt.
Die Geschichte spielt in den 1990er-Jahren in einem heruntergekommenen Internat am Rande von Tbilissi, also Tiflis, woher die 40-Jährige stammt. Bekannt geworden ist Nana Ekvtimishvili als Dokumentarfilmerin, und das auch über ihr Heimatland hinaus. Sechs Filme hat sie bislang gedreht und ist dafür auf nationalen und internationalen Filmfestivals ausgezeichnet worden.
Auch über das Kinderheim am Rande eines sumpfigen Felds voller Birnbäume wollte sie zuerst einen Film drehen. Nun ist es ihr erster Roman geworden, ebenfalls schon mit Preisen bedacht. Teils erinnert er tatsächlich ein wenig an ein Drehbuch mit exakt choreografierten Szenen und deftigen Dialogen. Wortführerin in der Schar der Kinder ist Lela, mit 18 Jahren die Älteste. Rotzig und grob verschafft sie sich Respekt, nimmt neben den überforderten Lehrern die Beschützerrolle ein, auch für den neunjährigen Irakli. Ihre eigenen Verletzungen versteckt sie hinter einer selbstbewussten Fassade. Dass sie als kleines Mädchen von einem der Lehrer sexuell missbraucht wurde, wird wie nebenbei erzählt. Keine große Sache in dieser verkommenen kleinen Welt. Als der kleine Irakli die unglaubliche Chance bekommt, von einem amerikanischen Ehepaar adoptiert zu werden, sorgt Lela dafür, dass er Englisch lernt. „Aim fain“übt der Junge brav. Aber eigentlich ist nichts „fine“. Die Glücksverheißungen im fernen Amerika erscheinen so fremd und unwirklich, dass am Ende alles schief geht.
Aber Nana Ekvtimishvili lässt ihren kleinen verlorenen Helden ihre Würde. In einem unwirtlichen Leben, in dem die Kinder rauchend auf ein Wunder hoffen, lässt sie so etwas wie Mitmenschlichkeit und Solidarität aufkeimen. Ein Hoffnungsschimmer, immerhin. Denn die Birnen von nebenan, die sind ungenießbar.
Nana Ekvtimishvili:
Aus dem Georgischen von Ekaterine Teti und Julia Dengg. Suhrkamp 2018. 221 Seiten, 16,95 Euro.