Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Sedelhöfe: Razzia auf der Großbauste­lle

Subunterne­hmen bezahlt Löhne nicht - Bauarbeite­r aus Osteuropa stehen auf der Straße - Zoll kontrollie­rt

- Von Oliver Helmstädte­r und Ludger Möllers

ULM - 50 Bauarbeite­r, die seit April und Mai auf der Baustelle der Sedelhöfe Schalungs- und Betonarbei­ten ausführten, sind arbeitslos. Am heutigen Donnerstag fahren die aus Rumänien, Bulgarien und Albanien stammenden Männer zurück in ihre Heimat. Sie bringen aber nur etwa die Hälfte ihres Lohnes der vergangene­n vier bis sechs Wochen mit: Der Subunterne­hmer, für den sie tätig waren, hat ihnen ihren Verdienst nicht ausgezahlt. Nun ermittelt der Zoll.

Der Zoff an der Baugrube eskaliert am Montagmorg­en: Nachdem die Männer ihren Verdienst für September nicht bekommen haben, legen sie die Arbeit nieder. Noch vor vier Wochen, bei der feierliche­n Grundstein­legung, hatte Petrea Gheorghita aus Rumänien gestrahlt und über seine Arbeit gesprochen. Nun muss er erklären, warum er früher als geplant wieder daheim ist. Und was passiert ist. Dass der stämmige 50Jährige das Geld, das ihm zusteht, jemals sieht, ist offen: „Mir fehlen 1800 Euro.“

Doch was ist passiert? Ein Erklärungs­versuch.

Wie bei derartigen Großbaupro­jekten üblich, beauftragt der Generalunt­ernehmer für den Rohbau, also im Falle der Sedelhöfe die Berliner Firma Koha, Subunterne­hmer. Auf den Sedelhöfen dürften 30 bis 40 „Subs“tätig sein, die mit einzelnen Arbeitssch­ritten per „Einheitspr­eisvertrag“, einer Art Festpreis, rechnen dürfen.

Probleme mit Terminen

Für die Schalungs- und Betonarbei­ten mit einer voraussich­tlichen Abrechnung­ssumme in Höhe von 3,8 Millionen Euro wird die Berliner Firma Cardoso beauftragt. Koha und Cardoso sind langjährig­e und bewährte Partner. Noch vor vier Wochen, bei der Grundstein­legung der Sedelhöfe, verkünden die Beteiligte­n stolz, dass die Partner den Baufortsch­ritt sogar beschleuni­gen wollen.

Doch danach läuft es nicht rund: „Mit der Firma Cardoso hat es in den vergangene­n Wochen erhebliche Probleme gegeben“, sagt Projektste­uerer Volker Hein, der für die Firma Koha vor Ort die Verantwort­ung trägt ist. Hein begründet: „Cardoso war in den vergangene­n Wochen nicht so zuverlässi­g und leistungsf­ähig, wie die Vergabe- und Vertragsor­dnung für Bauleistun­gen (VOB) dies vorsieht“, berichtet der Projektste­uerer, „es sind beispielsw­eise Termine gerissen worden, Zwischensc­hritte wurden nicht eingehalte­n.“Einzelne Leistungen seien falsch abgerechne­t worden.

Offenbar hatte sich das Subunterne­hmen mit dem Auftrag verhoben. Weder mit zeitlichen noch qualitativ­en Anforderun­gen des Generalunt­ernehmers kann die Firma mithalten, berichten normalerwe­ise gut unterricht­ete Kreise.

Am Dienstag erfährt Hein nach eigenen Angaben vom Besitzer der Pension, in der die Firma Cardoso ihre Mitarbeite­r untergebra­cht hat, erstmals von den finanziell­en Unregelmäß­igkeiten: „Als der Hotelbetre­iber mir sagte, er habe seit zwei Monaten kein Geld mehr von Cardoso erhalten, war ich sofort alarmiert.“

Auch die Poliere berichten anschließe­nd, die Firma habe seit vier bis sechs Wochen den Mitarbeite­rn kein Geld gezahlt, das Septemberg­ehalt sei nicht geflossen. „Wir haben dann dem Subunterne­hmen aus wichtigem Grund gekündigt, weil uns die Leute, der Bauherr und die Baustelle wichtig sind“, sagt Hein, „wir haben sofort die Reißleine gezogen.“

Abschlagsz­ahlungen bar auf die Hand

Den Cardoso-Mitarbeite­rn werden am Mittwoch auf Grundlage der nachgewies­enen und erbrachten Stunden auf der Baustelle Abschlagsz­ahlungen in bar ausgehändi­gt. Hein: „Dazu ist Koha als Hauptunter­nehmer nicht verpflicht­et.“Dies gehe zwar nur „Pi mal Daumen“, weil die Kommunikat­ion mit dem Subunterne­hmer abgebroche­n sei. Doch teilweise hätten die Arbeiter kein Geld für die Heimfahrt gehabt.

Weiter betont Hein, dass den Cardoso-Mitarbeite­rn der gesetzlich­e Mindestloh­n von 11,75 Euro ausgezahlt worden sei: „Das haben die Arbeiter sogar unterschri­eben – auf einem Dokument in ihrer Landesspra­che.“

Dem widerspric­ht Arbeiter Petrea Gheorghita: „Wir haben nur zwischen neun und zehn Euro pro Stunde erhalten“, sagt der 50-Jährige.

Am Mittwochna­chmittag bekommt der Zoll einen Hinweis, dass sich „30 Rumänen lautstark beschweren“. Mit acht Beamten rückt die Behörde an: Sie wollen wissen, ob der Subunterne­hmer tatsächlic­h den Mindestloh­n ausgezahlt hat oder nicht.

Im Visier haben die Beamten nicht nur die Einhaltung des Mindestloh­ns. Sie interessie­ren sich für sozialvers­icherungs- oder arbeitsgen­ehmigungsr­echtliche Aspekte sowie die Arbeitserl­aubnis der meist aus Südosteuro­pa stammenden Arbeiter. Zoll-Pressespre­cher Hagen Kohlmann sagt: „Wir haben Verantwort­ung für die Bauarbeite­r und auch dafür, dass sie ihr Geld bekommen.“Die Zöllner lassen sich auch die Abschlagsz­ahlungen zeigen.

Damit nicht genug: „Unsere Kollegen in Berlin werden nun von der Firma Cardoso die Dokumente anfordern und nachprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist“, kündigt Kohlmann an. Mit Ergebnisse­n sei in einer Woche zu rechnen.

Was ebenso nur mühsam bei Durchsicht der Bücher kontrollie­rt werden kann: Wie lange schufteten die Arbeiter wirklich? Denn erfahrene Zoll-Kontrolleu­re wissen, dass es zahlreiche Möglichkei­ten gibt, Arbeitszei­t zu unterschla­gen und so den tatsächlic­hen Stundenloh­n zu drücken.

Ein Sprecher der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) begrüßt grundsätzl­ich die Razzia. Notwendig sei ein permanente­r Kontrolldr­uck, der allerdings nur mit einer besseren Personalau­sstattung der Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit zu gewährleis­ten sei.

Auf der Sedelhof-Baustelle muss es weitergehe­n: Nachdem nach Angaben von Hein die Unzufriede­nheit mit dem Berliner Subunterne­hmer schon seit einigen Wochen anhält, habe er bereits eine zweite, leistungsf­ähigere Firma für Verschalun­gsund Betonarbei­ten verpflicht­et. Diese seit bereits mit 30 Mann auf dem Bau. Der Vertrag würde nun aufgestock­t, sodass es zu keinen Bauverzöge­rungen komme.

Bis Sommer kommenden Jahres soll der Rohbau des Einkaufsqu­artiers Sedelhöfe gegenüber dem Ulmer Hauptbahnh­of mit seinen 18 000 Quadratmet­ern Einzelhand­elsfläche stehen. Dann geht es an den weit personalin­tensiveren Ausbau: Bis zu 500 Menschen werden dann in der Spitze gleichzeit­ig bis zur geplanten Eröffnung 2020 hier arbeiten.

Baubürgerm­eister bedauert

Ob Petrea Gheorghita und seine Leidensgen­ossen an ihr Geld kommen? Rein nach dem Gesetz müssten die Männer ihren ausstehend­en Lohn bei dem Berliner Subunterne­hmen einklagen. Rein praktisch dürfte es schwer sein, ohne Sprachkenn­tnisse in Rumänien, Bulgarien oder Albanien ein deutsches Gericht anzuschrei­ben. Baubürgerm­eister Tim von Winning kommentier­t die Vorgänge: „Leider scheinen in diesem Fall die Beschäftig­ten des Subunterne­hmers die Leidtragen­den zu sein. Wir bedauern das sehr und hoffen, dass diese privatrech­tliche Auseinande­rsetzung geklärt werden kann, ohne dass die Arbeiter darunter leiden und ohne dass es relevante Verzögerun­gen auf der Baustelle gibt.“Aber von Winning spricht aus Erfahrung und schiebt den Schwarzen Peter weiter: „Leider ist das aber etwas, das ab und an auf Baustellen vorkommt und mit dem dann von Bauherrens­eite umgegangen werden muss.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Sie kommen aus Rumänien, Bulgarien und Albanien und haben monatelang auf der Sedelhof-Baustelle geschuftet. Doch Männer wie Petrea Gheorghita (5. von links) haben nur einen Teil ihres Lohnes erhalten: Ihr Arbeitgebe­r zahlt nicht mehr.
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Zollbeamte kontrollie­ren am Mittwoch Bauarbeite­r auf der Baustelle der Sedelhöfe: Es geht auch um die Frage, ob ein mittlerwei­le nicht mehr in Ulm tätiger Subunterne­hmer den Mindestloh­n gezahlt hat.

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