Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Sedelhöfe: Razzia auf der Großbaustelle
Subunternehmen bezahlt Löhne nicht - Bauarbeiter aus Osteuropa stehen auf der Straße - Zoll kontrolliert
ULM - 50 Bauarbeiter, die seit April und Mai auf der Baustelle der Sedelhöfe Schalungs- und Betonarbeiten ausführten, sind arbeitslos. Am heutigen Donnerstag fahren die aus Rumänien, Bulgarien und Albanien stammenden Männer zurück in ihre Heimat. Sie bringen aber nur etwa die Hälfte ihres Lohnes der vergangenen vier bis sechs Wochen mit: Der Subunternehmer, für den sie tätig waren, hat ihnen ihren Verdienst nicht ausgezahlt. Nun ermittelt der Zoll.
Der Zoff an der Baugrube eskaliert am Montagmorgen: Nachdem die Männer ihren Verdienst für September nicht bekommen haben, legen sie die Arbeit nieder. Noch vor vier Wochen, bei der feierlichen Grundsteinlegung, hatte Petrea Gheorghita aus Rumänien gestrahlt und über seine Arbeit gesprochen. Nun muss er erklären, warum er früher als geplant wieder daheim ist. Und was passiert ist. Dass der stämmige 50Jährige das Geld, das ihm zusteht, jemals sieht, ist offen: „Mir fehlen 1800 Euro.“
Doch was ist passiert? Ein Erklärungsversuch.
Wie bei derartigen Großbauprojekten üblich, beauftragt der Generalunternehmer für den Rohbau, also im Falle der Sedelhöfe die Berliner Firma Koha, Subunternehmer. Auf den Sedelhöfen dürften 30 bis 40 „Subs“tätig sein, die mit einzelnen Arbeitsschritten per „Einheitspreisvertrag“, einer Art Festpreis, rechnen dürfen.
Probleme mit Terminen
Für die Schalungs- und Betonarbeiten mit einer voraussichtlichen Abrechnungssumme in Höhe von 3,8 Millionen Euro wird die Berliner Firma Cardoso beauftragt. Koha und Cardoso sind langjährige und bewährte Partner. Noch vor vier Wochen, bei der Grundsteinlegung der Sedelhöfe, verkünden die Beteiligten stolz, dass die Partner den Baufortschritt sogar beschleunigen wollen.
Doch danach läuft es nicht rund: „Mit der Firma Cardoso hat es in den vergangenen Wochen erhebliche Probleme gegeben“, sagt Projektsteuerer Volker Hein, der für die Firma Koha vor Ort die Verantwortung trägt ist. Hein begründet: „Cardoso war in den vergangenen Wochen nicht so zuverlässig und leistungsfähig, wie die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) dies vorsieht“, berichtet der Projektsteuerer, „es sind beispielsweise Termine gerissen worden, Zwischenschritte wurden nicht eingehalten.“Einzelne Leistungen seien falsch abgerechnet worden.
Offenbar hatte sich das Subunternehmen mit dem Auftrag verhoben. Weder mit zeitlichen noch qualitativen Anforderungen des Generalunternehmers kann die Firma mithalten, berichten normalerweise gut unterrichtete Kreise.
Am Dienstag erfährt Hein nach eigenen Angaben vom Besitzer der Pension, in der die Firma Cardoso ihre Mitarbeiter untergebracht hat, erstmals von den finanziellen Unregelmäßigkeiten: „Als der Hotelbetreiber mir sagte, er habe seit zwei Monaten kein Geld mehr von Cardoso erhalten, war ich sofort alarmiert.“
Auch die Poliere berichten anschließend, die Firma habe seit vier bis sechs Wochen den Mitarbeitern kein Geld gezahlt, das Septembergehalt sei nicht geflossen. „Wir haben dann dem Subunternehmen aus wichtigem Grund gekündigt, weil uns die Leute, der Bauherr und die Baustelle wichtig sind“, sagt Hein, „wir haben sofort die Reißleine gezogen.“
Abschlagszahlungen bar auf die Hand
Den Cardoso-Mitarbeitern werden am Mittwoch auf Grundlage der nachgewiesenen und erbrachten Stunden auf der Baustelle Abschlagszahlungen in bar ausgehändigt. Hein: „Dazu ist Koha als Hauptunternehmer nicht verpflichtet.“Dies gehe zwar nur „Pi mal Daumen“, weil die Kommunikation mit dem Subunternehmer abgebrochen sei. Doch teilweise hätten die Arbeiter kein Geld für die Heimfahrt gehabt.
Weiter betont Hein, dass den Cardoso-Mitarbeitern der gesetzliche Mindestlohn von 11,75 Euro ausgezahlt worden sei: „Das haben die Arbeiter sogar unterschrieben – auf einem Dokument in ihrer Landessprache.“
Dem widerspricht Arbeiter Petrea Gheorghita: „Wir haben nur zwischen neun und zehn Euro pro Stunde erhalten“, sagt der 50-Jährige.
Am Mittwochnachmittag bekommt der Zoll einen Hinweis, dass sich „30 Rumänen lautstark beschweren“. Mit acht Beamten rückt die Behörde an: Sie wollen wissen, ob der Subunternehmer tatsächlich den Mindestlohn ausgezahlt hat oder nicht.
Im Visier haben die Beamten nicht nur die Einhaltung des Mindestlohns. Sie interessieren sich für sozialversicherungs- oder arbeitsgenehmigungsrechtliche Aspekte sowie die Arbeitserlaubnis der meist aus Südosteuropa stammenden Arbeiter. Zoll-Pressesprecher Hagen Kohlmann sagt: „Wir haben Verantwortung für die Bauarbeiter und auch dafür, dass sie ihr Geld bekommen.“Die Zöllner lassen sich auch die Abschlagszahlungen zeigen.
Damit nicht genug: „Unsere Kollegen in Berlin werden nun von der Firma Cardoso die Dokumente anfordern und nachprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist“, kündigt Kohlmann an. Mit Ergebnissen sei in einer Woche zu rechnen.
Was ebenso nur mühsam bei Durchsicht der Bücher kontrolliert werden kann: Wie lange schufteten die Arbeiter wirklich? Denn erfahrene Zoll-Kontrolleure wissen, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, Arbeitszeit zu unterschlagen und so den tatsächlichen Stundenlohn zu drücken.
Ein Sprecher der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) begrüßt grundsätzlich die Razzia. Notwendig sei ein permanenter Kontrolldruck, der allerdings nur mit einer besseren Personalausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu gewährleisten sei.
Auf der Sedelhof-Baustelle muss es weitergehen: Nachdem nach Angaben von Hein die Unzufriedenheit mit dem Berliner Subunternehmer schon seit einigen Wochen anhält, habe er bereits eine zweite, leistungsfähigere Firma für Verschalungsund Betonarbeiten verpflichtet. Diese seit bereits mit 30 Mann auf dem Bau. Der Vertrag würde nun aufgestockt, sodass es zu keinen Bauverzögerungen komme.
Bis Sommer kommenden Jahres soll der Rohbau des Einkaufsquartiers Sedelhöfe gegenüber dem Ulmer Hauptbahnhof mit seinen 18 000 Quadratmetern Einzelhandelsfläche stehen. Dann geht es an den weit personalintensiveren Ausbau: Bis zu 500 Menschen werden dann in der Spitze gleichzeitig bis zur geplanten Eröffnung 2020 hier arbeiten.
Baubürgermeister bedauert
Ob Petrea Gheorghita und seine Leidensgenossen an ihr Geld kommen? Rein nach dem Gesetz müssten die Männer ihren ausstehenden Lohn bei dem Berliner Subunternehmen einklagen. Rein praktisch dürfte es schwer sein, ohne Sprachkenntnisse in Rumänien, Bulgarien oder Albanien ein deutsches Gericht anzuschreiben. Baubürgermeister Tim von Winning kommentiert die Vorgänge: „Leider scheinen in diesem Fall die Beschäftigten des Subunternehmers die Leidtragenden zu sein. Wir bedauern das sehr und hoffen, dass diese privatrechtliche Auseinandersetzung geklärt werden kann, ohne dass die Arbeiter darunter leiden und ohne dass es relevante Verzögerungen auf der Baustelle gibt.“Aber von Winning spricht aus Erfahrung und schiebt den Schwarzen Peter weiter: „Leider ist das aber etwas, das ab und an auf Baustellen vorkommt und mit dem dann von Bauherrenseite umgegangen werden muss.“