Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
In Neu-Ulm grassiert das Japan-Fieber
Das Edwin-Scharff-Museum zeigt eine großartige Ausstellung mit fernöstlich inspirierten Grafiken von Emil Orlik
NEU-ULM - Die japanische Lebensart ist für uns Mitteleuropäer zwar immer noch hinreichend exotisch, doch Autos, Kameras und Elektronik aus Nippon gehören wie das Sushi längst zu unserem Alltag. Vor rund eineinhalb Jahrhunderten war das Land für den Westen noch eine völlig fremde Welt, denn es hatte sich jahrhundertelang völlig abgeschottet. Doch als es sich auf Druck Amerikas langsam öffnete, war die Wirkung ungeheuer: Die europäische Kunst wäre ohne den japanischen Einfluss eine völlig andere geworden. Dazu trug auch ein Mann bei, dessen Werke nun im NeuUlmer Edwin-Scharff-Museum zu sehen sind, Emil Orlik.
Als die ersten Farbholzschnitte von der Insel der aufgehenden Sonne nach Europa kamen, ließen sich Künstler wie Vincent van Gogh, Claude Monet und Edouard Manet davon massiv beeinflussen, Paris gab sich lustvoll dem Japan-Fieber hin. Das grassierte deutlich später auch in Deutschland, womit wir bei Emil Orlik wären. Der gut ausgebildete Grafiker aus Prag ließ sich von dem Virus nicht einfach nur anstecken, er nahm tatsächlich die damals beschwerliche Reise auf sich und brach im März 1900 nach Japan auf, um dort zu leben, zu schauen, zu lernen.
Die Früchte seiner Arbeit sind tatsächlich beeindruckend. Sie stecken zu einem guten Teil in einer Kunstmappe mit 15 Grafiken, die er 1904 unter dem Titel „Aus Japan“herausbrachte. Die Auflage: 50 Exemplare. Eins davon befindet sich seit 2014 im Besitz des Edwin-Scharff-Museums. Dessen Leiterin Helga Gutbrod ist mächtig stolz darauf, eine vollständige Mappe ersteigern zu können, denn das sei sehr selten, weil die Bilder in der Regel mittlerweile einzeln in den Verkauf kommen.
Rund um diese 15 Blätter hat Helga Gutbrod in zweijähriger Arbeit eine beeindruckende, großartige Ausstellung zusammengestellt. Dank der Unterstützung durch den Hamburger Privatsammler Peter Voss-Andrae sind nun in Neu-Ulm 65 Grafiken zu sehen, die Emil Orlik zum Thema Japan geschaffen hat.
Hinzu kommen diverse Originale von japanischen Künstlern, darunter Holzschnitte der auch einem breiteren westlichen Publikum bekannten Stars Hiroshige und Hokusai. Zu sehen sind zudem kunsthandwerkliche Stücke aus der Zeit nach 1900, die illustrieren, wie sehr die fernöstlichen Formen, Motive und Bilder damals den Westen beeinflusst haben. Das damals grassierende Fieber hat einen Namen, Japonismus. Das hat ganz offenkundig auch Helga Gutbrod gepackt, die bei der Vorstellung der Schau bekannte: „Ich bin ganz im Glück.“Sie schätzt an Orliks Kunst die Schönheit, die Harmonie und Frische, die hellen Farben. Er sei einfach ein fantastischer Grafiker gewesen. Die Ausstellung habe ihr sehr am Herzen gelegen.
Nippon-Flair einer vergangenen Zeit
Das sieht man. Sie ist liebevoll ausgestattet, Haikus, also traditionelle japanische Kurz-Gedichte, zieren die Wände, ein Kimono aus dem 19. Jahrhundert sowie ein Samurai-Helm verbreiten den Nippon-Flair einer vergangenen Zeit. Nachkolorierte Fotos geben einen Eindruck vom damaligen Leben. Allerdings wirken sie gestellt, darüber hat sich schon Emil Orlik beklagt, wie er überhaupt fand, dass der Westen und vor allem die Amerikaner schon sehr stark von diesem Land, das er teilweise zu Fuß erwanderte, Besitz ergriffen haben.
Er suchte und fand jedoch ein noch sehr ursprüngliches Japan, das er in Lithografien, Radierungen und Holzschnitten eingefangen hat. Er verzichtet fast komplett darauf, Sehenswürdigkeiten abzubilden, selbst der Vulkan Fuji, oft unerlässlicher Bestandteil japanischer Kunstwerke, findet sich bei ihm nur einmal winzig im Hintergrund einer Straßenszene. Orlik hat stattdessen das Alltagsleben eingefangen, mit klaren Linien und breiten Farbflächen. Ihm sind die Menschen wichtig, die bei ihm tatsächlich ein individuelles Aussehen haben, wohingegen die traditionelle Holzschnittkunst idealisierte, maskenhafte Gesichter zeigt. Gerne rückt Orlik Schriftzeichen ins Bild, die auf den hiesigen Betrachter wie fremdartige Verzierungen wirken.
Seine Arbeiten, der Ertrag eines zehnmonatigen Aufenthalts auf der fernöstlichen Insel, kommen bei seinen Zeitgenossen gut an. Er bestückt damit Ausstellungen, hält Vorträge über Holzschnitte. 1905 erhält er eine Professur in Berlin, die er bis zu seinem Tod 1932 innehat. 1923 bekommt er einen Kollegen aus Schwaben: Edwin Scharff wird damals Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin.