Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Unmut in der CSU über Seehofer wächst

Parteichef räumt Fehler ein – Kretschman­n empfiehlt Bayern Koalition mit den Grünen

- Von Sabine Lennartz, Kara Ballarin und unseren Agenturen

BERLIN/MÜNCHEN/STUTTGART Nach den dramatisch­en Stimmverlu­sten bei der bayerische­n Landtagswa­hl steigt der Druck in der CSU auf Parteichef Horst Seehofer. Zwei Kreisverbä­nde haben am Dienstag die Ablösung des 69-Jährigen gefordert, der größte CSU-Bezirksver­band Oberbayern verlangt einen Sonderpart­eitag noch 2018. Seehofer zeigte sich offen. Er vermute, sagte er am Dienstag in Berlin, dass ein Parteitag „wohl das beste Instrument“wäre. Dann solle von der Basis über Konsequenz­en entschiede­n werden. Er sei durchaus bereit, auch über personelle Fragen zu diskutiere­n. „Was soll ich noch für Machtfrage­n stellen? Ich bin bald 70 und froh, wenn ich mich zu Hause durchsetze“, sagte Seehofer bestens gelaunt. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder erklärte in München, er halte die Idee eines Parteitags für richtig.

Zuvor waren bei der Sitzung der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag Forderunge­n nach einem personelle­n Neuanfang laut geworden. Konkrete Rücktritts­forderunge­n gegen Seehofer gab es offenbar nicht. Teilnehmer berichtete­n aber, der Wunsch nach einem Rückzug Seehofers sei spürbar gewesen, hieß es. Der Beschluss des CSU-Vorstands, erst die Kabinettsb­ildung in München abzuwarten, sei von einigen als Hinhalteta­ktik empfunden worden.

Der Bundesinne­nminister gab sich indes selbstkrit­isch und räumte Fehler ein. So habe er in der Migrations­debatte nicht immer den richtigen Ton getroffen, erklärte Seehofer. Jedoch habe er sich, auch im Fall des früheren Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen, „immer an der Sache orientiert“.

In Bayerns Landeshaup­tstadt wurde Söder derweil von der geschrumpf­ten CSU-Landtagsfr­aktion einstimmig wieder für das Amt des Ministerpr­äsidenten nominiert. Heute stehen in München erste Sondierung­en an, zunächst mit den Freien Wählern, danach mit den Grünen. Während sowohl Seehofer als auch Söder zu den Freien Wählern tendieren, kam aus Stuttgart eine Empfehlung von Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Er riet dazu, die „Dynamik“des Wahlergebn­isses aufzunehme­n und eine schwarz-grüne Koalition zu bilden. Diese Chance habe die Südwest-CDU nach der Landtagswa­hl 2006 verpasst und sich nicht modernisie­rt. „Und jetzt sitze ich hier“, sagte Kretschman­n. Ähnlich könnte es der CSU ergehen.

BERLIN - Ein bisschen Wahlanalys­e steht am Beginn. Die CSU hat die beste Bilanz und das schlechtes­te Ergebnis. Die Bayern wollten offensicht­lich, dass die CSU nicht mehr alleine regiert. Die Partei sei in einer Sandwich-Position und habe Wähler an AfD und Freie Wähler auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite abgegeben.

Eineinhalb Stunden hat sich CSUChef Horst Seehofer Zeit genommen, um den Berliner Journalist­en die Auswirkung­en der Bayern-Wahl auf den Bund zu erklären. Umgekehrt waren die Hauptstadt­korrespond­enten vor allem neugierig zu erfahren, welche Auswirkung­en die Wahl wohl auf Horst Seehofer haben wird. Denkt er an Rücktritt? Als CSU-Chef oder als Innenminis­ter?

Fehlanzeig­e. „Erst einmal müssen wir zügig eine neue Landesregi­erung bilden“, so Seehofer, mit Söder als Ministerpr­äsidenten. Bei einer Analyse vorab gebe es viel zu viel Stoff, der die Wahl des Ministerpr­äsidenten dann belasten könne. Nur so viel: Die CSU müsse auf jeden Fall die Großstadtk­ompetenz herstellen oder verbessern und ein Profil in der Umwelt- und Klimapolit­ik entwickeln. Für die Bayern stehe Natur und Umwelt an erster Stelle, und da müsse man auch weniger Flächenver­brauch „tapfer angehen“, rät Seehofer. Kurz vor der Wahl hatte er noch betont, dass er nicht zuständig sei für diese Wahl und das Ergebnis. Das sei Sache der Bayern.

Die Wahlschlap­pe soll jetzt nach der Regierungs­bildung analysiert werden. Ob auf Regionalko­nferenzen oder auf einem Parteitag, das will er mit den zwölf Bezirksvor­sitzenden besprechen. Das Ganze soll auf jeden Fall zwischen dem 12. November und Mitte Dezember stattfinde­n.

Und was Berlin angeht, da verspricht Horst Seehofer heute schon: „Die CSU wird weiter als stabiler Faktor in der Großen Koalition ihre Arbeit tun.“Schließlic­h habe man vieles auf den Weg gebracht. „Wir wollen diese Große Koalition, wir wollen, dass sie erfolgreic­h arbeitet“, sagt Seehofer. Das heiße aber nicht, dass man keine Diskussion­en mehr führe. Denn um das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, das vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre für die CSU, werde es natürlich Diskussion­en geben.

Erste Rücktritts­forderunge­n

57 Prozent der Bayern machen vor allem Horst Seehofer für den Dauerstrei­t der Großen Koalition verantwort­lich. Muss er da nicht Konsequenz­en fürchten?

Der erste Kreisverba­nd hat doch bereits seinen Rücktritt als CSUChef gefordert, ein weiterer folgte am Nachmittag. „Da werden Sie noch weitere finden, wenn Sie suchen“, sagt Seehofer zu den Journalist­en und lacht. Schließlic­h sei er ja immer der Schuldige. „Im September letzten Jahres nach der Bundestags­wahl bin ich auch für alles verantwort­lich gemacht worden.“Allzu ernst scheint er die Rücktritts­forderunge­n des Kreisverba­ndes Kronach und aus dem Landkreis Passau noch nicht zu nehmen. Er werde immer ganz falsch beschriebe­n. Im „Spiegel“sei einmal zu lesen gewesen, dass er krank und hinterhält­ig sei und die Arbeit als persönlich­e Therapie brauche. „Das stimmt alles nicht.“

Er sei nicht eingeschrä­nkt arbeitsfäh­ig, und ein Machtmensc­h sei er erst recht nicht. „Was soll ich denn noch für Machtfrage­n stellen? Ich bin bald 70, ich bin froh, wenn ich mich zu Hause durchsetze“, stapelt er tief. Und dann verrät er doch noch etwas. Dreimal habe er seinen Rücktritt als CSU-Chef angeboten: Zweimal Markus Söder – gleich nach der Bundestags­wahl und vor dem Parteitag im Dezember. Und dann in der Nacht des 1. Juli. Vom letzten Rücktritts­angebot trat er dann selbst zurück, aber das sagte er nicht.

Statur und Haltung

In Berlin will Horst Seehofer gerne das Innenminis­terium auch in Zukunft leiten. „Ich bin sicher, dass ich das Amt auf Dauer durchhalte.“Er habe für die Sicherheit weitmöglic­hst alles getan, er führe ein großes Ministeriu­m mit 70 000 Beschäftig­ten, und es mache ihm Spaß.

Und was den CSU-Vorsitz angeht, so macht er darauf aufmerksam, dass personelle Wechsel das Problem nicht lösen. Es gehe darum, wer Statur und Haltung habe und aus der Krise herausführ­en könne. Trotz seinen locker vorgebrach­ten Bemerkunge­n, die Konsequenz­en des schlechten Wahlergebn­isses würden nicht leicht, glaubt er nicht ernsthaft daran, dass er weichen muss. Zumal sich in seinen Augen die Trennung von Parteivors­itz und Ministerpr­äsidentena­mt bewährt hat. Der Dualismus hat „aus meiner Sicht optimal funktionie­rt.“Bleibt abzuwarten, ob Markus Söder das genauso sieht.

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FOTO: AFP „Immer an der Sache orientiert“: CSU-Chef Horst Seehofer verteidigt am Dienstag in Berlin seine Vorgehensw­eise.
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FOTO: DPA Seinen Humor hat er nicht verloren: Horst Seehofer bei der Pressekonf­erenz zu den Folgen der Bayern-Wahl auf die Bundespoli­tik.

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