Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Baum und Ströbele kritisieren Überreaktion bei Gesetzgebung
Beim dritten „Landshut-Talk“geht es um die Frage: Was kann man aus der Entführung lernen?
FRIEDRICHSHAFEN - Und sie streiten immer noch. Auch mehr als 40 Jahre nach der Entführung der Lu fthansamaschine Landshut haben sich die Gemüter nicht abgekühlt. Hans-Christian Ströbele (Grüne) und der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP) diskutieren so leidenschaftlich über Schuld, Ursache und Umgang mit dem Terror, als sei es gestern und nicht 1977 gewesen, dass palästinensische Terroristen eine Passagiermaschine der Lufthansa entführten, um inhaftierte Mitglieder der Roten Armee Fraktion freizupressen.
Dabei soll es an diesem Dienstagabend beim dritten „Landshut-Talk“im Dornier Museum in Friedrichshafen eigentlich um etwas anderes gehen. Mit den Gästen Ströbele, Baum, dem Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar und dem ehemaligen baden-württembergischen Staatsminister Ulrich Müller (CDU) möchte Moderator Joachim Umbach, früherer Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, die Frage klären: Landshut – Was kann man lernen? In einer Zeit, in der Terrorismus wieder präsent ist?
Der Blick geht jedoch zunächst zurück statt nach vorn. Die Teilnehmer ergründen, wie in der BRD der deutsche Herbst überhaupt anbrechen konnte, wie linksextremistischer Terror erst möglich wurde. Anwalt Ströbele, der Teil der 68er-Bewegung war und zu dessen Mandanten in den 1970er-Jahren auch RAF-Mitglieder zählten, fängt von vorn an. Die Gewalt der RAF sei eine Konsequenz aus dem harten Durchgreifen des Staates gegen die Studentenbewegung gewesen. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) habe den Eindruck gehabt: „Wir führen Krieg gegen den Staat. Der Staat führt auch Krieg gegen uns.“Das Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke, die Niederschlagung der Proteste gegen den Schah von Persien und der Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg hätten zu einer Radikalisierung von Teilen der 68er geführt. „Das war nicht die APO, sondern gerade ein Dutzend oder höchstens 30“, sagt der 79-Jährige. Politologe Kraushaar pflichtet bei: „Der Großteil der Studentenbewegung war reformerisch. Nur in der Minderheit war sie militant.“
Verschärfung der Gesetze
Dennoch seien diese Ereignisse keine Rechtfertigung gewesen für die Entstehung der RAF, die für 33 Morde und die Entführung der Landshut verantwortlich ist, sagt Baum, der zu jener Zeit Staatssekretär im Innenministerium war.
Die Politik hat als Reaktion darauf die Gesetzgebung verschärft. Das Kontaktsperregesetz beispielsweise ermöglichte es, Gespräche von Gefangenen auch mit ihren Anwälten zu unterbinden. Bei Beschlüssen wie diesem stellten sich Fragen: Wie weit darf der Staat die Freiheit beschneiden, um die Sicherheit zu gewährleisten? Wie wehrhaft darf ein Land sein, ohne die Verfassung zu verletzen? In einem sind sich Ströbele und der Liberale Baum, die politisch verschiedener nicht sein könnten, dabei rückblickend sehr einig: „Der Staat hat überreagiert“, urteilt der 85-jährige Baum. Die Politik habe „durch eine aufgeputschte öffentliche Meinung die Fassung verloren“, Gesetze und Fahndungsmethoden verschärft, „die so nicht bleiben konnten.“Einige der Gesetze habe man innerhalb von zwei Tagen durch den Bundestag gebracht, sagt Ströbele. „Einige von ihnen gelten heute noch.“
Diesbezüglich sehen Ströbele und Baum Parallelen zur heutigen Zeit. Der Terror ist zurück, die Politik reagiert mit Härte und mehr Überwachung. Bayern beispielsweise hat kürzlich ein umstrittenes Polizeigesetz verabschiedet.
„Heute ist das ähnlich“, sagt Baum, der der schwarz-gelben Koalition in NRW wegen eines scharfen Antiterrorgesetzes kürzlich mit einer Verfassungsklage gedroht hat. „Was wir lernen müssen ist: Mit symbolhaften Gesetzen ist nicht viel zu machen. Angst darf nicht die politischen Entscheidungen bestimmen.“Zudem garantierten schärfere Gesetze nicht mehr Sicherheit – das zeige der Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri, der nach neuesten Erkenntnissen vor der Tat hätte verhaftet werden können. „Sicherheitspolitisch kann man aufgerüstet sein, wie man will – wenn ein Fehler gemacht wird, erlebt man solch eine Katastrophe wie in Berlin“, sagt Baum.
Auch Ströbele findet, „da wird heute noch sehr, sehr viel falsch gemacht“. Sobald eine neue Gefährdungslage eintrete, würden neue, wirkungslose Gesetze erlassen, nach dem Motto: „Da muss man was tun.“Dabei seien die rechtlichen Rahmenbedingungen da – man müsse sie nur konsequent umsetzen.