Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Warum Spahn Hebammen an die Hochschule schicken will
Hochschulabschlüsse für angehende Geburtshelfer: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will ein duales Studium für Hebammen zur Regel machen. Geplant sind akademische und praktische Kurse mit Bachelor-Abschluss. Die Zahlung einer Ausbildungsvergütung soll weiter möglich sein.
In allen anderen EU-Staaten begleiten längst Akademikerinnen Schwangere vor, während und nach der Geburt. In Deutschland werden die meisten Hebammen dagegen an staatlich anerkannten Hebammenschulen und Krankenhäusern drei Jahre lang ausgebildet. Der Deutsche Hebammen-Verband dringt seit langem auf eine Angleichung an die anderen europäischen Staaten.
Mit seinem Reformplan setzt Spahn eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2013 um, wonach der Beruf bis 18. Januar 2020 reformiert sein muss. Voraussetzung für den Zugang sollen laut der EU-Richtlinie zwölf Jahre Schulbildung sein. Berufsanfängern sollen künftig wissenschaftliche Methoden sowie Inhalte aus den Bereichen Frauenheilkunde, Geburtshilfe, Allgemeinmedizin und Pharmakologie vermittelt werden. Union und SPD hatten die Akademisierung des Berufs im Koalitionsvertrag vereinbart.
DHBW bietet Studium schon an
Angebote für die akademische Hebammenausbildung gibt es allerdings schon heute: In Baden-Württemberg bildet die Duale Hochschule (DHBW) in Ulm-Wiblingen, Stuttgart und Karlsruhe Geburtshelferinnen aus, in Kooperation mit Hebammenschulen. In Stuttgart ist es auch möglich, berufsbegleitend einen akademischen Abschluss zu erwerben. Als erste Universität in Baden-Württemberg bietet zudem Tübingen seit dem gerade begonnenen Wintersemester einen Studiengang „Hebammenwissenschaften“an.
Ziel der Akademisierung ist ein attraktiveres Berufsbild. Hebammen klagen schon lange über schlechte Bezahlung, die in keinem Verhältnis zur hohen Verantwortung steht. Zudem soll die Perspektive auf eine akademische Laufbahn Berufseinsteigerinnen anlocken – das jedenfalls ist die Hoffnung. Weiterbildungen bis hin zur Professur könnten einen Ausweg aus der vom Hebammen-Verband beklagten „Bildungssackgasse“weisen.
Hintergrund der Bemühungen ist, dass in Deutschland seit Jahren Hebammen fehlen. Viele ausgebildete Frauen verlassen den Beruf. Einerseits lag das an den jahrelang zu teuren Haftpflichtversicherungen, die sich viele Berufstätige nicht mehr leisten konnten und daher ihren Job aufgaben. Andererseits sind auch die Zustände an den Kliniken verheerend. Jedes zweite Krankenhaus hat Probleme, offene Hebammenstellen zu besetzen. Nur rund 20 Prozent der 24 000 Hebammen bundesweit arbeiten in Vollzeit. Das hat Gründe: Das Bruttoeinstiegsgehalt liegt bei 2796,54 Euro. 90 Prozent der Klinikangestellten müssen Überstunden leisten und können keine Pausen nehmen, ergab eine Umfrage des Hebammenverbands 2016.
Zudem müssen Hebammen in der Bundesrepublik mehr als doppelt so viele Gebärende betreuen wie anderswo in Europa: drei Schwangere auf eine Hebamme sind die Regel, in zwanzig Prozent der Fälle beträgt das Verhältnis vier oder fünf zu eins. Die Hebammen fordern eine Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden – in Skandinavien ist das Standard.