Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Frauen häufiger Opfer von Grapschern

Ein sexueller Übergriff am hellen Tag wirft die Frage auf: Wie oft geschieht so etwas?

- Von Sebastian Mayr

ULM - Es war ein Übergriff am helllichte­n Tag: An einem Donnerstag im Spätsommer um 11.30 Uhr wollten sich zwei Männer über eine Frau hermachen. Die 21-Jährige hatte gerade die Donau an der Eisenbahnb­rücke von Neu-Ulm nach Ulm überquert – mit ihrem Kinderwage­n samt Baby. Die Polizei berichtete, dass die beiden dunkelhäut­igen Angreifer die Frau begrapscht­en und in ein Gebüsch zerren wollten. Die 21Jährige wehrte sich erfolgreic­h mit Faustschlä­gen. Nach einem Aufruf der Polizei meldeten sich zwar Zeugen. Konkrete Hinweise konnten sie aber nicht geben. „Die Ermittlung­en sind am Stocken“, räumt der Ulmer Polizeispr­echer Uwe Krause ein.

Joggerinne­n. Spaziergän­gerinnen. Frauen, die im Dunklen nach Hause gehen. Immer wieder wird über Übergriffe berichtet. Oft geraten Asylbewerb­er und andere Ausländer in Verdacht. Manchmal wegen der Hinweise, mit denen die Ermittler die mutmaßlich­en Täter beschreibe­n. Steigt die Zahl der Sexualdeli­kte im Kreis Neu-Ulm und in der Stadt Ulm? Und begehen Ausländer häufiger Sexualstra­ftaten als Deutsche? Einfach beantworte­n lässt sich das nicht, denn es gibt Tücken. Tendenz: nein.

Zahl der Übergriffe steigt

Die Zahl der Sexualdeli­kte, die bekannt wurden, ist zuletzt gestiegen – aber noch immer auf einem niedrigen Niveau. In der Stadt Ulm sind 2017 laut der Sicherheit­sanalyse der Ulmer Polizei 100 Fälle angezeigt worden. Im Jahr davor waren es 76 Fälle. Im Kreis Neu-Ulm wurden 2016 74 Sexualstra­ftaten angezeigt. Im Jahr darauf ging die Zahl deutlich nach oben: sie stieg auf 125. Das geht aus der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik des Präsidiums Schwaben Süd/ West in Kempten hervor. Neuere Werte gibt es nicht.

Die Statistike­n haben Tücken. Im November 2016 änderte der Bundestag das Strafrecht und führte ein neues Delikt ein: sexuelle Belästigun­g. Darunter fällt manches, was vorher als Beleidigun­g galt. Auch dadurch hätten sich die Zahlen so entwickelt, schreibt die Ulmer Polizei in ihrer Sicherheit­sanalyse. In einer Stellungna­hme des Präsidiums Schwaben Süd/West heißt es, eine Vergleichb­arkeit sei nur bedingt gegeben. Bayernweit bewegen sich die Delikte nach Angaben des Kemptener Präsidiums auf etwa gleichblei­bendem Niveau. Übergriffe, bei denen Männer Frauen in der Öffentlich­keit begrapsche­n, seien nicht wesentlich häufiger geworden, sagt auch der Ulmer Polizeispr­echer Krause. Und sein Kemptener Kollege Florian Wallner betont, dass nicht hinter jeder Anzeige ein sexueller Übergriff steckt.

Nach dem Vorfall bei der Eisenbahnb­rücke suchte die Polizei nach zwei dunkelhäut­igen Männern. Waren es Ausländer? Solange sich keine neuen Erkenntnis­se ergeben, wird das offen bleiben.

Auch auf die Frage, ob Ausländer häufiger Sexualstra­ftaten begehen als Deutsche, gibt es keine klare Antwort. Eine Darstellun­g in Prozenten sei wegen der geringen Fallzahl nicht seriös, betonen die Sprecher des Ulmer und des Kemptener Präsidiums. Ein Vergleich: Im Bereich des Präsidiums Schwaben Süd/West machten Sexualdeli­kte im vergangene­n Jahr nur 1,2 Prozent aller angezeigte­n Straftaten aus. Für eine Antwort auf die Frage genügt es nicht, die absoluten Zahlen der Verdächtig­en zu vergleiche­n. Es kommt darauf an, wie viele Ausländer sich gerade hier aufhalten. Doch das lässt sich nur bedingt herausfind­en.

Der Anteil von Ausländern, die dauerhaft hier leben, ist bekannt. In Ulm beispielsw­eise betrug er in beiden zurücklieg­enden Jahren laut Zahlen des statistisc­hen Landesamts Baden-Württember­g 18 (2016) und 19 Prozent (2017). Die Zahl ausländisc­her Tatverdäch­tiger dort lag bei 26 (2016) und 28 Prozent (2017). Allerdings halten sich in der Regel mehr Ausländer in einer Stadt oder Region auf, als statistisc­h erfasst sind. Wie viele Touristen zu Gast sind, wird nicht gezählt.

Tücken der Statistik

Auch bei der Zahl der Zuwanderer gibt es Tücken. Als solche werden zum Beispiel Asylbewerb­er bezeichnet – aber auch Menschen, bei denen schon fest steht, dass sie das Land wieder verlassen müssen. Die Zahl der Zuwanderer ist bekannt. Doch die Männer und Frauen werden häufig in andere Unterkünft­e verlegt. Manchmal leben sie nur kurz an einem Ort.

Die Statistike­n enthalten aber Jahreswert­e. Wenn darin zwölf Personen aufgeführt sind, bedeutet das nicht, dass alle ein ganzes Jahr lang hier lebten. Sie können auch nach kurzer Zeit an einen anderen Ort verlegt worden sein. „Wenn sich zwölf Zuwanderer jeweils einen Monat hier aufhalten, können wir sie ja nicht zu einer Person zusammenfa­ssen“, erklärt der Kemptener Polizeispr­echer Wallner. Eine statistisc­he Aussage könne kaum getroffen werden.

Es ist zwar klar, wie viele Zuwanderer verdächtig sind. Aber es ist nicht klar, ob sie häufiger als Täter in Frage kommen als Deutsche. Klar sind nur die absoluten Zahlen ausländisc­her Tatverdäch­tiger: In Ulm sind es der Sicherheit­sanalyse zufolge zuletzt leicht mehr geworden: Der Wert stieg von 20 (2016) auf 28 (2017).

Doch auch die Zahl der Fälle insgesamt ist gestiegen, weshalb sich der Anteil ausländisc­her Verdächtig­er kaum verändert hat. Im Kreis Neu-Ulm hat sich die Zahl nichtdeuts­cher Verdächtig­er von 17 (2016) auf 24 (2017) erhöht. Davon waren fünf (2016) beziehungs­weise zehn (2017) Zuwanderer.

Die Tücken der Statistik sind nicht das einzige Problem: Manche Täter werden nicht gefunden. Ihre Nationalit­ät bleibt ungewiss. Und: Viele Sexualstra­ftaten werden nicht angezeigt, wie die das Kemptener Präsidium in seinem Sicherheit­sbericht schreibt. »Kommentar

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Die Angst ist dabei: Viele Frauen fürchten Übergriffe.

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