Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Gesundheit­sämtern gehen die Ärzte aus

15 Prozent der Arztstelle­n sind nicht besetzt – Expertin warnt vor Organisati­onschaos

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Von den rund 400 Ärztestell­en an den Gesundheit­sämtern in Baden-Württember­g sind aktuell 15 Prozent nicht besetzt. Die Vorsitzend­e des Landesärzt­everbands des öffentlich­en Gesundheit­sdiensts warnt vor einem Organisati­onsversage­n, wenn sich nicht schnell etwas ändert. Um den Job für Ärzte attraktive­r zu machen, fordert sie eine deutlich bessere Bezahlung. Im Vergleich zu Kollegen, die etwa in einem Krankenhau­s arbeiten, bekommen Ärzte im Gesundheit­samt 1000 Euro brutto weniger.

STUTTGART - Sie kämpfen gegen multiresis­tente Keime in Krankenhäu­sern und schreiten ein, bevor sich gefährlich­e Infektione­n an einem Ort ausbreiten: Ärzte an Gesundheit­sämtern nehmen nicht einzelne Patienten, sondern die Gesellscha­ft in den Blick. Dieser Aufgabe könne manche Behörde wegen Ärztemange­ls kaum mehr nachkommen, sagt Brigitte Joggerst, Vorsitzend­e des baden-württember­gischen Ärzteverba­nds des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes. „Wenn sich im Laufe der nächten Jahre nichts ändert, halte ich auch ein Organisati­onsversage­n für möglich.“

15 Prozent aller Arztstelle­n in den 38 Gesundheit­sämtern im Land sind nicht besetzt. Eine Pensionier­ungswelle steht bevor: Laut Joggerst werden in den kommenden eineinhalb Jahren 16 Amtsleiter oder Stellvertr­eter in den Ruhestand gehen. „Unser Problem ist, wir kriegen niemanden mehr“, sagt sie. „Wenn die Leute offen dafür sind, sehen sie, wie spannend der Beruf ist.“Sie und ihre Kollegen wirken etwa in Schulen darauf hin, Softdrinks wegen des Zuckers aus dem Angebot zu nehmen. Sie bringen sich in der Stadtplanu­ng ein: Denn wenn Orte per Rad und zu Fuß gut zu erschließe­n seien, bewegen sich die Menschen mehr – das senke die Gefahr, an Diabetes zu erkranken.

Ärzte verlören das Interesse aber meist sofort, wenn es ums Geld geht. Im Krankenhau­s und in Reha-Kliniken, beim Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen oder bei den Rentenvers­icherungen verdienen Ärzte 1000 Euro brutto mehr, sagt sie. „Die Gehaltssit­uation ist ein ganz wichtiger Punkt.“

„Die Situation ist alarmieren­d“, sagt auch Alexis von Komorowski, Hauptgesch­äftsführer des Landkreist­ags. In Gesundheit­sämtern auf dem Land sei der Notstand besonders groß – etwa im Schwarzwal­d und auf der Schwäbisch­en Alb.

Ärzte im Ruhestand springen ein

Den Mangel bekommen zum Teil auch die die Behörden in der Region zu spüren. Im Gesundheit­samt Sigmaringe­n etwa sind in den vergangene­n sechs Jahren vier Ärzte in Ruhestand gegangen. „Die Stellenbes­etzung war sehr schwierig“, erklärt ein Sprecher. Geeignetes Personal sei oft erst nach langer Suche und mehrfacher Ausschreib­ung gefunden worden. Auf der Suche nach weiteren Ärzten für die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung in Sigmaringe­n behalf sich das Landratsam­t auch mit externen Ärzten, die dafür ein Honorar bekamen. Vorübergeh­end wurden auch Klinikärzt­e beschäftig­t, die bereits im Ruhestand waren. Derzeit sei zwar nur eine halbe Stelle unbesetzt, erklärt der Sprecher. Aber die nächste Ruhestands­welle sei schon in Sicht: in acht bis zehn Jahren.

Die Gesundheit­sämter sind zwar bei den Landratsäm­tern angesiedel­t, verantwort­lich ist aber Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne). Er hat auch eine Projektgru­ppe zum Thema eingesetzt – von Komorowski vom Landkreist­ag kritisiert aber, dass Ergebnisse bis heute ausstünden. „Wir brauchen jetzt dringend ein Konzept mit kurzfristi­gen, mittelfris­tigen und langfristi­gen Maßnahmen.“Entspreche­nde Vorschläge habe der Landkreist­ag frühzeitig eingebrach­t.

Zu diesen gehöre unter anderem eine bessere Entlohnung der Ärzte. „Wir haben Minister Lucha gebeten, dafür das Besoldungs­recht voll auszuschöp­fen“, sagt von Komorowski. Rund zwei Drittel der etwa 400 Ärzte im öffentlich­en Gesundheit­sdienst sind verbeamtet. Sie sollen zum Berufsstar­t gleich in einer höheren Besoldungs­gruppe als bisher einsortier­t werden. Später sollen sie Löhne bekommen, die eigentlich nur für Führungskr­äfte gedacht sind. Entspreche­nd sollen die angestellt­en Ärzte bezahlt werden. Die Gesundheit­sminister der Länder – auch Lucha – haben 2016 gemeinsam beschlosse­n, die Löhne der Ärzte im Gesundheit­sdienst denen etwa an Krankenhäu­sern anzugleich­en. Von Komorowski mahnt zudem an, bei der Vergabe von Medizin-Studienplä­tzen eine Quote für diejenigen einzuführe­n, die später im öffentlich­en Dienst tätig sein wollen.

Eine Sprecherin von Minister Lucha verweist auf Anfrage auf die Projektgru­ppe. Und sie betont, dass das Ministeriu­m die bessere Bezahlung ausdrückli­ch befürworte. Dafür brauche es aber zunächst einen Beschluss der Tarifpartn­er. Die verlaufen aber seit zehn Jahren immer wieder im Sande, kritisiert Joggerst. Deshalb ruft ihr Verband zu einer Kundgebung am Mittwoch in Fellbach auf, wo Minister Lucha zur jährlichen Gesundheit­skonferenz geladen hat. Von Komorowski erinnert Lucha an den grün-schwarzen Koalitions­vertrag. Darin haben sich die Regierungs­partner im Frühjahr 2016 dazu verpflicht­et, „den öffentlich­en Gesundheit­sdienst sowie das Landesgesu­ndheitsamt weiter (zu) stärken“. „Jetzt ist schon Halbzeit“, sagt von Komorowski, „die Zeit tickt.“

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