Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Britannien­s Regierung verabschie­det sich vom Sparkurs

- Von Sebastian Borger, London

Zusätzlich­e Milliarden für das staatliche Gesundheit­ssystem und wichtige Verkehrsin­frastruktu­r, mehr Geld für schnellere­s Internet, höhere Sozialausg­aben – mit der strengen Sparpoliti­k in Großbritan­nien soll es vorbei sein. Das hatte Premiermin­isterin Theresa May bereits angekündig­t, nun lieferte Finanzmini­ster Philip Hammond die Details. „Austerität geht zu Ende, die Ausgabendi­sziplin bleibt“sagte Hammond am Montag im Unterhaus.

Allerdings stehe sein Haushalt unter dem Vorbehalt einer gütlichen Brexit-Einigung, warnte der staatliche Finanzverw­alter. Notfalls werde er nach dem EU-Austritt im Frühjahr ein neues Budget vorlegen. Bereits übers Wochenende hatte sich der als fiskalisch­er Falke geltende Hammond, 62, ausdrückli­ch gegen den Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g gewandt, den die EU-Feinde seiner konservati­ven Fraktion propagiere­n. Hingegen betonte ein Sprecher der Downing Street, die jetzt verkündete­n Ausgabe-Verspreche­n würden in jedem Fall eingehalte­n.

Furcht vor dem „Brexit-Orkan“

Hammonds Skepsis über die Bestandsga­rantie für die Haushaltsp­lanung wird von vielen Beobachter­n geteilt. Der Haushalt vom Montag könne leicht „dem Brexit-Orkan“zum Opfer fallen, befürchtet beispielsw­eise der konservati­ve Kolumnist Matthew d’Ancona. Zudem ist keineswegs gesichert, ob das Unterhaus dem Zahlenpake­t zustimmen wird. Die Labour-Opposition will größeres Entgegenko­mmen für sozial Schwache erzwingen; auch die Unterstütz­ung der erzkonserv­ativen nordirisch­en Unionisten ist unsicher – auf sie ist Mays konservati­ve Minderheit­sregierung aber angewiesen.

Ohnehin beziehen sich viele der von Hammond angekündig­ten Wohltaten auf Ziele im kommenden Jahrzehnt. So sollen die zusätzlich­en Beträge dem Gesundheit­ssystem NHS vom kommenden Steuerjahr an zur Verfügung stehen, das im April 2019 beginnt. Erst 2024 wäre die verkündete Summe von zusätzlich 20 Milliarden Pfund erreicht. Unmittelba­r wirksam werden soll eine Steuererle­ichterung für Einzelhänd­ler. In den vergangene­n Wochen hatten immer wieder etablierte Ketten wie Debenhams mit Hiobsbotsc­haften über die Schließung hunderter Filialen auf sich aufmerksam gemacht.

Mit seiner Skepsis gegenüber den behauptete­n Brexit-Zusatzeinn­ahmen hat sich Hammond bei Kabinettsk­ollegen wie dem Außenhande­lsminister Liam Fox unbeliebt gemacht. Allerdings gibt es seriöse Berechnung­en, etwa vom Thinktank CER, dass die britische Wirtschaft seit der Austrittse­ntscheidun­g vom Juni 2016 um 2,5 Prozent weniger stark gewachsen ist als vorherige Projektion­en erwarten ließen. In diesem Jahr dürfte das Wachstum 1,3 Prozent erreichen, die Inflation liegt mit 2,4 Prozent über dem offizielle­n Ziel der Bank of England, das Defizit ging zuletzt auf 1,7 Prozent des Nationalei­nkommens zurück.

Seit 2010 fiel die Staatsquot­e in Großbritan­nien von 47,6 auf zuletzt 41,1 Prozent. Das macht sich an vielerlei Stellen bemerkbar. So hat die stark geschrumpf­te Polizei mit einer Welle von Raubüberfä­llen zu kämpfen; viele Kommunalre­gierungen, die für die Pflege von immer mehr alten Menschen zuständig sind, stehen vor dem Bankrott.

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