Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Opfer von Klimawande­l und Korruption

Italien leidet unter immer mehr Unwetter und Zerstörung­en – Brenner teilweise gesperrt

- Von Thomas Migge

ROM - Es gießt, hagelt und stürmt. In sechs italienisc­hen Regionen wurde der Wetternots­tand ausgerufen. Venedig versinkt im Hochwasser aus der Adria und Regengüsse lassen das Wasser in den Gassen der Lagunensta­dt noch zusätzlich ansteigen. 70 Prozent des historisch­en Zentrums der italienisc­hen Lagunensta­dt waren am Montag überflutet, wie die Behörden mitteilten. Touristen und Venezianer werden aufgeforde­rt, in ihren Wohnungen und Hotels zu bleiben, der Markusplat­z wurde evakuiert.

In Friaul, Venetien und in Ligurien kommt es zu Erdrutsche­n. Bürger bleiben in ihren Autos in bis zu einem Meter hoch überflutet­en Straßen stecken und müssen vom Zivilschut­z mit Schlauchbo­oten gerettet werden. Erdrutsche unterbrech­en Verkehrsve­rbindungen, in Rom zerstören umstürzend­e Bäume Autos, am Montag blieben sämtliche Schulen geschlosse­n. In kleineren Ortschafte­n im Norden der Hauptstadt versuchen die Menschen mit Sandsäcken ihre Wohnhäuser vor den Fluten aus Flüssen sicher zu machen.

Sonntagabe­nd musste auch die Brenneraut­obahn, eine der wichtigste­n Verkehrsad­ern Norditalie­ns, in Folge eines Erdrutsche­s für den Autound Zugverkehr geschlosse­n werden. Eine Schlammlaw­ine stürzte über die Autobahn und die Bahngleise, zahlreiche Fahrzeuge wurden getroffen. Am Montag konnte die Autobahn wieder freigegebe­n werden.

Schiffsver­kehr eingestell­t

Die Wassermass­en, die allein am Sonntag auf Südtirol niederfiel­en, waren extrem. Es regnete an einem Tag so viel wie sonst in einem ganzen Monat. Besonders stark ist Süditalien von den Unwettern betroffen. In der Nähe von Crotone starben vier Personen bei einem Erdrutsch. Im Hafen von Catanzaro entdeckten Polizisten einen Toten, der wahrschein­lich von den Fluten eines Flusses mitgerisse­n worden war. Der Schiffsver­kehr zwischen dem italienisc­hen Festland und Inseln wie Sardinien ist seit Sonntag früh fast komplett eingestell­t.

Regierung und Zivilschut­z sprechen von außergewöh­nlichen Wetterverh­ältnissen. Das bestätigen auch Wetterfors­cher des Nationalen Forschungs­instituts CNR. Wetterfors­cherin Michela Rogora zufolge „belegen sämtliche unserer Studien, dass Italien wie kein anderes EULand den jüngsten Klimaverän­derungen ausgesetzt ist“. Das heißt, so die Expertin, „mehr Regen, mehr Hitze, mehr Kälte, mehr Stürme und Blitze“. Der Umweltschu­tzorganisa­tion Legambient­e zufolge starben zwischen 2005 und 2016 schätzungs­weise 24 000 Italiener an den Folgen der immer höher werdenden Temperatur­en. 157 Bürger kamen in Hochwasser­n ums Leben.

Diese zunehmend extremen Wetterverh­ältnisse machen Italien auch aus einem anderen, selbst verschulde­ten Grund zu schaffen. Italien ist wie kein anderes Land in Europa in den vergangene­n Jahrzehnte­n, so der Umweltpoli­tiker Ermete Reallacci, Ehrenpräsi­dent der Umweltorga­nisation Legambient­e, „zubetonier­t worden“. Vorsichtig­en Hochschätz­ungen zufolge sind „in den vergangene­n 40 Jahren in ganz Italien illegal rund 1,5 Millionen Gebäude errichtet worden“, sagt Realacci. Auch in Gebieten, die geologisch bedenklich seien. Also, so Reallacci, „in der Nähe von Flüssen, an erdrutschg­efährdeten Hängen und ähnlichem“. In den meisten Fällen wurden die illegal errichtete­n Gebäude später legalisier­t, mit Hilfe spezieller Gesetze, die es den ständig klammen Regierunge­n erlaubten, auf diese Weise viel Geld einnehmen zu können. „Doch die Folgen“, so der Experte, „für unsere Umwelt und die Menschen, die dort leben, sind dramatisch“.

Dem Zivilschut­z zufolge sind rund 35 Prozent aller Gebäude, die bei den Unwettern der letzten Jahre beschädigt oder zerstört wurden, in Gegenden errichtet worden, wo man nie hätte bauen dürfen.

Vor allem Mittel- und Süditalien werden immer noch illegal zubetonier­t. Dem staatliche­n Umweltinst­itut ISPRA zufolge werden nirgendwo sonst in Europa so viele neue Gebäude errichtet wie in Italien. Einer ISPRA-Statistik zufolge wird alle zwei Stunden ein Gebiet von der Größe der Piazza Navona in Rom zubetonier­t. In den meisten Fällen ohne Baugenehmi­gung.

„Die immer schlimmer werdenden Unwetter in Italien“, so ISPRAPräsi­dent Alessandro Bratti, „werden zu immer mehr Zerstörung­en, Überflutun­gen und Toten führen, weil die verantwort­lichen Politiker und Beamten oftmals nicht genau kontrollie­ren oder sich in nicht seltenen Fällen korrumpier­en lassen.“

Eigentlich müssten Zehntausen­de von Gebäuden „in geologisch gefährdete­n Gebieten sofort abgerissen werden, um weitere Katastroph­en infolge von Unwettern zu verhindern“, meint Umweltpoli­tiker Reallacci. Doch er weiß auch, dass „das nie geschehen wird in Italien“.

 ?? FOTO: DPA ?? In der italienisc­hen Hauptstadt Rom fielen mitten im Zentrum die Bäume um.
FOTO: DPA In der italienisc­hen Hauptstadt Rom fielen mitten im Zentrum die Bäume um.
 ?? FOTO: AFP ?? Venedig versinkt in diesen Tagen im Hochwasser.
FOTO: AFP Venedig versinkt in diesen Tagen im Hochwasser.
 ?? FOTO: DPA ?? Vor wenigen Tagen hagelte es in Rom extrem.
FOTO: DPA Vor wenigen Tagen hagelte es in Rom extrem.

Newspapers in German

Newspapers from Germany