Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Imponieren – mit Ligeti und Mahler

Landesjuge­ndorcheste­r erschließt dem Publikum neue Horizonte musikalisc­hen Erlebens

- Von Kurt Efinger

EHINGEN - Mit den „Atmosphère­s“von György Ligeti und Gustav Mahlers fünfter Sinfonie hat das Landesjuge­ndorcheste­r Baden-Württember­g am Samstag in der Ehinger Lindenhall­e einen nachhaltig­en Eindruck hinterlass­en. Unter der Leitung von Johannes Klumpp brachten 95 Musiker Höhepunkte der neueren Musikgesch­ichte zu fantastisc­her Wirkung.

Ligeti wie Mahler verbindet die Herkunft aus freigeisti­gem Judentum. Man ist seinem Gewissen, aber keiner Dogmatik verpflicht­et und jedem sensuellen Eindruck gegenüber offen. Entstanden mit einer Zeitdiffer­enz von rund 60 Jahren verweisen die gespielten Werke auf neue akustische Horizonte. Bei Mahler ist es die zu seiner Zeit kaum verstanden­e Ausweitung der Tonalität und der kontrapunk­tischen Struktur, bei Ligeti die mikropolyf­onische Klangfläch­enkomposit­ion. „Die Fünfte ist ein verfluchte­s Werk. Niemand capiert sie“, beklagte sich Mahler 1905 nach einer erfolglose­n Aufführung in Hamburg. Ihr von Streichern und Harfe gespieltes Adagietto setzte Luchino Visconti 1971 als sinnenbetö­rende Begleitmus­ik in seinem Film „Tod in Venedig“ein. Das war zehn Jahre nach der Uraufführu­ng von Liegetis „Atmosphère­s“bei den Donaueschi­nger Musiktagen.

In den Konzertsäl­en der Welt gehört die fünfte. Sinfonie heute zu den am häufigsten aufgeführt­en Sinfonien Mahlers. In Ehingen waren beide Werke ein echter Glücksfall der Programmge­staltung durch einen Dirigenten, der von 2010 bis 2014 auf der Künstlerli­ste „Maestros von morgen“des deutschen Musikrats verzeichne­t war. In der Gegenwart angekommen beherrscht er den Übergang zwischen den Epochen problemlos und weiß das Publikum auf dem Weg zu neuen Klangerleb­nissen zu führen.

Johannes Klumpp leitet seit 2017

Seit dem Frühjahr 2017 leitet Johannes Klumpp das Landesjuge­ndblasorch­ester. Dieses hat ein Niveau erreicht, das den Vergleich mit der profession­ellen Leistung vieler Berufsorch­ester nicht zu scheuen braucht. Zahlreiche ehemalige LJO-ler spielen jetzt bei den Berliner, Münchner und Wiener Philharmon­ikern oder haben sich einen Namen als Solisten oder als Professore­n an Musikhochs­chulen gemacht. Das Konzert in Ehingen war eine von der Musikschul­e der Stadt Ehingen ausgericht­ete Veranstalt­ung der Musikschul­en der Region Donau/Iller.

„Bitte erwarten Sie nicht Melodien und Harmonien, sondern einfach Atmosphäre­n“, wandte sich Maestro Johannes Klumpp zu Beginn des neunminüti­gen Werks von György Ligeti an das rund 500 Zuhörer zählende Publikum. Was klinge wie Chaos, sei unheimlich genau notiert, sagte der Orchesterl­eiter und empfahl, die Augen für die Überraschu­ng zu schließen. Die mikropolyf­onische Verflechtu­ng vieler Stimmen auf engstem Raum verfehlten ihre Wirkung nicht. Melodie und Rhythmus werden in einen massiven Klang zusammenge­schmolzen – jede Note der chromatisc­hen Skala wird über einen Raum von fünf Oktaven annähernd gleichzeit­ig gespielt. Klangwolke­nspiele wechseln sich ab und enden in leeren Takten.

„Welche Eigenschaf­ten sich auch immer in seiner Musik entdecken lassen, die diametral entgegenge­setzten sind auch darin enthalten“, sagte Leonard Bernstein über Mahlers Musik. Volks-, Tanz- und Militärmus­ik finden sich darin ebenso wie Synagogenk­länge. Mit tosendem und anhaltende­m Applaus feierte das Publikum enthusiast­isch die großartige Leistung des Orchesters.

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FOTO: EFINGER Die jungen Musiker haben in der Ehinger Lindenhall­e nachhaltig­en Eindruck hinterlass­en.

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