Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Das deutsche Volk ist ein Volk der Freien...“
Vortrag in Laichingen: Die politisch wirkenden Brüder Grimm
LAICHINGEN (sz) - Viele kennen sie durch Märchen aus der Kindheit: die „Brüder Grimm“; Jakob (geboren 1785 in Hanau) und Wilhelm (geboren 1786), insgesamt waren es sechs Geschwister. Doch die Brüder waren weit mehr als „Märchensammler“– zu dieser Erkenntnis führte ein gut besuchter VHS-Vortrag von Rüdiger Krüger, Literatur-und Kulturwissenschaftler aus Rheda-Wiedenbrück, im Alten Rathaus.
In einer von großen politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Zeit der Herrschaft Napoleons in weiten Teilen Europas begannen die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm schon sehr jung mit der Sammlung von mündlich überlieferten Märchen und Sagen. Sie könnten, so der Referent, als Mitbegründer der „Altgermanistik“betrachtet werden. Sie hätten erkannt, dass die „Kraft der Sprache Völker zusammenhält“.
Zunächst führte der Referent in die Familiengeschichte der Grimms ein: Sie stammten aus einem gebildeten 18. Jahrhundert-Haushalt, einer Pfarrersfamilie. Durch finanzielle Unterstützung einer Tante, Hofdame der hessischen Landgräfin, können sie ab 1798 das Gymnasium besuchen und danach in Marburg Rechtswissenschaften studieren (ab 1802), so zum Beispiel den „Sachsen“- und den „Schwabenspiegel“, die die Rechtsgrundlagen in den jeweiligen Gebieten festlegen und beispielsweise klären, welcher materielle Verlust einem Ehemann entsteht, dessen Frau erschlagen wird, und daher keine Kinder, sprich „Arbeitskräfte“, mehr gebären kann.
Doch bald wenden sich die Grimms von den Rechtswissenschaften ab. Bemerkenswert: Jakob und Wilhelm waren „wissenschaftliche siamesische Zwillinge“, gaben die meisten Veröffentlichungen zusammen heraus, waren „Riesennetzwer- ker“und wohnten ein Leben lang zusammen – auch, als einer von beiden heiratete. Die Brüder gehen an die Humboldt-Universität, werden Studienkollegen der Lyriker Achim von Arnim und Clemens Brentano und sie beginnen, „von der Volksseele gesammelte“Gedichte und Lieder zu sammeln. Es entsteht in dieser Zeit „Des Knaben Wunderhorn“, und 1812 wird der erste Band „Kinder-und Hausmärchen“veröffentlicht, illustriert von einem weiteren Bruder: Ludwig Emil.
1814 reist Jacob nach Paris und Wien und nimmt am Wiener Kongress teil. Doch er beendet seine Diplomatenlaufbahn und veröffentlicht lieber mit Wilhelm die zweite Ausgabe der Märchen, 200 sind es mittlerweile. Die Brüder erhalten die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg. Und der Aufstieg geht weiter. Sie werden Professoren in Kassel (1841). „Beide sind politisch denkende Menschen, beide der Demokratie verpflichtet, hochsensibel, wenn es um die Teilung und Weitergabe von Wissen geht“, so Rüdiger Krüger. 1846 luden sie zur ersten „Germanistenversammlung“nach Frankfurt ein und 1848 werden die Brüder Abgeordnete in der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche. Sie formulierten einen Antrag zu den Grundrechten: „Das deutsche Volk ist ein Volk der Freien, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.“Obwohl der Antrag abgelehnt wurde, habe er nichts von seiner Aktualität verloren, meinte der Referent.