Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Bart macht den Räuber
Lukas Kientzler spielt ab kommende Woche den Hotzenplotz - Was der 35-Jährige am Stück und dem grimmigen Helden so gerne mag
ULM - Neuerdings studiert Lukas Kientzler im Drogeriemarkt die Bartpflegeprodukte. Der 35-Jährige lässt sich von Berufs wegen einen Vollbart wachsen: Der in Stuttgart aufgewachsene Schauspieler wird im Weihnachtsmärchen des Theaters Ulm die Titelfigur in Otfried Preußlers „Der Räuber Hotzenplotz“spielen. Premiere von Valentin Strohs Inszenierung ist am kommenden Mittwoch, 21. November. Die äußere Metamorphose zum Räuber, der in der Höhle im Wald haust, ist für den Schauspieler auch eine Rückkehr in die eigene Kindheit: Mit dem Räuber Hotzenplotz identifizierte er sich schon als Junge gern, wenn seine Großmutter – vor allem zur Weihnachtszeit – viel vorlas. „Es ist ganz erstaunlich, wie viel hängen blieb von der Fantasie meiner Kindheit“, erzählt er, in dessen Elternhaus es kein Fernsehgerät gab.
Dass er äußerlich vom Typ her dem Bild gar nicht unähnlich ist, das die meisten Menschen von Preußlers berühmter Räuber-Figur haben, wusste Lukas Kientzler schon bei seiner Bewerbung um die Rolle; zudem verleiht er mit seiner tiefen, gemütlichen Stimme der Figur jene Eigenschaften, die er selbst an ihr schätzt: „Hotzenplotz ist authentisch, er ist erdig und einfach eins zu eins er selbst. Er handelt nie strategisch, sondern ist ein Freigeist, unangepasst, viel allein, aber nicht einsam, weiß mit sich etwas anzufangen.“So empfinde er sich in Ulm auch, sagt Kientzler. „Ich habe hier keine Wurzeln, und in den Probenpausen streife ich durch die Stadt und nehme einfach wahr.“
Im Grunde ist Hotzenplotz ein Künstler
Was ihm an der Titelfigur gefällt: „Die Figur ist deshalb sympathisch, weil Hotzenplotz eigentlich ein gutmütiger, freundlicher Mensch ist, der die Arbeit eines Räubers pflichtbewusst als Beruf empfindet, den er von seinem Vater gelernt hat.“Dazu gehört fraglos auch, wie ein Räuber aufzutreten. Aber im Grunde, vermutet Kientzler, ist Hotzenplotz ein Künstler, der nie die Chance hatte, einer zu werden, denn der Räuber stiehlt Großmutters Kaffeemühle ja deshalb, weil er das Lied „Alles neu macht der Mai“so gern hört, das die Mühle spielen kann.
Dass Otfried Preußler dann erzählt, wie der Räuber vom Zauberer Petrosilius Zwackelmann in einen Gimpel – einen Dompfaff – verwandelt wird, macht die Sache für Kientzler umso interessanter. „Preußler hätte auch eine diebische Elster oder einen Raben wählen können, aber Hotzenplotz wird in einen Singvogel verzaubert. In einen, der sich von Samen von Waldfrüchten ernährt, und das passt schon irgendwie sehr gut zusammen“, findet der 35-Jährige. Eine Ader für Musik – oder schlicht die alte Symbolik des Gimpels als etwas ungeschicktes, tölpelhaftes Wesen? Brutal kommt dieser Räuber nicht daher.
Aufpassen müsse man, die Figur gerade nicht psychologisch zu spielen. „Die Figuren sind wie Figuren der Commedia dell‘arte, sie sind die Figuren des Kasperltheaters“, sagt Kientzler. „Sie sind holzschnittartig, archaisch, sie leben in einer ganz kleinen Welt und sie entwickeln sich im Wesentlichen nicht weiter.“Freilich kennt Hotzenplotz auch Angst und Stress – außerhalb seiner Höhle im Wald fürchtet er, erwischt zu werden. Was ihn auch gut an dem Stück gefalle, sagt der Schauspieler, sei die Inkompetenz der erwachsenen Figuren – der Zauberer, der die Schalen nicht von den Kartoffeln zaubern kann, der Polizist, der den Räuber nicht fangen kann, und der Räuber, der sich von Kindern übertölpeln lässt.“
Wichtig ist ihm nach den Problemen des letztjährigen Weihnachtsstückes „Schneewittchen“am Theater, dass das Stück kindgerecht – für junge Zuschauer ab etwa sechs Jahren – über die Bühne kommt, und dass es liebevoll gespielt wird. „Die schauspielerische Herausforderung besteht für uns alle darin, dass die Produktion Kasperltheater-Stil und -Form erfordert. Hotzenplotz ist ungeformt als Typ und funktioniert nicht nach intellektuellen Maßstäben.“
Gespielt wird das Weihnachtsstück in hochdeutscher Sprache mit süddeutschem Einschlag, die musikalischen Klänge kommen vom Lanzinger Trio, einer dreiköpfigen Stubenmusik-Jazz-Pop-Band. Die drei Musiker Jörg Lanzinger (Zither), Komalé Akakpo (Hackbrett) und Hannes Mühlfriedel (Gitarre) kommen aus dem bayerisch-schwäbischen Raum; sie nahmen die Bühnenmusik für das Märchen in den vergangenen Wochen auf.
„Der Räuber Hotzenplotz“wird am Theater Ulm bis zum 22. Januar 2019 gespielt. Danach kommt der Bart wieder ab, weiß Lukas Kientzler schon heute – der Freundin zuliebe.